[Debatte-Grundeinkommen] Grundsatzfragen

Agnes Schubert Agne.s at gmx.de
Do Jul 17 12:22:28 CEST 2008


26912 at t-link.de schrieb:
Viel Text und wenig zum BGE. Aber es ist richtig: über einiges 
Grundsätzliches muss man auch mal sprechen. Ich will versuchen die Nähe 
zum Thema BGE zu wahren und deine Email dennoch ausreichend zu 
beantworten, hoffentlich ohne - wie du! - zu lang zu werden, und doch 
auch ausführlich genug, um nicht wieder Missverständnisse durch Ironie 
und Verkürzung aufkommen zu lassen. Ich werde mich hier also nicht zu 
allem äußern, dem ich nicht zustimme, sondern nur zu Grundlegendem. Ich 
denke und hoffe wir sind uns mehr einig, als du bei deiner langen Email 
vielleicht annahmst.
> Menschen sind (wie auch Affen) in erster Linie egoistisch ...
Korrekt. Von der Menschwerdung her ist der Mensch auf sein Fortkommen 
und das seiner genetisch nächsten und näheren Verwandten (Kinder 
Geschwister ... Sippe) geprägt. So hat es wohl die natürliche Auslese 
befördert.
Im Gegensatz zum Affen hat aber der Mensch ein ausgesprochen hohes 
Denkvermögen und er ist in der Lage, über sein Dasein nachzudenken und 
auch Kooperationen einzugehen. Soweit scheinen wir also annähernd einig.
> ... Menschen möchten immer das (scheinbar) schönere, bessere, 
> schnellere, gesündere.
> Menschen in eine Standartform pressen zu wollen funktioniert nicht.
Die beiden Sätze widersprechen sich schon eigentlich gegenseitig! Aber 
du meinst sicher, man könne die Menschen nicht in eine ihnen nicht 
*passende* Form pressen. Die simple Standartform, die du für den 
Menschen hast, passt aber eben auch nicht.
Ja, eigentlich gibt es keinen wahren Altruismus, das heißt, auch der 
Mensch ist also ein Egoist pur. Alles tun wir mit dem Ziel, uns danach 
irgendwie besser zu fühlen. Dieses Fühlen macht dem eigenen Vorankommen 
aber auch gelegentlich ein Strich durch die Rechnung. So passt die 
Überflussgesellschaft nicht zu unserem genetisch geprägten Essverhalten. 
Und die Lust zur Selbstbestätigung führt zu so wunderlichem einseitigem 
Verhalten wie Spenden oder für Wikipedia schreiben oder auch nur unsere 
Diskussion hier. Mit unter ist wohl aber auch da bereits ein Nachdenken 
verwoben, dessen Ergebnis besagt: Wenn es allen besser geht, dann geht 
es mir auch besser. So erhofft sich der Mensch eben auch von einseitigen 
Mühen ein Vorteil. Der Mensch ist nicht nur aus rationalen Gründen kein 
kurzsichtiger Homo Ökonomikus, sondern er ist bereits auch emotional zu 
sozialem Verhalten geprägt. Das haben viele sozialwissenschaftliche 
Experimente inzwischen gezeigt.
> Das ist das Dilemma, zuviel Staat funktioniert nicht, da rebelliert 
> das Individuum weil es sich eingezwängt fühlt,
> zuviel Markt funktioniert aber auch nicht, der wird das Individuum 
> automatisch amoralisch, ungerecht und maßlos gierig.
Das ist erstens  schon tautologisch formuliert. "zuviel" behauptet 
bereits, das es nicht geht, weil es eben zu viel ist. Ab wann es zu viel 
ist, wäre erst die Information. Zweitens gibt es und gab es verschiedene 
Ordnungen, die das eher extrem  bezüglich heutiger Balance gewichtet 
haben, die alle zeitweilig funktioniert haben von Manchesterkapitalismus 
bis Faschismus oder diesem DDR-Sozialismus. Bevor du jetzt auf das 
"zeitweilig" abfährst: Nichts hat ewig funktioniert, und ich gehe 
jedenfalls nicht davon aus, das irgendetwas ewig funktionieren wird. 
Drittens ist das Funktionieren einer Gesellschaft noch kein Lob dieser.  
Es kommt darauf an, was die Menschen davon haben, nach meinem 
egoistischen Maßstab genauer gesagt, was ich davon habe.
Wenn man leidet, muss man eben auch mal gegen das Funktionieren aufbegehren.
> Der Staat ist Garant der Gerechtigkeit, ....Er muss für den Bürger 
> arbeiten ... dem Staatsmonopol Grenzen gesetzt werden...muss ... 
> transparent sein
Der Staat ist schlicht das Organ, der genau das Funktionieren der 
jeweiligen Gesellschaft gewährleistet.  Ob er das nach innen mehr mit 
Gewalt macht, mit oder ohne ausgefeiltem Rechtssystem, oder aber auch 
mittels Sozialmaßnahmen ein Aufbegehren sonst Benachteiligter 
vermindert, ist dann nur eine Frage der Gewichtung der verschiedenen 
Methoden. Ein ganz anderer Punkt aber ist, was du von ihm erwünschst, 
was du für einen guten Staat hältst.
Für mich ist ein guter Staat einer, der sich selbst immer mehr 
überflüssig macht. Einer, der die Interessensgegensätze so vermindert, 
dass es immer weniger übergeordneten Regelungsbedarf gibt. Das bedeutet 
nicht Gleichmacherei in allen Bereichen, sondern nur Vermeidung dessen, 
dass die Bedürfnisbefriedigung des einen auf  einer Einschränkung eines 
anderen beruht. Eine allseitige weitgehende Einsicht in Notwendigkeiten 
ist da eine Voraussetzung wie die gleichhohe Achtung aller Mitglieder 
der Gesellschaft und ihrer Bedürfnisse. Ein Ausbau der für alle offenen 
Bildungsmöglichkeiten ist da genauso ein Baustein, wie ein Angleichen 
der monetären Lebensverhältnisse (eben auch mittels BGE).  Transparenz 
und allgemeine Kontrolle des Staates ist bei heute existierenden 
Interessensgegensätzen leider gar nicht überzubewerten, weil die 
verschiedenen Interessenten mittels Einflussnahme da ihren Vorteil suchen.
> Der Markt:
> Der Mensch definiert sich über seine errungenen Vorteile.
Ich nicht!!! Der Vorteil gegenüber anderen und auch das Angeben damit 
und so auch die Selbstdefinition darüber sind auch höchstens da 
existent, wo genau dieser Vorteil die bessere Bedürfnisbefriedigung 
befördert.
>   ... Der Markt muss also auch Freiheiten haben, damit er innovativ 
> und erfindungsreich ist und somit den Staat finanziert...
Ohne dem Vorherigen zuzustimmen, können wir uns dennoch auf deine 
Quintessenz einigen. Den Rahmen muss der Staat da setzen, wo Anbieter 
und Nachfrager ungleiche Voraussetzungen haben und Konkurrenz oder 
Marktübersicht unzureichend gegeben sind. Da wo z.B. der 
durchschnittliche Verbraucher mit der chemischen Analyse seiner 
Nahrungsmittel überfordert ist, muss die staatliche Kontrolle her, weil 
der Interessensgegensatz zwischen Verbraucher und Produzent gelegentlich 
arg hoch ist und der reine Markt immer zu lasten des gutwilligen 
Produzenten wie natürlich des Verbrauchers gehen würde.
Genauso ist der Staat bisher gezwungen, auf dem Arbeitsmarkt Richtlinien 
zu setzen, die den Arbeiter schützen, solange er sich nicht frei für 
oder gegen das Arbeiten entscheiden kann, bzw ihm mangels fehlender 
Nachfrage nicht praktisch genügend Arbeitsalternativen zur Verfügung 
stehen. Das wird durch ein existenzsicherndes BGE anders werden.

> Daher liebe Agnes, wird die Anrufung der Vernunft nicht funktionieren.
An die Vernunft zu appellieren ist das Einzige was hilft, wenn man nicht 
die Möglichkeit bzw. den Willen zur Gewalt auf seiner Seite weiß. Baut 
man hingegen auf das Gewaltmonopol des Staates, so muß man sich erst 
dessen bemächtigen - demokratisch durch Überzeugung der Mehrheit. Das 
wiederum über ein Appell an ihre Vernunft.
> daher wird auch kein Unternehmer auf Profit verzichten, ...
Täte er dieses freiwillig, wäre es auch reine Unvernunft, seiner 
Zweckbestimmung als Unternehmer zuwider. Gelegentliches diesbezüglich 
ist nur aus weiteren externen Motiven erklärbar.

>
> Die Menschen wollen Marktwirtschaft weil sie Indiviuen sind, daran
> kommt kein Staat, keine menschliche Vernunft und auch kein Marx vorbei...
Entschuldigung, aber das ist nach meinem Dafürhalten schlicht:     Quatsch!
Die Menschen wollen zum einen möglichst gut und bequem leben. Solange 
sie  die Gewährleistung dessen den Marktmechanismen am besten zutrauen, 
bauen sie auf die Marktwirtschaft. So weit ist das nur vernünftig.
Wenn Umwelt und soziale Sicherheit da zu kurz kommen, muss eine 
Planwirtschaft, sprich ein bewußtes staatliches eingreifen in diese 
Mechanismen her. Das findet auch bei uns statt. Und das wurde wohl im 
Real-Sozialismus - neben vielen anderen Unzulänglichkeiten - "etwas" 
übertrieben. Eine grundsätzliche Abschaffung des Marktes war selbst da 
nicht vorgesehen, weil man sich wohl nicht zutraute, 
Bedürfnisbefriedigung und Produktion allein mittels Plan aneinander 
anzupassen.

> Nun, nehmen wir einen Moment an, wir haben die perfekte Gesellschaft 
> gefunden, wo alle glücklich und zufrieden sind.
> wie wird die Umwelt darauf reagieren wenn Deutschland plötzlich die 
> Insel der Glückseeligen ausruft ?
Du hast Probleme :)
Wenn wir diese "Insel der Glückseeligen" dann nicht auf  Kosten der 
anderen haben, ist es ein leichtes für die anderen unser tolles Modell 
zu kopieren. Wo soll dein Millionär dann hin?

> ... Ein Messias wird also nicht kommen, zumindestens nicht auf 
> demokratischem Weg. Es müsste also eine neue politische Kraft kommen, 
> die wirklich fürs Volk arbeitet, die die Regierung übernimmt, nicht 
> nur ein bisschen mitregiert, sondern absolut mehrheitlich regiert, die 
> diese Monopolwirtschaft Schritt für Schritt zerschlägt. Die die 
> Gesetze, die Verteilung aber auch die Wirtschaft langsam aber stetig 
> umreformiert..
Man sollte von dem Wählen der Repräsentanten nicht mehr erwarten als es 
ist. Man wählt jene, die dann über einen macht haben werden. Mit 
Demokratie = Volksherrschaft hat das nur bedingt zu tun, wenn 
abgeordnete nur ihrem Gewissen verpflichtet sind, zumal dieses auch 
käuflich sein kann und wiederum mit Koalitionszwängen ausgehebelt wird. 
All das Vertrauen was in neue oder aufsteigende Parteien gesetzt wird, 
muss letztendlich scheitern. Auch bei den Linken ist letztlich nichts 
sicher wie sie sich weiterhin entwickeln. Gibt es mit ihnen ein BGE? Das 
einzige was da eine Unterstützung verdient, ist das konsequente 
Einsetzen für plebiszitäre Elemente, damit man nach der Wahl künftig 
seine Stimme behält, und man sie nicht immer schon vor der Entscheidung 
abgegeben hat. Und ja mehr Bildung gehört auch dazu, weil ein 
Volksentscheid über manches heute noch all zu leicht durch Medien 
manipulierbar wäre. Aber das Kind namens Volk sollte doch nun bald die 
Pubertät hinter sich bringen und volljährig werden.

> Aber das BGE, ob es nun kleiner oder größer Schritt sei,
> ist offensichtlich das Einzige was wir gesellschaftlich noch nicht 
> ausprobiert haben.

Das nun wieder auch nicht. da gibt es noch viele Möglichkeiten, von 
denen ich manche positiv finde und vor manchen mir auch sehr graut.

> BGE kann nur kommen wenn jeder versteht wie es organisiert werden soll.
Ja.

AgneS





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