[Debatte-Grundeinkommen] Anträge zur a.o. MV 05.07.08

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Di Jun 17 05:12:49 CEST 2008


Hallo Brigitte, hallo alle,

vielleicht "tickt" jemand etwas anders, der 7 Monate lang das "Vergnügen" 
hatte, mit Mördern, Vergewaltigern und anderen Verbrechern eingesperrt 
worden zu sein, weil ihm die Verhältnisse auf der Welt als ungerecht 
erschienen und der etwas (mit Gewalt) ändern wollte (1997). Jemand, der die 
bedingungslose Liebe seines Vaters erfuhr, der trotz der Bombendrohung 
seines Sohnes jede Woche zwei Mal 70km fuhr, um mit ihm für 1h spazieren zu 
gehen. Jemand, der lange, tiefegreifende Diskussionen über die Zustände der 
Welt führte und seit Jahren Lösungen sammelt, was "besser" gemacht werden 
könnte. Ein Mensch, der in einem Land lebt, das aus dem Kommunismus 
entlassen wurde, in dem eine Revolution (2004/2005) stattfand und das nach 
Jahrhunderten auf dem Weg in die Selbständigkeit mit 
Identifikationsschwierigkeiten ist. Und trotzdem verlor dieser Mensch nicht 
den Glaube an das "Gute" im Menschen - nur ist vielleicht das Verständnis 
"differenzierter".

Ich bin von Brigittes Mail schockiert. Eine Mail, die weltfremd ein 
positives Menschenbild fordert und suggeriert, es bedürfe nur eines 
Grundeinkommens und die Welt wäre "besser". Das "Gute" läßt sich nicht 
erkaufen! Das habe ich Anfang 2007 in einem Aufsatz beschrieben, der hier 
veröffentlicht wurde (vor allem letzte Seite):
http://www.iovialis.org/counting.php?file=verhaltenstheorie.pdf

Weiter schockiert mich, daß eine gemeinsame Position gefordert wird, die 
bedingungslos zu unterstützen sei. Es hört sich an, wie bei den Grünen, die 
einen Atomausstieg fordern, aber eigentlich nie einen Plan vorlegten, wie 
dieser zu verwirklichen sei - inklusive Alternativen. Die "grünen 
Gutmenschen" fordern, ähnlich den GE-Befürwortern, irgendetwas, ohne eine 
Idee davon zu haben, wie es machbar sei. Vereinigend wirkt der Glaube daran, 
daß es geht. Aber der Strom kommt weiter aus der Steckdose - also ist alles 
im "grünen Bereich". Und Pläne werden abgelehnt, sofern die eigene 
Machtposition gefährdet wäre.

Weshalb lädt mich BIEN nach Irland ein, um genau darüber zu referieren, 
welche Finanzierungsansätze existieren? Weshalb hat das Netzwerk 
Grundeinkommen (außer in dieser Liste) noch nie über das Dilthey-Modell 
berichtet, das längst bei BIEN und im Archiv-Grundeinkommen veröffentlicht 
wurde und bei dem Kongress in Dublin mit zur Diskussion steht? Kommt es 
vielleicht daher, daß Dilthey eine eigene Partei hat und sich gewisse 
Mitglieder im Netzwerk Sorgen mach(t)en, durch Berichte über das Modell 
dieser Partei "Aufschwung" zu geben? Wie kann man eine bedingungslose 
Unterstützung fordert, wenn die Verwirklichung unklar ist? Diese Kritik 
wurde von diesem Netzwerk ebenfalls verschwiegen: 
http://www.bge-portal.de/2008050334/Allgemein/Finanzierung/Wichtigkeit-der-Finanzierungsgrundlagen.html

Auch das Demokratieverständnis ist für mich schockierend. Die Iren (weniger 
als 1% der europäischen Bürger) haben über das Schicksal von knapp 500Mio. 
Menschen entschieden. Diese Entscheidung kam allerdings weniger durch den 
Inhalt (kaum jemand hat den Vertrag gelesen, geschweige denn verstanden), 
sondern hing mit der irischen Politik zusammen: läuft in Irland etwas gut, 
ist es der Verdienst der irischen Regierung; läuft etwas nicht so toll, ist 
die EU der Buhmann. Hier zeigt sich, daß Basisdemokratie als reines 
Abstimmungsverfahren von (gemachten) Stimmungen abhängt und weniger 
inhaltlicher Art ist.

Es gibt allerdings Dinge, die basisdemokratisch (als Mehrheitsverfahren) 
nicht entschieden werden können - ja sogar die Menschheit als Ganzes 
gefährden könnten. Gewisse Dinge werden nicht "richtiger" und "wahrer", wenn 
sie von Mehrheiten als "richtig" oder "wahr" empfunden werden. Als Beispiel 
soll die Quantenphysik und Relativitätstheorie ausreichen (welche beide mit 
dem "normalen" Erleben wenig gemein haben).

Zuletzt möchte ich darauf eingehen, daß ich nicht gegen "Selbstorganisation" 
bin, "Basisdemokratie" als Optimierungsverfahren verstehe und Hierarchie 
durchaus nicht als Konsequenz für das Schlechte im Menschen sehe. Dazu habe 
ich eine "Staatstheorie" geschrieben, die meine Position verdeutlicht - wer 
sie nicht kennt, sollte entsprechend vorsichtig sein, mir irgendwelche Dinge 
zu unterstellen, die sich aus einer kurzsichtigen Interpretation meiner 
Aussagen ergibt. Die Staatstheorie kann hier nachgelesen werden (ca. 70 
A4-Seiten):
http://www.iovialis.org/counting.php?file=Jovialismus_Staatstheorie.pdf

Eigentlich wurde die Kritik von Brigitte (Oehrlein) auf meine Reaktion auf 
die Vereinsablehnung von Robert (Zion) ausgelöst. Ich denke, was ich hier 
geschrieben habe, macht deutlich, weshalb und daß ich für einen Verein bin. 
Sonstige Texte von mir unterstreichen diese Meinung.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)



----- Original Message ----- 
From: "Brigitte Oehrlein" <br.oehrlein at t-online.de>
To: <kontakt at grundeinkommen.de>; <redaktion at grundeinkommen.de>; "Debatte 
Grundeinkommen" <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Saturday, June 14, 2008 4:32 PM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen]Anträge zur a.o. MV 05.07.08



Hallo,

diese Mail läßt mich erschreckt fragen,
wo eigentlich gemeinsame Positionen liegen,
ein GE und zwar bedingungslos, zu fordern.

Stets war bisher die Annahme eines Menschenbildes für mich Ausgang
der GE-Forderung, der Mensch sei ein soziales Wesen, der,
bekäme er die Möglichkeit freier Entfaltung geboten,
das dringende Bedürfnis entwickeln würde,
die Gesellschaft, in der er lebt, nicht nur aktiv mitgestalten,
sondern ebenso sich produktiv in sie einbringen zu wollen,
da er das selbstverständliche Bedürfnis hätte,
einerseits sich selbst herauszufordern
und andererseits nach sozialer Anerkennung
und Reaktion auf sein Tun zu streben.

Immer wird menschliches Streben auch etwas mit Glauben zu tun haben,
nur dieser Glauben (nicht gleichzusetzen mit dem Glauben an einen Gott)
ist es, der den Menschen motivieren kann, in Bewegung zu bleiben
und nach Bewegung zu streben.
Glauben hat auch etwas mit dem Umgang mit Geheimnissen zu tun
und ich gehe nicht davon aus,
die Menschheit wird jemals in der Lage sein, alle Geheimnisse aufzuklären.
Das ist meiner Ansicht nach eine falsche Erwartung an Wissenschaft.

Glauben und das Menschenbild,
das jedes Individuum zu seinen, ihm eigenen, Verhaltensäußerungen führt,
sind untrennbar miteinander verwoben.

Die logische Folge eines Menschenbildes,
das den Menschen nicht zu sozialer Umsicht
und selbstbestimmtem, verantwortlichem Handeln fähig hält,
ist dann die Ablehnung von Basisdemokratie.

Ich halte es für einen erschreckenden Widerspruch,
einerseits für ein bGE zu kämpfen,
andererseits aber hierarchische Strukturen für notwendig zu halten.
Politik ist die Suche
nach einem produktiven Umgang mit Interessenkonflikten.
Wie anders sollten sie nachhaltig zu bewältigen sein,
wenn nicht durch möglichst gleichberechtigte Kompromißsuche?

Auch hinter dem Menschenbild,
es wären zu benennende Entscheidungsträger notwendig,
da die dumme Masse falschem Glauben anhänge,
steht nichts anderes als ein, eben nur negativer, 'Glaube'.

Zu bedenken geben möchte ich,
gerade an dem kirchlichen Machtanspruch,
die Richtigkeit widerlegter Behauptungen
mit Gewalt durchsetzen zu wollen,
ließe sich das Zerstörungspotential hierarchischer Strukturen
nachvollziehen.

Wenn auch in abgeschwächter Form, durchziehen diese Strukturen
auch das kapitalistische, derzeit neoliberale Marktsystem.
Da wird soeben mal die irische Bevölkerung für zu blöd erklärt,
so schwerwiegende Entscheidungen
wie einen komplizierten Vertrag verstehen und damit beurteilen zu können,
weshalb solche Entscheidungen
gewählten Vertretern vorbehalten bleiben müßten.
Wer nicht so will, wie die selbsternannten Eliten es für richtig halten,
soll sich bitte aus dem Entscheidungsprozeß zurückziehen,
wie es unser Außenminister gerade den Iren empfahl.

Das dahinter stehende Menschenbild,
geleitet von der Sicht, die Interessen Weniger
(Besitz und/oder Verfügungsgewalt von Produktionsmitteln)
seien gegen die Anderen rücksichtslos durchzusetzen,
muß zwangsweise zu der Annahme
der Notwendigkeit von Repression und Zwang führen,
sowie der Ablehnung wahrer Demokratie.

Wer, aufgrund seines 'Glaubens', nicht davon ausgehen kann,
Menschen wären grundsätzlich durch die Voraussetzung
Freiheit ermöglichender Bedingungen fähig,
miteinander zu Konfliktlösungsstrategien zu finden,
für den kann ein bGE niemals die notwendige Voraussetzung
wahrhaft demokratischer Strukturen bieten.

Für mich jedoch ist ein bGE unmöglich
von der Forderung nach radikaler Demokratisierung
und einer ganz anderen Form von Gesellschaftlichkeit zu trennen.

Viele Grüße
Brigitte 




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