[Debatte-Grundeinkommen] Konzept Grundeinkommen

Enrico Weigelt weigelt at metux.de
So Aug 10 18:04:51 CEST 2008


* A.N. <anke.niebuhr at o2online.de> schrieb:
> Hallo Enrico,
> 
> gute Argumente. Da muss ich erstmal ein bisschen drüber
> brüten.

;-P

> >  Was ist mit allen anderen Leuten, zB. Selbstständige, Pensionäre,
> >  Beamte, Schüler/Studenten/Azubis, Empfänger von Ersatzleistungen,
> >  usw., usw ?
> >
> >  Unsere Gesellschaft besteht nunmal nicht fast ausschließlich
> >  aus sog. "Arbeitnehmern". Wenn Du nur diese eine (stetig kleiner
> >  werdende) Gruppe zu Lasten aller anderer fördern willst, dann
> >  wird das recht schnell zur Diskriminierung.
> 
> Meine Idee ist, dass pauschal in eine Kasse gezahlt wird. Diese
> Kasse soll für alle zuständig sein ohne Unterschiede zu machen.
> Mit Arbeitgeber meine ich auch letztendlich nicht eine Person an sich,
> sondern eher den Betrieb, der in irgendeiner Form etwas produziert
> oder anbietet. Also auch Selbständige, die keine Angestellten haben.
> Die Höhe der Beiträge könnte sich nach dem Umsatz richten.

Damit beseitigst Du aber auch den letzten Rest des Versicherungskonzepts
und ersetzt es durch eine direkte Umlagefinanzierung.

An dem Punkt würde ich aber noch einen Schritt weiter gehen und es 
direkt aus allgemeinen Steuern bezahlen. Das hätte dann den Vorteil,
daß nicht nur Erwerbseinkommen, sondern auch alle anderen Steuern
der finanzierenden Körperschaft (zB. des Bundes) einfließen. 
Das kann man durchaus als gerechter empfinden, vorallem weil es die
Versorgung des Einzelnen von dessen individuellen Einkünften entkoppelt.

Alledings habe ich damit große Bedenken, weil dadurch noch mehr 
Monopolisierung entsteht. Es gibt dann nämlich *keinerlei* Wettbewerb 
mehr (der ja im aktuellen Modell zumindest teilweise noch vorhanden ist). 
Der großen Kostentreiber und für die grobe Unter- bzw. Fehlversorgung
verantwortliche korrupte Beamtenapparat (kassenärztliche Vereinigungen,
udgl.) wird damit in keinster Weise eingedämmt, sondern noch massiv
verstärkt ! 

Den gleichen Gerechtigkeitseffekt kann man aber erreichen, indem man
einfach jeden Bürger - mittels BGE - genug Geld in die Hand gibt,
um sich eine private Versicherung leisten zu können. (inwiefern hier
noch in Bereichen wie Verbraucherschutz nachgearbeitet werden müßte,
lasse ich hier mal offen). Hier haben wir aber - im Gegensatz zum 
System der GKV oder gar einer gleichgeschalteten Einheits-"Versicherung"
einen Wettbewerbsdruck - die Versicherungen müßen effizient arbeiten,
um am Markt zu bestehen. Daraus folgt auch ein Eigeninteresse zur Vorsorge,
denn verhinderte Krankheiten sind immernoch günstiger als behandelte.

Die Erfahrung hat gezeigt, daß Monopolsysteme gleich welcher Art auf 
kurz oder lang immer Ineffizienz und Mißbrauch neigen. Deshalb muß
man sie auf ein Notwendiges beschränken. Das BGE ist ein sehr einfaches
Modell, das sich leicht steuern läßt (hat nur ganz wenigen Parameter).

> >  Erwachsene Menschen braucht (und soll) man nicht vor ihrer eigenen
> >  Unvernunft schützen, solange sie niemanden anderen damit gefährden.
> >  Es gibt auch Leute, die sich selbst vestümmeln, weil sie's toll
> >  finden. Das rechtfertigt aber nicht, daß deshalb Millarden über
> >  Millarden verpraßt werden.
> 
> Also heißt Dein Motto, sie verrecken zu lassen, weil sie selbst
> Schuld sind?

Wenn das auf bewußten, selbst gewollten Taten beruht, dann ja. 
Dinge wie Suizid oder Selbstzerstümmelung ist für mich ebenso
ein unabdingliches Menschenrecht wie das Recht auf köperliche
Unversehrtheit.

> Was ist mit Gewaltopfern? Menschen, die Opfer von Gewalttaten
> werden, sind oft nicht mehr in der Lage sich selbst zu schützen.

Das ist dann aber wohl keine freiwillige Entscheidung mehr. 
Diesen Leuten wird von anderen großes Leid zugefügt, und deshalb
benötigen sie den Schutz der Allgemeinheit. Unmittelbare Folge
aus den Menschenrechten. 

> Vergewaltigung zum Beispiel führt oft dazu, dass das Opfer mager-
> süchtig wird oder sich selbst Schnittwunden zufügt. Diese Menschen
> haben ihren Lebenswillen verloren. Ich würde es nicht richtig finden,
> sie ihrem Schicksal zu überlassen. Das gleiche gilt für Menschen,
> die nie richtig erwachsen werden können, weil sie psychische Probleme
> haben.

Solche Situationen entstehen infolge einer konkreten, nachweisbaren
Krankenheitssituation (uA. auch ausgelöst durch Gewalttaten). 
Daß diese Leute Hilfe benötigen, liegt ja auf der Hand.

Aber ich kenne durchaus Leute, die sich selbst verletzen oder - in 
vollem Einverständnis - von anderen verletzen lassen, zB. weil sie 
daraus ein Lustempfinden ziehen. Willst Du das etwa verbieten ?!

> >  > Glaubst Du allen Ernstes, dass ein Drogensüchtiger eine
> >  Krankenversicherung
> >  > abschließt, wenn er/sie das Geld in Drogen umsetzen kann?
> >
> >  Suchtkranke sind eine ganz andere Baustelle. Diese Leute brauchen
> >  ohnehin eine ordentliche Betreuung, schon für viel grundlegendere
> >  Dinge, zB. die tägliche Ernährung.
> 
> Stimmt. Aber die Betreuung hat nichts damit zu tun, dass eine HIV
> Behandlung teuer ist. Was also, wenn dieser jemand keine Versicherung
> hat?

Aus welchem Grunde sollte jemand keine Versicherung haben, außer
daß man sie sich nicht leisten kann (was ja genau durch das BGE 
eliminiert werden soll)

> >  Haben sie doch. Genau dafür bekommen sie doch BGE, um sich das dann
> >  problemlos leisten zu können. Wer dieses Angebot ausschlägt, der
> >  ist dann auch selbst dafür verantwortlich.
> 
> Ok. Was passiert aber dann mit den Menschen, die keine Versicherung
> haben? Das hast Du mir noch nicht beantwortet. Du würdest sie also
> Schmerzen leiden lassen ohne Behandlung und ggf. auch verrecken lassen.
> Habe ich Dich da richtig verstanden?

Wenn das deren freiwillige, bewußte Entscheidung war, dann ist es
doch genau das was sie wollen, bzw. willig inkauf nehmen. Ich sehe 
keinen Grund, warum man freiwillig auf eine Versicherung verzichten 
sollte, es sei denn man hat eine andere Lösung parat. Und genau
das ist der entscheidende Punkt: es kann ja auch noch vielfältige
andere Möglichkeiten geben, wie man *ohne* eine KV auskommt. 

Denkbar wäre zB.:

* alternative Gemeinschaften, welche ihre Mitglieder selbst 
  versorgen oder für die Behandlungskosten eintreten
* religiöse Anschauungen, die unser heutiges Medizinsystem 
  als solches ablehnen und andere Lebenswege beschreiten
  
usw, usw.

> >  Von mir aus kann man auch gern die Auflage machen, daß jeder BGE-
> >  Empfänger eine Krankenversicherung abschließen muß. Aber sowas
> >  muß auch überprüft werden, was wiederum ordentlich kostet.
> 
> Eben. Darum sollte das Geld ja meiner Meinung nach auch pauschal
> in eine Kasse gezahlt werden ohne Unterscheidung wer Anspruch hat.
> Weil dann alle den gleichen Anspruch haben.

Damit landes Du aber unmittelbar bei einem gleichgeschalteten, 
zentralitischen System, in dem es keinerlei Vielfalt mehr gibt.
So ist dann auch der Weg für neue, alternative Behandlungswege
effektiv verschlossen. Das ist das exakte Gegenteil von Leben:
statische Existenz.

> >  Ah, Du glaubst also noch an den Mythos, daß das System der GKV
> >  günstiger ist als ein privates System ?
> 
> Ich glaube, dass es zumindest möglich wäre, ein solches System zu
> schaffen.

Theoretisch ist vieles möglich. Theoretisch wäre auch ein völlig
uneingennütziger Diktator, der nur im Interesse der Menschen handelt,
möglich. Wie oft passiert das in der Praxis ?

> Es wird in einen großen Topf eingezahlt. Jede Gemeinde hat eine eigene,
> selbstverwaltete, gesetzliche Krankenkasse, die ihre Ansprüche an den
> großen Topf meldet und Zahlungen nach Bedarf erhält. 

Wer legt fest, was ein legitimer Bedarf ist ?

Hier hast Du nach wie vor ein zentralistisches und absolutistisches
System, das ledeglich Abteilungen in den Gemeinden unterhält. 
So ähnlich war die DDR strukturiert: hierasche Untergliederung
in Verwaltungsbezirke.

> Wenn eine Gemeinde deutlich mehr verbraucht als alle anderen, wird 
> geprüft, ob das alles mit rechten Dingen zugeht.

Wie soll diese Prüfung ablaufen ? Nach welchen Kriterien ? 
Wie gehtst Du mit Gemeinden um, in denen sich zB. (wie hier in Suhl) 
besonders viele Rentner (die erfahrungsgemäß krankheitsanfälliger
als Jüngere Leute sind) ballen ? 

> >  Oder den Mythen wie, Jesus Christus oder daß ein paar Barrel Kerosin
> >  massivsten Baustahl schmelzen ...
> 
> Ich denke, dass es Jesus Christus als Person gegeben hat. 

Kennst Du dafür einen Beweis ? ;-o

> >  Religion ist heilbar, zB. durch Bildung!
> 
> Nein, es gibt sehr viele gebildete Menschen, die trotz Intelligenz 
> an Gott glauben.

Der Glaube an einen Gott ist noch keine Religion. Eine Religion 
entstehet, wenn unprüfbare Weltanschauungen als Wahrheit 
definiert und institutionalisiert werden. 

> >  > - die Empfänger von GEK sollten ihr Geld nicht für Krankenversicherung
> >  >   ausgeben müssen.
> >
> >  Gut, dann fordere ich auch eine gesetzliche Essensversicherung,
> >  die jedermann eine gesunde Ernährung sichert.
> 
> Meinetwegen. Aber ohne Krankenversicherung kann man in eine Situation
> geraten, die mit "normalen" finanziellen Mitteln nicht mehr bezahlbar
> ist. Dann kann man sich Gesundheit nicht mehr leisten.

Das kann auch auf vielfältige andere Weise passieren.

> Nun ja, es gibt Menschen, die haben eine Idee. Diese Idee können sie
> nicht alleine umsetzen, also suchen sie sich andere Menschen, die
> dabei helfen. Als Dankeschön erhalten die Helfer zum Beispiel Geld.
> 
> Es gibt Menschen, die haben keine Idee oder keine Lust, ihre Ideen
> in die Tat umzusetzen. Sie machen lieber bei anderen mit.
> 
> Die ersten nennt man Arbeitgeber, die anderen Arbeitnehmer. Das ist
> eine einfache Vokabel, die einen Zustand benennt, ohne Wertung.

Das ändert aber nichts daran, daß der Begriff falschrum ist.
Besser: Auftraggeber und -nehmer.

> Jeder hat das Recht darauf, die Initiative zu ergreifen oder sich
> den Stress zu sparen und einfach mitzumachen. Schade finde ich,
> dass vielen Menschen die finanziellen Mittel fehlen, um große
> Ideen umsetzen zu können. Das Problem lässt sich aber leider auch
> mit einem Grundeinkommen nicht lösen.

Es läßt sich mit dem BGE aber verbessern. Und die Kreditwürdigkeit
verbessert sich auch noch nebenbei.

> Zusammenfassend würde ich sagen, dass ich bereit wäre auf fast alle
> Punkte in meinem Konzept zu verzichten. Meine minimale Forderung
> wäre folgende:
> 
> - bedingungsloses Grundeinkommen, gestaffelt nach Alter

Besser: nach Versorgungsbedarf. Kinder haben zB. einen anderen Bedarf
als Erwachsene, Rentner vielleicht wieder anderes, Behinderte werden
mehr brauchen als andere (zB. weil die Mieten für passende Wohnungen
teurer sind), etc.

> - bedingungslose Krankenversicherung

Siehe oben ...

> - jährliche automatische Erhöhung des Grundeinkommens gemessen an
>   der Preissteigerung der Produkte des täglichen Bedarfs
>   (Essen, Trinken, Miete, Energiekosten)

Ok, das ist sinnvoll.

> Mittlerweile bin ich auch zu der Erkenntnis gelangt, dass Ein-
> kommensteuer eine blöde Idee ist, um das GEK zu finanzieren.

Jain. Die großen (wirklich großen!) Einkommen sollten natürlich
das BGE mitfinanzieren. Aber den größten Teil würde ich wohl 
aus Umsatz- und Verbrauchssteuern nehmen.

Aber da es bei uns ohnehin keinerlei Zweckbindung von Steuern gibt, 
ist diese Frage relativ unerheblich.


cu
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