[Debatte-Grundeinkommen] Grundeinkommen selbstgemacht

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Do Apr 30 10:29:08 CEST 2009


Hallo, Jens!

Dem ersten Teil Deiner Replik (siehe unten!) stimme ich bedenkenlos
zu: Das bedingungslose Grundeinkommen ist - unter anderem - eine
Maßnahme zur Durchdringung der Gesellschaft mit der Erkenntnis, dass
Arbeit - und vor allem Erwerbsarbeit - nicht alles ist bzw. dass das
System bzw. das Verhältnis von Arbeit als Ganzem und dem Anteil der
Erwerbsarbeit daran mal gründlich überdacht werden muss.

Der zweite Teil Deiner Replik krankt einfach daran, die erfolgreiche
Durchsetzung eines bedingungsloses Grundeinkommens nicht Ernst zu
nehmen! :-)
Wenn das BGE erst einmal da ist, dann kommt es natürlich zu
Überlegungen, was Arbeit wert ist. Das wird in der Tat dazu führen,
dass sich a) die Bezahlung und b) die Bereitschaft, aber auch - und
das unterschlägst Du einfach - c) die Verteilung ändern wird.
Du unterstellst z.B., dass die - ums mal euphemistisch auszudrücken:
wenig attraktive - Arbeit an der Müllpresse auch unter den Bedingungen
des BGE eine Vollzeitstelle von 40 Stunden die Woche umfasst. Warum???
Vielleicht ist es nur eine 20-Stunden-Woche im Zwei- oder
Drei-Schichten-System und das auch nur vier Wochen im Jahr?! Danach
kommen andere Leute dran, die in einer Mischung aus Selbstaufopferung
für die Gesellschaft (die so etwas vielleicht unter den Bedingungen
des BGE ohnehin weniger nachfragt?) und mit Extra-Lohnmitteln
geförderter Bereitschaft diese Arbeit für eine gewisse Zeit machen.
Die Pflege wird sowieso - das sieht man ja heute schon - zur
Selbstaufopferung hin tendieren - wie sie es früher auch einmal war
und wie es wohl auch ihr Kernprinzip ist! Wer sich nicht hingibt, kann
nicht wirklich jemanden pflegen! (Das sag ich so in meinem
jugendlichen Leichtsinn, aber - HEY! - wenn meine Tochter krank ist,
dann pflege ich sie gesund und dann sind andere Verpflichtungen eben
nachrangig. DAS ist Pflege!)

Im Endstadium einer vom BGE angestoßenen Entwicklung werden wir in der
Tat auf Geld als Vermittlungskrücke für Produkte und Dienstleistungen
der Daseinsvorsorge verzichten können, denn schon heute haben wir eine
globale 100-prozentig arbeitsteilige Welt und es gibt keinen Grund
anzunehmen, dass jemand sich "wertvoller" am Weltbruttoinlandsprodukt
beteiligt, bloß weil er ein bisschen mehr arbeitet als andere, oder
dass man andere "Schmarotzer" nennen dürfte, bloß weil sie ein
bisschen weniger offensichtlich dazu beitragen oder gar NUR
konsumieren, denn das trifft auf schwer behinderte Menschen auch zu -
und ich werte eine Behinderung nicht als Entschuldigung bzw. als
Alibi, um denjenigen TROTZDEM mitzutragen, sondern als Grund, ihn erst
recht mitzutragen, weil er's alleine nicht schafft. Und dasselbe
trifft für echte "Faulheit" zu, die schließlich nichts anderes
darstellt als die den Workaholics gegenüberliegende Flanke der
Gauß-Kurve der Leistungsfähigkeitsverteilung über die menschliche
Gesellschaft - und es ist nicht bewiesen, dass Workaholics der
Gesellschaft dienlich sind, außer man betrachtet es aus der
Perspektive eines Ausbeuters. Abgesehen davon soll das BGE ja auch
eine Art "aktivierenden Sozialstaat" darstellen (Sagt das vielleicht
mal der SPD, dann kann sie sich vielleicht doch noch retten, bevor ihr
politischer Suizid irreversibel wird!), indem die Potenziale der
"faulen" Menschen, die mit dieser Eigenschaft bloß auf die ihr von der
Gesellschaft aufs Auge gedrückte Perspektivlosigkeit reagieren,
erschlossen werden. Denn tätig werden will eigentlich jeder gesunde
Mensch irgendwie - man muss ihm nur den Weg ermöglichen - und zwar
WIRKLICH ermöglichen, nicht nur sagen, dass es ihn gibt, was als
"Chancengerechtigkeit" berühmt-berüchtigt wurde.

Viele Grüße
Manfred




2009/4/30 Jens Kasten <jens.kasten at gmx.com>:
> Hallo Manfred Bartl,
>
>> Die Idee beim Grundeinkommen ist DEFINITIV NICHT, dass der, der mehr
>> arbeitet, auch mehr Geld hat als der, der weniger arbeitet!!! Im
>> Gegenteil: Das Grundeinkommen muss die Perspektive auf die Tatsache
>> eröffnen, dass zwischen der selbstbestimmten (!) Leistung für die
>> Gesellschaft und der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse kein
>> kausaler Zusammenhang besteht! (Abgesehen von dem trivialen, dass ich
>> umso weniger konsumieren kann, je intensiver ich mich mit meiner
>> Arbeit beschäftige).
>
> richtig,
> wer weniger arbeitet kann mehr konsumieren.
> er sollte darum nicht weniger geld bekommen, als der,
> der es noch nicht gerafft hat, das arbeit nicht alles ist.
> der (vielarbeiter) wird schon noch dahinter kommen, dass es ausser
> rackern und sich an den füßen spielen beim fernsehen noch mehr gibt.
>
>> Die "Leistungsgesellschaft" ist ein aberwitziges Konstrukt kranker
>> Seelen, die als Arbeit nur Erwerbsarbeit gelten lassen, dann auch noch
>> Arbeit mit Fronarbeit verwechseln und Konsum als Form des Glücks
>> betrachtet. Prost Mahlzeit!
>
> wozu brauchen wir überhaupt geld, wenn wir unsere arbeitsprodukte nicht mehr tauschen wollen (erwerbsarbeit) sondern eher verschenken wollen?
> wenn alle mit dem bge das tun, was sozial angesagt ist, wer fährt dann den müll weg? jener der es noch nicht gerafft hat?
> jener, der nun einen höheren lohn fordern kann, weil kollegen nun lieber an einem buch schreiben oder ihre oma pflegen? vollzeit.
> weil nun weniger kollegen da sind, bekommt er nun doppelten lohn für anderthalbe arbeit. irgendwann kippt er um. überarbeitet.
> jetzt dämmerts ihm. also müll liegengelassen und mitgepflegt.
> wer bringt jetzt den müll weg? wer füllt die regale? und womit?
> werden wir immer welche brauchen, die es nicht verstanden haben?
> wie machen wir das denen klar?
>
> ratlos
> jens kasten
>
>
>
> -------- Original-Nachricht --------
>> Datum: Tue, 28 Apr 2009 03:20:21 +0200
>> Von: Manfred Bartl <sozial at gmail.com>
>> An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>> Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Grundeinkommen selbstgemacht
>
>> Hallo, Victor!
>> Hallo, Philipp!
>> Hallo, Mitstreiter!
>>
>> Eines gleich vorweg: Die Idee mit dem gemeinnützigen Verein, der
>> seinen Mitgliedern ein Grundeinkommen auszahlt, ist gut gemeint, aber
>> völlig daneben. Wie kommt man bloß darauf, revolutionäre
>> gesellschaftliche Umwälzungen in einem Verein verwirklichen zu wollen
>> und dabei noch peinlich darauf achten zu wollen, dass die "rechtliche
>> Situation geklärt" ist???
>>
>> Zu zwei Denkfehlern Victors:
>>
>> Die Idee beim Grundeinkommen ist keineswegs, das Einkommen aller
>> Bürger fair und sozial umzuverteilen, sondern die Kaufkraft direkt aus
>> dem wirtschaftlichen Ertrag heraus sozial an alle Bürger zu verteilen
>> (NICHT umzuverteilen).
>>
>> Die Idee beim Grundeinkommen ist DEFINITIV NICHT, dass der, der mehr
>> arbeitet, auch mehr Geld hat als der, der weniger arbeitet!!! Im
>> Gegenteil: Das Grundeinkommen muss die Perspektive auf die Tatsache
>> eröffnen, dass zwischen der selbstbestimmten (!) Leistung für die
>> Gesellschaft und der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse kein
>> kausaler Zusammenhang besteht! (Abgesehen von dem trivialen, dass ich
>> umso weniger konsumieren kann, je intensiver ich mich mit meiner
>> Arbeit beschäftige).
>>
>> Roberto J. De Lapuente hat in seinem Weblog "ad sinistram" ganz
>> aktuell ein (leider nacktes) Zitat von Peter Kropotkin veröffentlicht,
>> das von mir stammen könnte: "Eine zukünftige Gesellschaft muss die
>> Idee des Entlohnens der Arbeit aufgeben. Es bleibt nur eines: Die
>> Bedürfnisse über die Leistungen zu stellen." Ich habe dies sofort
>> aufgegriffen und einen eigenen Weblog-Beitrag dazu verfasst:
>>
>> http://so-zi-al.myblog.de/so-zi-al/art/6363180/Kropotkin-meine-Rede-
>>
>> Die "Leistungsgesellschaft" ist ein aberwitziges Konstrukt kranker
>> Seelen, die als Arbeit nur Erwerbsarbeit gelten lassen, dann auch noch
>> Arbeit mit Fronarbeit verwechseln und Konsum als Form des Glücks
>> betrachtet. Prost Mahlzeit!
>>
>>
>> Gruß
>> Manfred Bartl
>>




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