[Debatte-Grundeinkommen] Uns bleibt nur die Flucht nach vorne - Sieben Thesen

Robert Zion zion at robert-zion.de
Di Apr 15 09:16:18 CEST 2008


Hallo,
z.K.
Grüße
Robert

           14
     04.04.2008
     

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         Robert Zion

      Uns bleibt nur die Flucht nach vorne    





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     ZUKUNFT DER GRüNEN Sieben Thesen zum Beginn einer der vielleicht schwierigsten Phasen der Grünen in ihrer Geschichte 

      Nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen hat sich in der Bundsrepublik auf unbestimmte Zeit ein Fünf-Parteien-System etabliert. Schon werden die Grünen, hierin die alte FDP beerbend, als Scharnierpartei zur Mehrheitsbeschaffung in einer derzeit noch blockierten Republik gesehen. Die Partei wird sich dem kaum entziehen können - und steht so vor einer strategischen und inhaltlichen Zerreißprobe. 

      1. Das eigenständige Profil und die programmatische Unterscheidbarkeit von allen anderen Parteien haben oberste Priorität (Hier am Beispiel der Sozial- und Arbeitspolitik): Auch wenn die Grünen nach wie vor ein großes gemeinsames Wählerpotential mit der SPD aufweisen, so kann sich für die Partei die programmatische Abhängigkeit von einer ziel- und konzeptionslosen Sozialdemokratie als gefährlich erweisen. Die gefühlten oder rhetorischen Linksrucke bei der SPD überdecken nur Mühsam die Tatsache, dass sich die Sozialdemokratie noch nicht im Kopf und erstrecht nicht im Herzen vom überkommenen industriegesellschaftlichen Wohlfahrtsmodell samt der Mystifizierung von Lohnarbeit und Vollbeschäftigung am ersten Arbeitsmarkt verabschiedet hat. Den Preis, den die Sozialdemokratie für diesen Holzweg zu zahlen bereit ist, wurde im Schröder-Blair-Papier benannt: "Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit". Lösen sich die Grünen nicht von diesem Dogma und den entsprechenden Fehlsteuerungen seit der Agenda2010, droht ihnen an der Seite der SPD die Dauerkrise. Zugleich kann dies nicht bedeuten, sich in dieser Frage der CDU oder FDP anzunähern (Kombilöhne, Sozialstaatsabbau). Das programmatische Potential für ein klar unterscheidbares Profil in der Sozial- und Arbeitspolitik im Rahmen der Globalisierung und des ökonomischen Umbruchs hin zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft schlummert bei den Grünen seit Jahrzehnten: Die Entkoppelung von (Grund-)Einkommen und (Lohn-)Arbeit. Zur Zeit allerdings wird es zugunsten einer vermeintlich notwendigen "Anschlussfähigkeit" (siehe These 4) an die anderen Parteien (noch) unterdrückt. 

      2. Die Grünen müssen sich innerparteilich vom Zwei-Lager-Denken "Fundis"/"Realos" endgültig verabschieden: Das einstige Unterscheidungskriterium Regierungswillen versus Fundamentalopposition ist längst obsolet. So nennen sich die einstigen Flügel auch heute "Linke" und "Reformer". Doch werden selbst in Reformerkreisen heute linke Politikansätze vertreten und bei den Linken reformistische Projekte. Die Wahrheit der Partei in der Nach-Fischer-Ära ist längst eine andere. Sie besteht in der Notwendigkeit einer (erneuten) Zusammenführung der in der Partei vertretenen Grundströmungen: Linke, (Wert-)Konservative und (Menschen- und Bürgerrechts-)Liberale und dies unter gänzlich neuen gesellschaftlichen Bedingungen. Hierin unterscheidet sich die neue Aufgabe der Grünen im Grunde nicht von der alten, denn auch die Grundsäulen der Partei - ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei - waren ein Kompromiss, der die politischen Grundströmungen in der aufgewühlten Gründungsphase zusammengeführt hat. Dennoch wird ein neuer Kompromiss nicht weniger schwierig vonstatten gehen als der alte, denn die gesellschaftliche Hegemonie des Neoliberalismus (vor allem in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik) und des Neokonservativismus (vor allem in der Außenpolitik) ist auch an den Grünen nicht spurlos vorüber gegangen. Diese beruhen aber auf ideologischen und kaum kompromissfähigen Grundeinstellungen. Und nicht jeder Neoliberale bei den Grünen ist wie Oswald Metzger gewillt, die Partei in Richtung Union zu verlassen, nicht jeder Neokonservative versteht bisher die Bedeutung seiner Niederlage vom Göttinger Sonderparteitag. Die zur Überlebensfähigkeit notwendige Neuaufstellung, die einst mit dem Weggang der nicht kompromissfähigen dogmatischen Ökosozialisten erfolgte, steht der Partei heute in veränderter Form wieder bevor. Dem endgültigen Grenzen setzen nach links muss nun ein ebensolches Grenzen setzen nach rechts folgen. Geschieht dies nicht, droht angesichts sich abzeichnender neuer Regierungsbündnisse (siehe These 4) die Spaltung der Partei. 

      3. Die Grünen brauchen neue politische Projekte, die die Strömungen in der Partei zusammenführen und die zugleich neue Wählerschichten erschließen: Die Erben der alten "Fundi-/Realo-Flügel" (siehe These 2) sind nach wie vor noch unter sich und streben in unterschiedliche Richtungen: Während die Parteilinke sich vorsichtig der Linkspartei annähert und Linksbündnisse anstrebt, bewegen sich die "Reformer" in Richtung bürgerliche Mitte. Die Spaltungsgefahr ist real, wenn wir in diesem Schema der Lagerausrichtung verharren. Andererseits haben die Parteitage von Göttingen und Nürnberg gezeigt, dass es durchaus an unseren Grundwerten (ökologisch - sozial - basisdemokratisch - gewaltfrei) ausgerichtete neue politische Projekte geben kann, die die Partei wieder zusammenführen: In der Friedens- und Außenpolitik (Göttingen) und beim Grundeinkommen (Nürnberg) haben sich so vor allem Linke mit Wertkonservativen (Baden-Württemberg, Antje Vollmer etc.) verbunden und zugleich die Säule der Basisdemokratie wieder renoviert. Auch haben wir dabei ein Modell geliefert, wie wir der neuen politischen Konkurrenz auf der Linken erfolgreich entgegentreten können: Eine Friedenspolitik ohne Fundamentalverweigerung, eine neue emanzipatorische Sozialpolitik ohne Rückblicke auf die "heile Welt" des alten Sozialstaates der siebziger Jahre. Wählerschichten also, denen eine reine Protestpartei ohne Lösungen nicht reicht, sondern die konkrete und zeitgemäße Alternativen verlangen, können wir hiermit ansprechen. 

      4. Zukünftige Regierungsbündnisse werden sich nicht mehr über Lager definieren, sondern über gesellschaftliche und politische Themenschwerpunkte und Projekte: Im neuen Fünf-Parteien-System zeichnet sich eine neue Entwicklung ab: Regierungsbündnisse werden nicht mehr als Lager ("links", "bürgerlich") definiert werden können, sondern als Projekte, die bestimmte Inhalte nach vorne treiben. Die Politik einer Regierung wird nicht mehr "aus einem Guss" sein. Dort, wo keine Kompromisse zwischen den Programmatiken möglich sind, wird es "Stillhalteabkommen" geben, dort wo gemeinsame Projekte definiert wurden, konkrete Politik und Reformen. Dabei wird zunehmend der Dialog und die Sondierung der Parteien untereinander vor den Wahlen an Bedeutung gewinnen. Zugleich werden gesellschaftliche Entwicklungstendenzen und Bündnisse wahrscheinlich bedeutender als die Programme der Parteien. Die Parteien selbst könnten zunehmend die Rolle von Vermittlern und Transformatoren für solche gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen übernehmen. Für die Grünen kann diese Entwicklung durchaus positiv sein, da dies im Grunde schon immer die Rolle und Identität der Partei war. Es kann aber auch eine Gefahr bedeuten, da es bei uns auch Kräfte gibt, die die neue Entwicklung als Aufgabe deuten, unsere Programmatik so weit zu verflachen, bis "Anschlussfähigkeit" an alle Parteien hergestellt ist. Die größte Gefahr in der neuen Situation für uns ist daher der inhaltslose Machtopportunismus. 

      5. Die Parteibasis und die Querdenker sind keine "Gefahr" für die Partei, sondern ihre Chance: Entwickeln wir kein neues Sensorium für in der Gesellschaft schwelende Entwicklungstendenzen (siehe These 4), werden wir kaum eine Chance haben, im neuen System als eigenständige politische Kraft zu überleben. Dieses Sensorium ist die Parteibasis vor Ort und in ihr diejenigen, die auch mutig Fehlentwicklungen thematisieren und auf Grundlage ihrer Erfahrungen auch Korrekturen einfordern. Nahezu die gesamte Gründergeneration ist eine Generation der Individualisten und Querdenker gewesen. Die dogmatischen Erstarrungen, unüberbrückbaren Grabenkämpfe und Opportunismen, die diese Generation im Laufe der Jahre erfasst haben, blockieren derzeit die Partei. Ein Generationenwechsel, der diesen Namen auch verdient, braucht neue Leute in Verantwortung, die sich eigenständig profilieren und nicht strömlinienförmig nach oben dienen. Politisches Profil gewinnen PolitikerInnen aber nur dadurch, wenn sie anecken dürfen und nicht als "Querulanten" oder "Störfaktoren" von einer von oben verordneten Parteiräson gleich klein gehalten oder "vernichtet" werden. Dem gemäß sind die Grünen keine Partei, die im klassischen Sinne "geführt" werden muss, sondern ein Ideen- und Personalpool, der organisiert werden sollte. 

      6. Die Grünen leiden unter einer zweifachen personellen Blockierung, die sie dringend überwinden müssen: In jahrelangen, zum Teil jahrzehntelangen Flügelkämpfen mit zuweilen tiefgehenden persönlichen Verletzungen haben sich viele unserer derzeitigen Funktions- und MandatsträgerInnen in innerparteilich nahezu kompromiss- und ausgleichsunfähige Positionen gebracht (erste Blockierung). Zugleich besetzen diese die quantitativ knappen Positionen in Vorständen und Parlamenten hartnäckig (zweite Blockierung). Die erste Blockierung ist nur aufzulösen, wenn die zweite zuerst aufgelöst wird. Zugleich aber lässt die "Parteielite" sehr oft Nachwuchs - wenn überhaupt - nur zu, wenn sich dieser in die alten Schemata der Fundi-Realo-Flügel willfährig ein- und unterordnet. So "züchten" sich Opportunisten und Dogmatiker wieder neue Opportunisten und Dogmatiker heran, um ihre eigene Position "da oben" halten zu können. Die Lösung kann nur in These 5 liegen. Die dringend notwendige Rückgewinnung eines eigenständigen Profils (siehe These 1) kann aber darüber hinaus auch nur gelingen, wenn ein Teil des alten Führungspersonals, das mit politischen Fehlsteuerungen in Verbindung gebracht wird (Agenda2010, Kriegseinsätze), nach und nach abgelöst wird. Ein glaubwürdiger neuer Kurs braucht neue Leute und nicht wieder die alten, deren Fähnchen auf Grund des neuen Kurses jetzt nur in eine andere Richtung flattern. 

      7. Die Parteilinke steht vor einer neuen Herausforderung: Der Integration der Grundströmungen: Es zeichnet sich immer mehr ab, dass die jahrzehntelang anhaltende neoliberale Hegemonie gebrochen ist. Die Republik und in ihr die Parteien (mit Ausnahme der FDP) rücken, wenn zum Teil auch nur symbolisch,  nach links. Damit rückt die Grüne Linke innerhalb des sensiblen Konstrukts der Grundströmungen in der Partei in die Mitte der Grünen. Folglich stellt sich besonders für uns als Parteilinke die Aufgabe, integrierend zu agieren, wenn wir die Partei zusammen halten wollen. Damit liegt es aber gerade an uns, neue Projekte voranzutreiben (siehe These 3) und offen Abgrenzungen gegenüber nicht integrierbaren politischen Konzepten von rechts und links zu benennen (siehe These 2). Die Parteilinke sollte sich dem gemäß expliziter als Hüterin unserer vier Grundsäulen verstehen (siehe These 1). 

      Robert Zion ist Grünen-Politiker in NRW
     
          
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