[Debatte-Grundeinkommen] Feindbilder

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Fr Jul 18 20:05:24 CEST 2008


Hallo zusammen,

ausgehend von der "Grundsatzdiskussion" über Staat und dessen Sinn, möchte 
ich einmal das Thema "Feindbild" ansprechen. So findet sich bei den 
Anarchisten das Feindbild "Staat", das die individuelle Freiheit des 
Einzelnen durch die Organisation von Macht (=Herrschaft) beschränkt sieht; 
dabei soll der Staat eigentlich zum Schutz der Freiheit des einzelnen 
Individuums dienen, weil davon ausgegangen werden kann, daß nicht jeder die 
"Einsicht in die (notwendige) Selbstbeschränkung" hat (Hegel sah darin die 
eigentliche Freiheit).

Aber auch die sogenannten Kommunisten (oder auch in abgemildeter Form 
Sozialisten) arbeiten mit einem Feinbild: den Besitzenden, die andere (durch 
deren Besitzlosigkeit) in eine Abhängigkeit (=Unfreiheit) verdammen. Heute 
wird auf die "Neoliberalen" geschimpft und sie werden für die Zustände auf 
der Welt verantwortlich gemacht, weil sie nichts von ihrer eigenen Freiheit 
abzugeben bereit sind.

Bei den Liberalen findet sich kein wirkliches Feindbild, da der Liberalismus 
als verstärkter Individualismus (=Egoismus) verstanden werden kann. Das 
impliziert aber auch, daß jenen nicht geholfen werden braucht, die Hilfe 
nötig haben. Die (Neo)Liberalisten sehen allerdings aufgrund oben genannten 
(politischen) Strömungen ihre Freiheit gefährdet und bauen sich ein 
indirektes Feindbild auf.

Dann wäre da noch der "emanzipatorische Ansatz", den ich als "Jovialismus" 
bezeichne. Emanzipation (nicht als Frauenbewegung verstanden) bedeutet 
eigentlich die Entlassung in die Eigenständigkeit. Man hilft einem 
"Unfreien" in die Selbständigkeit, indem man ihm die "Einsicht in eine 
(notwendige) Selbstbeschränkung" vorlebt und damit vermittelt (deshalb das 
Wort "jovial", was heute oftmals als "von oben herablassende 
Gönnerhaftigkeit" verstanden wird).

Ein "emanzipatorischer Sozialstaat" (oder kurz "jovialer Staat") wäre 
entsprechend der Abbau von Feindbildern, die Förderung des Liberalismus mit 
starken Komponenten des Kommunismus, hin zu einer anarchistischen 
Gesellschaft (auch Urkommunismus genannt). Der Ansatz ist dabei auf die 
Zukunft gerichtet (wie in der Sowjetunion als sozialistisches Land der 
Kommunismus als "Endziel" angestrebt wurde).

Das Problem an der Sache ist, daß sich viele über (gemeinsame) Feindbilder 
definieren und somit Gemeinschaften bilden, in denen sie sich geborgen 
fühlen (abgekapselt von anderen = Individuelle Eigenschaft der Gemeinschaft 
= "liberale Gemeinschaft"). Dabei lösen sich die (soziologisch gesprochen) 
Milieus immer mehr auf (klassenlose Gesellschaft), was allerdings dazu 
führt, daß im Arbeitsamt (oder wie das heute heißen mag) ein junger 
Handwerker neben einem älteren Ingenieur sitzt und sich nichts zu sagen 
haben, weil Gemeinsamkeiten fehlen. Wen wundert dann Politikverdrossenheit 
und die niedrige Wahlbeteiligung?

Für jene, die sich für diese Analyse und Herleitung interessieren und welche 
Rolle das BGE dabei spielt, können das in (m)einem Ansatz zu einer 
Staatstheorie nachlesen:
http://www.iovialis.org/counting.php?file=Jovialismus_Staatstheorie.pdf

Viele Grüße aus Kiew (nach kurzem Aufenthalt in Dublin und Deutschland),

Jörg (Drescher) 




Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen