[Debatte-Grundeinkommen] Namibia - erstes Grundeinkommen weltweit

Markus Schallhas markus.schallhas at khg.jku.at
Mo Aug 4 21:22:03 CEST 2008


Zur Info Artikel von mir.

lg,
Markus


http://www.augustin.or.at/index.php?art_id=1084

Würde und Wellblech

Otjivero, Namibia: Erstes Grundeinkommen weltweit

/Für den herkömmlichen Journalismus sind Informationen aus Afrika nur 
dann interessant, wenn sie Katastrophen, Kriege und Machtmissbrauch 
betreffen. Eine Inflation von Bildern weißer Retter, umringt von 
schwarzen Geretteten, komplettiert das Afrika-Image, das die Medien 
erzeugen. Dass die BewohnerInnen von Otjivero, Namibia, seit Jänner 2008 
ein Grundeinkommen in der Höhe von monatlich umgerechnet 8 Euro 
ausbezahlt bekommen, langweilt den Mainstream-Sensationsjournalismus. 
Von ihm wird man kaum erfahren, wie vielversprechend die ersten 
Erfahrungen sind. Rev. Dr. Claudia Haarmann, Koordinatorin der dahinter 
stehenden Basic Income Grant Coalition und Mitarbeiterin des Desk for 
Social Development der Evangelischen Lutherischen Kirche, sprach in 
Windhoek mit dem Augustin./

Markus Schallhas 07/2008


*Ihr zahlt an 1200 BewohnerInnen einer typischen ländlichen Siedlung 
zwei Jahre lang monatlich 100 Namibische Dollar. Euer Ziel ist es, der 
Regierung mit dem Pilotprojekt zu zeigen, dass ein bedingungsloses 
Grundeinkommen Sinn macht. Wie schaut das konkret aus? *

Das System funktioniert so, dass jeder zwischen 0 und 59 das Geld 
bekommt. Ab 60 gibt es eine staatliche universale Rente. Kinder unter 21 
kriegen das Geld über einen Primary Care Giver. Das ist meistens die 
Mutter. Die Auszahlung erfolgt einmal im Monat.

*Ihr, die Basic Income Grant Coalition, seid ein Zusammenschluss vieler 
wichtiger Gewerkschaften, Kirchen und NGOs ...*

Es stimmt, es sind alle wichtigen Dachverbände dabei. Es ist die größte 
zivilgesellschaftliche Koalition gegen Armut seit den Apartheidszeiten.

*Was sind eure ersten Erfahrungen? *

Es ist sehr viel passiert. Die Erwartungen wurden total überschritten. 
Das meiste Geld wird für die Grundversorgung ausgegeben. Hunger und 
Unterernährung sind ein Riesenproblem. Die Krankenschwester der Klinik 
hat gesagt, dass sie vorher regelmäßig, zwei-, dreimal pro Monat Kinder 
ins nächste Krankenhaus bringen musste, einfach wegen Unterernährung, 
und seit Januar gibt es das nicht mehr. Sie hat keinen einzigen Fall von 
Unterernährung mehr gehabt, der so schlimm war, dass das Kind ins 
Hospital aufgenommen werden musste. Die Durchfallerkrankungen sind 
deutlich zurückgegangen. Ein wichtiger Teil der Koalition sind die 
Aidsorganisationen. Voriges Jahr waren es drei Leute, die die 
Medikamente gekriegt haben, jetzt sind es 36. Und das zeigt, dass der 
Bedarf da war und die Leute es sich einfach nicht leisten konnten. Damit 
die Medikamente wirken, braucht man auch ausreichend zu essen.
Die Schule hat gesagt, dass doppelt so viele Eltern bezahlt hätten. Sie 
haben jetzt zum ersten Mal genug Geld, um Papier und Toner für die 
Kopiermaschine zu kaufen. Man muss hier einen relativ niedrigen Betrag 
für die Schule bezahlen. Das zeigt, wie wichtig es den Leuten ist, dafür 
das Geld auszugeben. Man sieht auch, dass die Leute ökonomisch aktiv 
werden. Es haben sich zwei neue Geschäfte gebildet, die 
Grundnahrungsmittel verkaufen. Oder Leute backen Brötchen und verkaufen 
diese. Auch ein Haarsaloon hat aufgemacht. Das Monopol des bisherigen 
Geschäftsbesitzers wurde aufgebrochen, was für die Preise nur gut war.
Das Wichtigste für mich ist, dass den Leuten die Würde zurückgegeben 
wurde, dass sie das Gefühl haben, nicht mehr nur Bettler zu sein. Das 
merkt man, wenn jemand zu einem kommt und sagt „Ich hab mir eine neue 
Hose gekauft. Ich kann jetzt wieder unter Menschen gehen.“ Also, dass 
die Leute das Gefühl haben, dass sie sich nicht verstecken müssen, weil 
sie nichts wert sind und weil jeder denkt, , dass, wenn sie zum Nachbarn 
gehen, nur kommen, um Essen zu erbetteln. Leute, die in absoluter Armut 
leben, sind von anderen Menschen abhängig, von der Gemeinschaft, von der 
Regierung. Aber wenn man eine gewisse Einkommenssicherheit hat, dann 
hört diese Abhängigkeit auf und sie fühlen sich befreit.
Die Schwesternzeitung des Augustin in Namibia „The Big Issue“ berichtet 
auch, dass die meisten Hüttendächer aus Plastik durch solche aus 
Wellblech ersetzt wurden.

*Ihr fordert also ein bedingungsloses Grundeinkommen. Kannst du uns 
erzählen, wie es dazu kam? *

Die Idee ist in Südafrika intensiv untersucht worden und kommt von den 
Gewerkschaften. Nach der Apartheid haben diese bei den Verhandlungen für 
die Verfassung 1993/1994 gesagt, es müsse so etwas wie ein Social 
Security System geben. Das vorherige sehr ungleiche System müsse 
ausgedehnt werden. Es gab insbesondere eine sehr lange Diskussion über 
die Kinderunterstützung, die hauptsächlich auf Weiße und Coloureds 
ausgelegt und so hoch war, dass man sie nicht hätte ausweiten können. 
Daraus ist der Child Support Grant entstanden. Im Prinzip hat diese 
Diskussion in Südafrika gezeigt, wie wichtig die sozialen 
Unterstützungen sind. Die Pensionen, der Child Support Grant und auch 
die Behindertenrente. Wir [mein Mann Dirk und ich] haben dann 
verschiedene soziale Unterstützungssysteme getestet – ein 
Haushaltseinkommen, eine Arbeitslosenunterstützung, eine Ausweitung der 
Kinderunterstützung und den Basic Income Grant. Und da hat sich gezeigt, 
wenn man das modelliert, dass der Basic Income Grant zum einen die 
billigste Lösung und zum anderen die meisten Leute abdeckt und dadurch 
die Armut am besten angreift. Also das war die Diskussion in Südafrika.

*Und in Namibia? *

In Namibia ist es so gelaufen, dass es 2002 eine Steuerkommission gab, 
die von der Regierung eingerichtet worden ist. Sie sollte prüfen, wie 
man das Steuersystem verändern kann, damit es wirtschaftliches Wachstum 
gibt. Die Kommission war der Meinung, dass Armut und Ungleichheit so 
groß sind, dass sie wirtschaftlich keinen Sinn machen. Die beste Methode 
sie anzugreifen wäre ein universales Einkommen. Sie haben auch 
ausgerechnet, dass Namibia sich ein solches leisten könnte. Die 
Regierung hat darauf aber nicht reagiert. Unsere Kirche hat das dann 
aufgenommen. Wir haben Umfragen gemacht, was die Bevölkerung denkt. 
Dabei ist herausgekommen, dass Einkommenssicherheit ein sehr wichtiger 
Faktor ist. Die Kirche hat dann die anderen Organisationen angesprochen.

*Auf welche Widerstände seid ihr gestoßen? *

Die Regierung ist sehr zögerlich. Die Hauptargumente sind, dass es zu 
teuer sei und dass es Abhängigkeiten schaffen würde. Der IMF 
(Internationale Währungsfonds) hatte die Regierung dabei beraten. Sie 
mussten allerdings in der Folge zugeben, dass sie falsch gerechnet haben.

*Braucht Ihr Unterstützung? *

Ja, wir brauchen noch Geld. Wobei das Fundraising eigentlich recht 
positiv angelaufen ist. Also das muss man jetzt schon sagen, dass aus 
sehr unterschiedlichen Stellen große Unterstützung kommt. Wir sammeln 
allerdings nur für die Ausbezahlung und die damit verbundenen Kosten. 
Das ist alles, es geht um nichts anderes.


*Mehr zum Pilotprojekt:*

Die offizielle Site der BIG Coalition mit Hintergrundmaterial.
http://www.bignam.org

Das weltweite und das österreichische Netzwerk für ein Grundeinkommen 
ebenso.
http://www.basicincome.org/bien/news.html
http://www.grundeinkommen.at/

Auch die meisten namibischen Zeitungen berichten und können online 
gelesen werden. „Allgemeine Zeitung“, „The Namibian“, „New Era“ u. a.

Die Seite von Rev. Dr. Claudia und Rev. Dr. Dirk Haarmann
vom Desk for Social Development der ELCRN:
http://www.cdhaarmann.com/

Bitte unterstützen sie das Projekt. Alle Gelder werden für die 
Auszahlung verwendet.

Konto: Blumhardt-Gemeinde HD-Kirchheim
Zweck: BIG Namibia
H+G Bank Heidelberg
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BLZ: 672 901 00
BIC: GENODE 61 HD 3
IBAN: DE66 6729 0100 0010 0027 61



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