[Debatte-Grundeinkommen] [rtga] Anregung für eine globale Kampagne

Andreas Exner andreas.exner at chello.at
Di Okt 21 21:52:01 CEST 2008


Lieber Karl, liebe Alle,
(Für InsiderInnen und vor allem für Dich, Karl, vorneweg: ich vertrete nicht die 
Krisentheorie der Krisis.)
Ich denke, wir könnten uns einig sein, davon auszugehen, dass die Profitrate 
in einer Krise sinkt. (Das ist schließlich die Definition einer kapitalistischen 
Krise.)
Wie Marx argumentiert, bereinigt die Krise dieses für das Kapital vorhandene 
Problem, indem sie Löhne absenkt, Rohstoffe verbilligt und Unternehmen 
bankrottieren lässt. Zudem verhärtet sich die Arbeitsdisziplin und die 
Disziplinierungsbereitschaft steigt häufig (wenngleich m.E. nicht immer und 
notwendig).
Ich halte das für plausibel und sehe daher nicht, wie beides vereinbar sein 
soll: 1. steigende Löhne inkl. "Soziallohn" namens Grundeinkommen (das 
noch dazu die Arbeitsdisziplin drastisch reduziert, was ja sein Sinn ist), 2. 
aber eine Profitrate die sich erholt.
Nehmen wir einfach einmal die wirklich wahnwitzigen Summen, die schon 
allein für die Bankenrettung bereit gestellt worden sind (und es ist nicht 
auszuschließen, dass die auch voll eingesetzt werden müssen; im Gegenteil, 
es scheint mir nicht unwahrscheinlich); und dann noch die 
Konjunkturprogramme. Der Staat wird mit einer Schuldenlast daraus 
hervorgehen, die nicht durch einen neuen Wachstumsschub erleichert werden 
wird. 
Nicht nur die Profite werden logischerweise in einer Krise reduziert, sondern 
auch die Spitzeneinkommen. (In China z.B. haben viele Vermögende rund ein 
Drittel ihrer Vermögen verloren, das las ich vor zwei oder drei Wochen in der 
Financial Times. Ich nehme an, dass es sich hier um einen Trend handelt, der 
sich fortsetzt. Warum ein GE "mehr denn je" finanzierbar ist, kann ich daher 
überhaupt nicht verstehen.)
Wenn Du es auch so siehst, dass es derzeit eine Vernichtung von fiktivem 
Kapital gibt, dann müssten wir doch auch gemeinsam sehen, dass die fiktiven 
Vermögen zunichte werden.
Aber dabei können wir ja gedanklich nicht stehen bleiben. Längst ist ja die 
Krise keine Finanzkrise mehr. Die Produktion wird in den meisten Branchen 
bereits zurückgefahren und viele Unternehmen (Kapitalien) werden die 
Rezession nicht überleben. Auch hier wird also realiter weniger 
kapitalistischer "Reichtum" zu verteilen sein. Jedenfalls kann man die 
bisherigen "Rechnungen" zur Finanzierung sicher nicht mehr weiterführen.
Ich sehe hier von "Komplikationen" wie dem US-Zwillingsdefizit ab, und der 
absehbaren, im Kapitalismus sehr schlimmen Folge einer Abwertung des US-
Dollars (siehe Elmar Altvaters Artikel dazu, den wir auf www.social-innovation 
verlinkt haben).
Was aber noch wichtiger, weil strukturell wirksam ist: die Rohstoff- und 
Energieteuerung hat schon vor der Finanzkrise Druck auf die Profitrate 
ausgeübt und sie wird das weiter tun - selbst in dem unrealistischen Fall, 
dass nicht eine lange Rezession bevorsteht. Und diese Teuerung ist nicht nur 
durch in den letzten Jahren rasch gewachsene Nachfrage, sondern wesentlich 
durch das Verknappungsphänomen inkl. dem Absinken der 
Arbeitsproduktivität (in der Erdölförderung, aber auch z.B. in der 
Kohleförderung) bedingt.
(Was ich übrigens nicht verstehe ist Dein Hinweis, wonach mehr Arbeitszeit 
in der Realwirtschaft verausgabt wird denn je. Es geht ja um die unbezahlte 
Arbeitszeit und deren Verhältnis zum Kapitalvorschuss. Die Sache ist also 
nicht so einfach.
Du scheinst mir auch implizieren zu wollen, dass nicht gerade im Kurzhalten 
der Reallöhne, der Verschärfung der Arbeitsdisziplin und dem Abbau des 
Soziallohns das Mittel bestanden hätte, die Profitkrise der 1970er Jahre zu 
bereinigen. Ich denke auch nicht, dass der Kapitalismus durch die I&K-
Technologie sein Dilemma der Überakkumulation und sinkender - nicht 
steigender - Produktivitätszuwächse überwunden hat.)
Würde der Staat bei rückläufiger Realwirtschaft nun - rein "gesetzt den Fall" 
gedacht - Geldleistungen per Kredit (woher sollte er sie sonst nehmen) 
auszahlt, so scheint mir der wahrscheinlichste Fall, dass die Inflation stark in 
die Höhe fährt und die Realakkumulation erst recht beeinträchtigt.
Aber da sind wir schon drei Schritte im Feld des gedanklich Fiktiven, wie ich 
denke. Denn schon die Schuldenlast, die sich die Staaten bereits jetzt auf 
den Hals geschafft haben, wird, wenn nicht Staatsbankrotte dieses (fiktive) 
Kapital nicht einfach vernichten oder der Staat sonstwoher (aus auf Null 
gesetzten Sozialleistungen z.B.) "eintreibt", ja doch zu einer (Hyper)Inflation 
führen.
Also wenn man argumentieren könnte, dass man mit dem GE bzw. der 
Forderung danach jetzt erst recht die kapitalistische Krise vorantreibt (falls 
das noch möglich und notwendig ist), dann sähe ich darin ja einen 
diskussionswürdigen Vorschlag.
Aber ich würde die Dinge doch anders sehen: in einer kapitalistischen Krise 
(noch dazu in dieser Dimension) ist es schlicht nicht möglich, die Geldmittel 
dafür zu erkämpfen. Wenn das schon in der Wachstumsphase nicht möglich 
war, warum jetzt, wo doch der Klassenkampf von oben (zuerst einmal) stark 
zunehmen muss. Natürlich bin ich dafür, jeden Angriff auf Löhne, Arbeitslose 
usw. abzuwehren. Sicherlich wird jeder Erfolg darin die kapitalistische Krise 
verlängern (wenn wir einmal den "ökologischen Fall der Profitrate", den ich 
oben angedeutet habe, außer Acht lassen, der die Lage so und so drastisch 
verändert), und natürlich wäre das ja auch mein Ziel. Aber doch nur, wenn 
daraus eine Perspektive erwächst. Zumindest im "starken Inflationsszenario" 
kann ich nicht sehen, wie eine Geldforderung sinnvoll sein kann.
Aber davon abgesehen denke ich nicht so "ökonomistisch", wie man mir 
vielleicht im Moment vorwerfen könnte. Mir geht es wesentlich darum, dass 
ein GE dann Sinn macht(e), wenn es die Idee, die Produktion und Versorgung 
anders zu organisieren - auf Basis konkreter Bedürfnisse, mit Partizipation 
aller, ohne Konkurrenz - befördert (und ermöglicht). Weil das GE aber als 
solches immer nur zuerst einmal die Forderung nach Geld und das heißt 
nach Verwertung, also Kapitalwachstum befördert, war das schon immer 
zwiespältig. 
In einer kapitalistischen Krise müssten wir zuerst das Kapital retten, um dann 
das GE fordern zu können.
So beißt sich die Katze der Befreiung aber immer nur selbst in den Hintern.
LG, Andreas
PS: Du scheinst zu implizieren, dass Du Dir Markt ohne Kapital vorstellen 
kannst. Aber das kann ich nun auch wieder nicht so annehmen. Also sehe 
ich hier jedenfalls einen Widerspruch.

> 
> Lieber Andreas und alle!
> Ich stimme da mit dir, lieber Andreas, überhaupt nicht überein. Das
> Thema wäre eine lange Debatte wert. Jetzt in aller kürze: 1. Die Krise
> zeigt drastisch, dass Geldvermehrung jenseits der Realwirtschaft nicht
> möglich ist, dieses fiktive Kapital wird nun vernichtet. (Bei diesem
> Punkt dürften wir uns noch einig sein.)  2. In der Realwirtschaft wird
> mehr Arbeitszeit verausgabt denn je. Nur erfolgt die Aneignung immer
> ungleicher, die Schere der Einkommen öffnet sich immer mehr. Das
> bedeutet 3. Durch massive Besteuerung von Profiten und
> Spitzeneinkommen könne das Grundeinkommen finanziert werden, mehr 
denn
> je.   Lg. Karl
> 
>     -----Ursprüngliche Nachricht-----
>     Von: runder-tisch-grundeinkommen-at-bounces at listi.jpberlin.de
>     [mailto:runder-tisch- grundeinkommen-at-bounces at listi.jpberlin.de]
>     Im Auftrag von Andreas Exner Gesendet: Dienstag, 21. Oktober 2008
>     20:05 An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de;
>     runder-tisch-grundeinkommen- at at listi.jpberlin.de; Markus
>     Schallhas Betreff: Re: [rtga] Anregung für eine globale Kampagne
> 
>     Ich erwarte eher, dass im Zuge der kommenden Rezession die
>     Forderung nach einem Grundeinkommen im Orkus der vergessenen 
Ideen
>     zu verschwinden droht. Ich wünsche das nicht, aber mir ist nicht
>     einsichtig, woher in einer kapitalistischen Krise die Geldmittel
>     dafür kommen sollen. Jetzt wird der Widerspruch schlagend, der
>     theoretisch schon öfters benannt worden ist, aber leider niemals
>     ernst genommen wurde. Man muss daher die Idee der unbedingten
>     Grundversorgung festhalten und die Geldfixierung überwinden. Das
>     wird überhaupt nur in harten Kämpfen - diskursiv und materiell -
>     durchsetzbar sein. Die Unterwürfigkeit gegenüber Politikern und
>     vermeintlich Mächtigen, die mit der Geldfixierung zum Teil einher
>     zu gehen scheint, wird jedenfalls zusehends absurd. LG, Andreas
>     PS: Eingehendere Reflexionen dazu z.B. unter http://www.social-
>     innovation.org/?p=775
> 
>     > Hallo,
>     > 
>     > Der Kongress naht und - über eines bin ich mir sicher - durch
>     die > aktuellen Ereignisse, sowie die Kampagnen in Namibia und
>     anderswo wird > die globale Ebene wohl ein dominierendes Thema
>     werden und das > Bedürfnis nach entsprechender Sichtbarkeit größer
>     werden lassen. > > Dafür, nachdem es wahrscheinlich viele Ideen
>     gibt, eine kleine von > mir: > > Am eindringlichsten finde ich die
>     Grafik von Namibia, in der die > Einkommensverteilung vor und nach
>     der Einführung des Grundeinkommens > dargetellt wird. Die
>     hatIkonen-Charakter! (siehe Anhang) > > Diese Grafik könnte
>     entpsrechend verändert für möglichst viele Länder > erstellt
>     werden, um eine globale ergänzt und in einem einheitlichen >
>     Format in Süd und Nord Verbreitung finden. Besonders mobilisierend
>     > würden wahrscheinlich Vergleiche ehemaliger Kolonisatoren und >
>     Kolonisierter wirken, zB Deutschland - Namibia, Belgien - Kongo, >
>     Spanien - Bolivien usw. Es wäre sicher sehr bewegend ein und das
>     selbe > Plakat, aber mit jeweils lokalem Inhalt, weltweit
>     verwendet zu sehen. > > Wäre auch auf andere Anregungen gespannt.
>     > > lG, > Markus Schallhas > > >
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