[Debatte-Grundeinkommen] Metzgers letztes Gefecht / Spiegel-Online

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Sa Okt 20 12:41:42 CEST 2007


Artikel auf Spiegel-Online vom 18.10.2007:

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,512198,00.html

ÄRGER BEI DEN GRÜNEN
Metzgers letztes Gefecht

Von Florian Gathmann und Yassin Musharbash

Er will nicht mehr den "nützlichen Idioten" spielen: Oswald Metzger,
Ober-Liberaler der Grünen, droht mit Austritt. Sein baden-württembergischer
Landesverband habe einen "Linksruck" vollzogen, indem er sich für ein
bedingungsloses Grundeinkommen aussprach.

Hamburg/Berlin - In Tübingen gibt es einen jungen Mann, der dort vor einigen
Monaten zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Als Grüner, mit vielen Stimmen
aus dem CDU-Lager. Es ist also kein Wunder, dass der Name des 34-jährigen
Boris Palmer häufig auftaucht, wenn von Schwarz-Grün die Rede ist.

n Baden-Württemberg gibt es allerdings noch einen Mann - nicht mehr ganz so
jung, aber ungleich bekannter, der als Grüner die Koalitions-Idee mit den
Schwarzen verkörpert. Das ist Oswald Metzger, 52.

Und nun droht ebendieser Ober-Realo Metzger mit Austritt aus der Partei -
wegen eines erfolgreichen Parteitag-Antrags zum sogenannten bedingungslosen
Grundeinkommen, den der andere Super-Realo Palmer unterstützt hatte. Denn
Metzger erkennt in dem Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz einen
"Linksruck" - und das ist für ihn der politische Sündenfall.

Mit gut 59 Prozent der Delegierten-Stimmen war am vergangenen Wochenende auf
dem Parteitag in Heilbronn das bedingungslose Grundeinkommen beschlossen
worden. Der Beschluss sieht vor, allen Bürgern ohne Prüfung 420 Euro im
Monat zu zahlen. Der Antrag auf eine sogenannte bedarfsorientierte
Grundsicherung unterlag dagegen.

Oswald Metzger, der von 1994 bis 2002 im Bundestag saß, nennt sich selbst
einen "ordoliberalen Grünen", er ist Kuratoriums-Mitglied der
arbeitgeberfreundlichen "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Dass der
Politiker 2002 nicht mehr für einen sicheren Listenplatz nominiert wurde und
den Sprung ins Parlament verpasste, hängt aber nicht nur mit seiner für
Stammgrüne obskuren Wirtschaftsnähe zusammen - vielen im
Südwest-Landesverband war Metzgers medial ausgelebter Mitteilungsdrang auf
die Nerven gegangen.

Metzger reagierte damals konsequent. Er machte sich als Berater selbständig
und schrieb und sprach fortan umso kompromissloser für weniger Staat und
mehr Eigenverantwortung. Einer seiner Lieblingssprüche: "Wir können nicht
Wohltaten wie Manna verteilen." 2006 kehrte der Oberschwabe wieder in die
Politik zurück, wenn auch nur in die zweite Liga. Dafür gelang ihm der
Einzug in den baden-württembergischen Landtag eindrucksvoll: Rund 17 Prozent
der Stimmen holte Metzger im erzkonservativen Biberach. In Stuttgart ist er
seitdem finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion und kann wieder den
liberalen Flügel der Grünen repräsentieren.

Doch nun, sagt Metzger, sei es genug. Er werde nicht mehr "den nützlichen
Idioten" für die Grünen spielen, so eine Art liberales Feigenblatt, wenn die
Partei in Wirklichkeit in die andere Richtung marschiere: "Wenn es so
unvernünftig weitergeht, dann ohne mich." Er habe zunehmend Probleme, seine
Positionen in der Öffentlichkeit als Grünenpolitiker zu vertreten, sagte er
SPIEGEL ONLINE, - vor allem nach dem Landesparteitag.

Metzgers Analyse sei schlicht falsch, sagt dagegen Boris Palmer. Die
Mehrheit für das bedingungslose Grundeinkommen sei alles andere als ein
Linksruck. "Ich weiß auch, dass dieser Antrag Schwächen hat, aber er ist ein
interessantes Denkmodell." Zudem, sagt der Tübinger Oberbürgermeister, gebe
es ähnliche Modelle von Linken wie von Konservativen. Das
"Bürgergeld"-Modell von Thüringens CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus geht
beispielsweise in eine ähnliche Richtung. Allerdings sieht dessen Plan eher
ein bedarfsgerechtes Grundeinkommen vor - dieser Antrag scheiterte eben in
Heilbronn.

Metzgers Drohung ist in Berlin angekommen

Metzger ist es dennoch ernst. Natürlich habe er seine Drohung als "Weckruf"
gemeint - er sei aber durchaus bereit, die Konsequenzen auch zu ziehen. "Ich
werde mir anschauen, was die nächsten Wochen passiert, und mich dann
entscheiden." Den Bundesparteitag in Nürnberg Ende November will Metzger in
jedem Fall abwarten.

Seine Drohung, die Partei zu verlassen, wenn die Delegierten dort eine
ähnliche Entscheidung treffen sollten, wurde auch in Berlin nicht überhört -
und sie wird vom Führungspersonal der Grünen sogar ernst genommen - obwohl
Metzger sein Ruf als notorischer Lautsprecher auch in der Bundeshauptstadt
weiter nachhängt.

Sogar Spekulationen über einen Übertritt in eine andere Partei sprießen
schon, vor allem, weil der CDU im Stuttgarter Landtag genau ein Mandat zur
absoluten Mehrheit fehlt. Metzger sagt, er sei schon mehrfach von den
Konservativen im Ländle angeworben wirden: "Die wollten mir sogar einmal
einen sicheren Wahlkreis anbieten." Dennoch schloss er den Übertritt aus:
"Ich werde definitiv nicht zur CDU wechseln", sagte er SPIEGEL ONLINE.

Eine zweite Möglichkeit: der CDU-Koalitionspartner FDP. Ein auffälliger und
charakterstarker Neuzugang wäre bei den Südwest-Liberalen sicherlich
hochwillkommen - doch Metzger winkt auch hier ab. "Dann würde ich eher mein
Mandat zurückgeben."

Dass Metzgers Abgang für die Grünen in jedem Fall ein PR-Desaster wäre, ist
den Führungs-Grünen in Berlin bewusst. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer,
selbst aus Baden-Württemberg, spart trotzdem nicht an deutlichen Worten:
"Ich wundere mich, warum er, wenn er zu dem Thema eine so starke Meinung
hat, die Diskussion auf der Landesdelegiertenkonferenz geschwänzt hat",
sagte er SPIEGEL ONLINE.

Diesen Vorwurf, den sich der Grüne auch schon von anderen Parteifreunden aus
Baden-Württemberg anhören musste, hält Metzger für ungerecht: Er habe zum
Zeitpunkt der Debatte einen Termin im nahen Herrenberg als Hauptredner zum
Thema "Der Mittelstand: Lastesel der Gesellschaft" wahrgenommen. "Das
wussten alle", sagt er. Völlig egal, findet Boris Palmer: "Da muss man halt
Prioritäten setzen - das hätte er absagen müssen."

Parteichef Bütikofer warnt

Mit Blick auf den Parteitag in Nürnberg und die bis dahin noch zu führende
Debatte über Grundeinkommen oder Grundsicherung ist Parteichef Bütikofer nun
skeptisch: "Ich fürchte, dass diese Art von Paukenschlag in der Diskussion
den gegenteiligen Effekt haben könnte, dass jetzt nämlich etliche sagen:
Wenn der Oswald so entschieden dagegen ist, dann muss das Grundeinkommen ja
eine spannende Idee sein!"

Bei den Spitzen-Grünen in Berlin, so viel wird beim Umhören schnell klar,
gibt es nicht mehr viele, die das ewige Talent Metzger für unersetzlich
halten. Höchstens in Baden-Württemberg würde sein Abgang wegen seiner
Strahlkraft ins bürgerliche Lager wohl noch schmerzen. Aber auch in dieser
Funktion ist Metzger längst nicht mehr der einzige. Auch Fraktionschef
Winfried Kretschmann ist zum Beispiel vermittelbar bis in tiefkonservative
Südwest-Wählerschichten.

Kretschmann wiederum gilt als Freund Metzgers - und er hofft jetzt auf die
Einsicht seines Vertrauten: "Metzgers Platz ist bei den Grünen", sagte
Kretschmann SPIEGEL ONLINE. "Das war vielleicht etwas vorschnell und aus dem
Ärger geboren." Ein Abgang Metzgers würde seiner Partei sehr schaden, glaubt
Kretschmann.

Allerdings widerspricht Kretschmann dem zornigen Wirtschaftsgrünen in einem
Punkt entschieden: "Von einem Linksruck kann wegen des Parteitags keine Rede
sein." Grundeinkommen oder Grundsicherung seien "faszinierende Visionen",
weder links noch rechts, mit so etwas dürften sich die Grünen zwischen den
Wahlen durchaus beschäftigen.

Unbekannte Grünen-Frontlinien

Das Abstimmungsergebnis von Heilbronn ist wohl tatsächlich komplizierter,
als es aussieht - und als Metzger es darstellt: Es war eben keine
Abstimmungsniederlage der Realos gegen die Linken. Viele Linke, die am Ende
für das Grundeinkommen stimmten, waren noch vor wenigen Wochen dagegen
gewesen. Sie hätten aus taktischen Motiven "'rübergemacht", unterstellt ein
baden-württembergischer Realo. Die Parteilinken hätten eben auch einmal eine
Abstimmung gewinnen wollen.

Doch klar ist auch: Das Ergebnis verzerrt die Ausgangslage vor dem
Nürnberger Bundesparteitag ganz erheblich - denn die eher linkslastigen
Landesverbände aus Nordrhein-Westfalen und Berlin haben sich wiederum für
die bedarfsabhängige Grundsicherung ausgesprochen. In Nürnberg wird die
Frage der Zukunft der sozialen Sicherungssysteme also nicht entlang der
weidlich bekannten Frontlinie zwischen Realos und Linken entschieden -
sondern geht quer durch die alten Lager. Prognosen wagt daher kaum jemand,
zumindest nicht öffentlich.

Oswald Metzger wird in Nürnberg mit dabei sein. Nicht als Delegierter. Als
Gast.




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