[Debatte-Grundeinkommen] Kompetenz zur Freiheit
Joerg Drescher
iovialis at gmx.de
So Dez 6 13:44:32 CET 2009
Hallo Christine,
natürlich kann man im Grundeinkommen eine "Freiheit zur Kompetenz" sehen,
was allerdings nicht gleichbedeutend mit der "Kompetenz zur Freiheit" ist.
Man kann auch nicht bestreiten, daß jeder Mensch die Anlagen für die
"Kompetenz zur Freiheit" besitzt (Könnensgesellschaft). Allerdings
beinhaltet die "Freiheit zur Kompetenz" ebenfalls, diese "Anlagen zur
Kompetenz" nicht zu nutzen (Freiheit heißt auch, "nein" sagen zu können).
Doch jede (persönliche) Anlage muß sich entwickeln (können) - daher die
Forderung "Freiheit zur Kompetenz". Ich würde eher "Entwicklung der
Kompetenz" fordern, was in diesem Fall der Emanzipation gleich kommt
(verstanden als "Erlangen der Kompetenz zur Freiheit"). Dies steht sehr
stark mit Bildung in Verbindung (bzw. mit den Ideen der Aufklärung nach
Kant).
Das interessante an dieser Geschichte ist, daß es im gemeinschaftlichen
Rahmen eher funktioniert (unter Verwandten, Nachbarn und Freunden), als im
gesellschaftlichen Rahmen (Individualisierung). Hintergrund ist, daß die
Verbundenheit der Menschen untereinander in Gesellschaften abnimmt - und mit
der fehlenden Verbundenheit geht das Vertrauen gegenüber anderen (Fremden)
zurück. Entsprechend hilft auch ein Homo Faber (nach Arendt) nicht wirklich
weiter (obwohl anzustreben), da er sich bei Fremden nie sicher sein kann, ob
er es mit einer Person zu tun hat, die die gleichen Werte (des Homo Faber)
vertritt. Arendt hat dem Homo Faber den "Animal laborans"
gegenübergestellt - und ein Homo Faber kann sich zumindest sicher sein, daß
er es mit einem solchen zu tun hat (grob nach Arendt ist der "Animal
laborans" ein Wesen, das allein zur Existenzsicherung arbeitet, was auch der
Homo Faber tut, wobei sich dieser zusätzlich durch seine Arbeit entfaltet -
während der "Animal laborans" im erarbeiteten Produkt nur den Nutzen sieht,
wertet der Homo Faber den Schaffensprozess mit ein, da dieser das Menschsein
enthalte).
Vielleicht drehen wir uns bei der Diskussion auch ein wenig im Kreis, weil
die einen unter "Kompetenz" die individuellen
Fähigkeiten/Fertigkeiten/Motivationen nur in Bezug auf das Individuum
verstehen, während es mir dabei um einen Bezug auf andere Individuen ging:
"Die persönliche Freiheit endet dort, wo die Freiheit eines anderen
eingeschränkt wird". Um die "Freiheit eines anderen" zu erfassen, bedarf es
einer gewissen "Kompetenz" (ein Grundeinkommen - so die Diskussion hier in
der Ukraine - erweitert nur die "monetäre Kompetenz", die sich auf die
"Freiheit zu geben und zu nehmen" auswirkt). In einer
Grundeinkommensgesellschaft, in der jeder ein Mehr an monetärer Freiheit
erhält, kann man sich weiterhin nicht sicher sein, ob sein Gegenüber die
"Kompetenz zur Freiheit" erlangt hat. Es bleibt beim Vertrauen in die
"Kompetenz zur Freiheit".
Viele Grüße aus Kiew,
Jörg (Drescher)
Projekt Jovialismus
http://www.iovialis.org
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Sent: Sunday, December 06, 2009 10:59 AM
Subject: AW: [Debatte-Grundeinkommen] Kompetenz zur Freiheit
Die Freiheit zur Kompetenz ist mehr als Gedankenkonstrukt. Frei machen
nur Kompetenzen die Menschen ganz praktisch befähigen, ihre Freiheit zu
leben. Es geht als auch darum, dass Menschen über die
praktischen/beruflichen Fähigkeiten verfügen, die sie frei machen, das
zu leben, was sie sind und was sie brauchen. Ein philosophischer
Freiheitsbegriff und Geld alleine reichen nicht für ein gutes Leben, das
findet nicht im Kopf statt sondern in der echten, lebendigen Welt. Im
Austausch mit der Natur. Im Austausch zwischen Menschen. Mein Vorschlag
"Die Könnensgesellschaft" plädiert für Arbeit unter den Bedingungen der
Freiheit UND der Kompetenz.. Es brauch also Menschen, die von klein auf
oder auch im Laufe des lebens befähigt werden, im Austausch mit anderen
Menschen ihre Freiheit und ihre Fähigkeiten/Kompetenzen zu leben. Ich
bin ein großer Anhänger von Hannah Arendt und ihrem Konstrukt des Homo
Faber. Der Homo Faber braucht neben seinen Fähigkeiten die
Rahmenbedingugnen sie zu leben.. das kann privateigentum sein oder auch
Gemeinschaftseigentum.. auf jeden Fall mehr als ein freier Will oder nur
geistige Kompetenzen .. die gute Nachricht daran ist: Das geht. Wo
beides zusammenkommt, können Menschen in Freiheit ihr Fähigkeiten und
Kompetenzen leben und weiter entwickeln. Das Grundeinkommen ist unter
solchen Bedingungen der Nährboden auf dem die Freiheit gelebt werden
kann. Aber ohne das Menschen Fähigkeiten leben und Entfalten können
macht es weder froh noch reich (ich rede nicht von Geld sondern von
"blühenden Menschen")
Gruß!
Christine Ax
www.koennensgesellschaft.de
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