[Debatte-Grundeinkommen] Kommentar in DIE ZEIT

Robert Zion zion at robert-zion.de
Mi Nov 28 08:46:32 CET 2007


DIE ZEIT
  

Nur Mut zur Zukunft

Die Grünen haben sich vom "Neoliberalismus" verabschiedet. Nun müssen sie neue gesellschaftspolitische Ziele formulieren - und sie mit neuen Köpfen verbinden. Ein Gastbeitrag 

Von Robert Zion

Robert Zion ist Mitglied des Kreisverbands Gelsenkirchen der Grünen. Auf dem Sonderparteitag in Nürnberg im September war er Anführer des Aufstands der Basis gegen den Antrag des Bundesvorstands zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. In diesem Beitrag formuliert er seine Vorstellungen zur Zukunft der Partei.


Heute ist Mittwoch, drei Tage nach dem Parteitag von Nürnberg, und Oswald Metzger ist nicht mehr bei den Grünen. Wahrscheinlich ist er inzwischen in sich gegangen - aber was, glaubte Reinhard Bütikofer, der das als Vorsitzender von ihm forderte, hätte er da anderes finden können außer den alten Parolen der neoliberalen Revolution von oben? 


Derweil pendelt sich das Medienecho nach dem Parteitag vom Wochenende  langsam ein: etabliert, langweilig, ohne Esprit, kuschelig. Drei Monate zuvor, nach dem Afghanistan-Parteitag von Göttingen, hieß es noch: chaotisch, rebellisch, führungslos. Kein Mensch in der Republik hat zur Zeit in der Außenansicht ein einigermaßen schlüssiges Bild von den Grünen parat. Sind wir jetzt links, oder zumindest dahin gerückt? Oder bürgerlich, was immer dies auch genau sein mag? Orientierungslos gar?


Teile der Presse schreiben: Jetzt wollen auch noch die Grünen Wohltaten verteilen. Was für ein Unding in einer Demokratie! Haben wir nicht jahrelang gehört, dass es ein Tal der Tränen geben muss, notwendige Grausamkeiten, und dass "wir" alle den Gürtel enger schnallen müssten - wobei die Absender dieser Botschaften keineswegs mit deren Empfängern verwechselt werden durften. Viel mehr als diese alten Botschaften wird Oswald Metzger in sich auch nicht gefunden haben. 


Dieses "wir", das waren über Jahre diejenigen, denen sich die Grünen nun wieder zugewendet haben: die Armen, die Arbeitslosen, die Prekären, die working poor, jedenfalls keinesfalls das Milieu und die Wählerschaft der Grünen. Die ist ja nach beinahe übereinstimmender Einschätzung der Parteienforschung und Demoskopie um die fünfzig, gut gebildet, saturiert, in Angestellten- oder Beamtenverhältnissen, bürgerlich eben. Darum stünden uns jetzt auch schwere Zeiten bevor. Doch die wären ohnehin gekommen.


Wer in der "Mitte der Gesellschaft" brav in politischer Profillosigkeit versinken, wer sich die hart errungene "Regierungsfähigkeit" von den anderen Parteien nur noch bestätigen lassen will, der verliert seine Regierungswürdigkeit. Wem medial zitierfähiger Politiksprech und die einfachen, weil bekannten Lösungen reichen, der wird vielleicht noch ernst-, aber nicht mehr wahrgenommen. 


Wer keine neuen Begriffe mehr entwickelt und den Mut aufbringt, diese auch zu verbreiten, der kann die Veränderungen nicht mehr begreifen, der wird wohl auch nicht mehr begriffen. Wer nur noch einen Weg zu gehen vermag, der hinterlässt nichts als ausgetretene Pfade. Wer keine Politik mit Herz und Hirn mehr macht, sondern nur noch mit dem Hintern, weil dort, wie er denkt, ja der Geldbeutel seiner Wählerschaft sitzt, der schmeißt nur alles mit dem Hintern um. Wer glaubt, seine Wählerschaft schon seit zwanzig Jahren zu kennen, der wird auch keine neue mehr kennen lernen. Wer keine neuen Projekte, keine neue Sprache mehr zulässt, der bekommt die ältesten Nachwuchspolitiker der Welt. 


Nein, die Grünen sind noch nicht so, jedenfalls müssen sie nicht zwangsläufig so werden. Doch dafür müssten sich die Grünen wieder ihrer Aufgabe stellen, sich als Konzeptpartei bewusster aufstellen, neue Themen finden und besetzen, dicke Bretter bohren und um Hegemonie kämpfen, neue Bindungskräfte nach innen und nach außen entwickeln. 


Mit Sicherheit sind die Grünen derzeit in einer Findungsphase. Nur, wenn wir in einer solchen Phase nichts mehr Neues suchen, was wollen wir da finden, außer das Alte? Darum eröffnen im Zusammenhang betrachtet die Parteitage von Göttingen und Nürnberg eine riesige Chance für die Partei, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und sich aus den Gefängnissen der Vergangenheit herauszuschälen. 


Göttingen hat das Innere der Partei nach Außen gekehrt und sichtbar gemacht: ihre Verfasstheit als Generationenprojekt und die Sehnsucht der jüngeren, die gleichen Fragen an diese Gesellschaft stellen zu dürfen, wie die Gründergenerationen. "Heimweh nach Zukunft" habe ich es vor Nürnberg genannt. Dort hat die Parteibasis der medialen Öffentlichkeit, die diese Entwicklung nur als Machtfrage und Führungskrise konstruiert hat, die Gefolgschaft verweigert und sich als Konzeptpartei neu aufgestellt, ohne sich dabei auseinanderdividieren zu lassen. 


Denn die Partei hat das Thema Grundeinkommen nun besetzt. Jetzt liegt es an ihr, nicht nur die sozialen, sondern auch die ökologischen und ökonomischen Aspekte dieses zentralen Zukunftsthemas zu durchleuchten und zu vermitteln, eine neue gesellschaftspolitische Zielvorstellung zu formulieren, die mit dieser Partei originär in Verbindung gebracht wird: der emanzipatorische Sozialstaat in einer wissensbasierten Ökonomie samt eines neuen Arbeitsbegriffs und damit auch die Abkehr vom industriegesellschaftlichen Wachstumsdogma. Der Weg dorthin kann über die in dieser Form beschlossene Grundsicherung führen. Einer der zentralsten Sätze im Beschluss lautet: "Die neoliberale Hegemonie ist gebrochen."


Ab jetzt werden zunehmend Personalfragen in den Mittelpunkt rücken. Die Frage, welche alten Köpfe noch frei genug sind, die neuen Ideen aufzunehmen und welche neuen Köpfe geeignet genug sind, diese zu vertreten, wird für die Zukunft der Partei entscheidend sein. Deshalb geht es jetzt auch darum, den closed shop, zu dem sich die Partei zu entwickeln drohte, zu öffnen und Raum zu schaffen - nicht nur inhaltlich, sondern auch personell.




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