[Debatte-Grundeinkommen] Kompetenz zur Freiheit

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Di Dez 8 12:01:21 CET 2009


Hallo Norbert und wen's sonst noch interessiert,

Du sprichst ein Thema an, das (Verteilungs)Gerechtigkeit und Freiheit in einen Zusammenhang setzt. Der Kuchen war ein Beispiel, das weder überflüssig, noch knapp, noch Luxus sein sollte. Vielmehr ging es mir darum, am Beispiel "Freiheit zu Nehmen" zu zeigen, daß im Ergebnis Ungerechtigkeit herauskommen kann, wenn jemand keine "Kompetenz zur Freiheit" hat (sich mehr nimmt und anderen nichts übrig läßt). Wenn Du eine "gerechte Welt" möchtest, wäre die "Kompetenz zur Freiheit" vielleicht ein Schlüssel dazu. Begriffe wie "Besitz" und "Eigentum" beruhen prinzipiell auf einem Vertrag und bedürfen Institutionen, die die Einhaltung des Vertrags durchsetzen (können) - die "Kompetenz zur Freiheit" wird Gesetzen und den jeweiligen Instituationen überlassen.

Aber belassen wir's mal dabei und schauen uns ein Beispiel an, was passiert, wenn ein Volk einfach in die Freiheit entlassen wird. Dazu eignet sich der Irak, der von Hussein "befreit" wurde. Die USA hatte keine "Exit-Strategie", was eigentlich nach der "Befreiung" passieren soll. Dazu empfehle ich folgende zwei Dokumentationen:
Irak: Invasion der Amateuere
http://www.youtube.com/watch?v=KfQXy8KlIew
Meine Heimat/Euer Krieg
http://www.youtube.com/watch?v=mZdln8SSGYQ

Die fatalen Folgen des Kriegs haben entsprechend sehr viel damit zu tun, weil unklar war, wie die Bevölkerung eine "Kompetenz zur Freiheit" erlangt und keine entsprechenden Strukturen (Institutionen) geschaffen wurden, um die Bevölkerung "kompetent zu machen". Das Ergebnis war/ist ein "anarchistischer Zustand". Ähnliches war/ist auch in Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu beobachten, die nicht wußten/wissen, wie sie mit der neugewonnenen Freiheit umgehen soll(t)en. Für den Irak war/ist übrigens ein Grundeinkommen angedacht (siehe http://tinyurl.com/preview.php?num=y9y8qh4), was nach o.g. Berichten verständlich wird, da die "Aufständischen" aus der Auflösung der irakischen Armee resultierten, wo sie noch ein Ein-/Auskommen hatten.

Um allerdings in Deutschland zu bleiben, wird an einem Beispiel deutlich, daß es beim Grundeinkommen um die "Kompetenz zur Freiheit" geht (siehe http://tinyurl.com/preview.php?num=dhdybb). Ist es mit "Verteilungsgerechtigkeit" durch das Grundeinkommen getan? Mag ja sein, daß sich die meisten auf dieser Liste eine "Kompetenz zur Freiheit" zutrauen (incl. der "Einsicht in die Notwendigkeit", arbeiten zu gehen), doch darf man das pauschalisieren? Die meisten glauben wohl, daß Verstand/Vernunft schon gerecht verteilt seien.

Die Einführung eines Grundeinkommens ohne "begleitende Maßnahmen" (im Sinne eines "emanzipatorischen Sozialstaats") kommt aus meiner Sicht dem Beispiel Irak gleich und kann ähnliche Folgen haben (im Sinne von chaotischen Zuständen). Wer Kinder hat, soll sich bitte einmal die Frage stellen, was das Ziel seiner Erziehung ist, um eine Vorstellung zu bekommen, was unter "begleitende Maßnahmen" (des Staates) zu verstehen ist. Und wer seine eigene Erziehung überdenkt, kann sich überlegen, welches Ziel erreicht wurde.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
http://www.iovialis.org




  ----- Original Message ----- 
  From: Norbert Maack 
  To: Joerg Drescher 
  Sent: Sunday, December 06, 2009 8:03 PM
  Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Kompetenz zur Freiheit


  Hallo Joerg, hallo alle,
  das Beispiel , das Du anführst, ist nicht ein Beispiel für Freiheit. Es geht vielmehr um die Schilderung des Versuchs, unter Bedingungen der Unfreiheit Kompetenz in Verteilungsgerechtigkeit zu erwerben. Das zu verteilende Gut, der Kuchen, ist ein überflüssiges und knappes Konsum-, Luxusgut, das mit Freiheit nichts zu tun hat.

  Man kannn ja Freiheit auch mal als Freiheit von Privateigentum sehen. Dann würde nicht ein Kuchen zur Aufteilung anstehen, sondern die 12 Menschen würden je nach ihren Bedürfnissen so viel Brot backen, dass alle satt werden. 

  Wir werden lernen, uns Situationen vor- und dann auch herzustellen, in denen wir wirklich "frei" sind. 

  Mit sonnigen Grüßen
      Norbert Maack



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