[Debatte-Grundeinkommen] Grüner Parteitag: Grundeinkommen

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mi Nov 28 10:15:45 CET 2007


Hallo Rüdiger und sonstige Interessierte,

eigentlich könnte ich Dir zustimmen, wenn Du in Deinem Beitrag nicht ein
Reizwort verwendet hättest, das "marxistische Tradition" heißt. Was bitte
hat das BGE mit Marx zu tun? Wo hat der Marxismus ein BGE? Gab es in der
Sowjetunion (als realer Unsetzungsversuch der "marx'schen Kritik") ein BGE?
Mir ist das nicht bekannt...

Die "marxistische Tradition" würde ich eher als "marxistischen Konjunktiv"
ansehen: "wenn das so wäre, würde dies so sein und hätte jene Folgen und
diese Auswirkungen. Unser Ziel wäre der Kommunismus und damit würde es allen
Menschen gut gehen, wenn der Mensch nur fähig wäre, dieses Ziel zu
verstehen."

Tatsache ist: die Grünen haben sich nicht für das BGE entschieden. Und wie
Du richtig bemerkst, gab es dafür auch einen konkreten, marxistisch,
konjunktiven Grund: hätte man für das BGE gestimmt, wäre man vor dem Problem
gestanden, es seinen Wählern richtig zu verkaufen; man hätte den
Parteifrieden gefährdet und die Spitze in Bedrängnis gebracht. Es waren eben
nicht über 50% für das BGE, weil man vor den kunjunktiven Folgen Angst
hatte. So bleibt für alle alles beim Alten und jeder (!) kann sich entspannt
zurücklehnen - die Befürworter, weil sie nicht in die Pflicht genommen
werden, die Idee näher zu erklären; die Gegner, weil sie sich keine Sorgen
machen müssen, was sie entgegensetzen sollen; die Unstimmigen, weil sie
verschont bleiben, darüber nachzudenken. Es bleibt nur ein Traum, daß es
besser sein könnte... vielleicht beim wird es beim nächsten Mal anders...
die Möglichkeit wurde ja nicht genommen... nur real besser geht's davon
keinem, außer jenen, die sich ein ruhiges Gewissen verschafften...

Nehmen wir aber mal Deine viel-geliebte Linkspartei (nicht zu vergessen, daß
diese aus der SED hervorgegangen ist und sich nach ein paar Namenswechseln
erhofft, daß ihre Vergangenheit unter einer dicken Staubschicht begraben
liegt). Die Medien sind in meinen Augen sehr stark für das Wählerverhalten
verantwortlich. Und das BGE stellt für die "neoliberalen Schreiber" (hieß es
nicht vor kurzem so in der Attac-Liste?) etwas unrealistisches dar. "Die
Linke" kennt ja schon den Geschmack der Macht und wird sich wohl auch mit
dem gleichen "Hätte, wäre, würde" (marxistischer Konjunktiv) zufrieden
geben, weil man ja sonst (scheinbar) nicht gewählt wird. Oder hast Du da
mehr Informationen, daß bei der Linken das BGE (welches eigentlich?)
wirklich zur Diskussion steht (mal abgesehen von Katja und ein paar vom
"Fußvolk", deren konkretes Konzept unbekannt ist).

Althaus (CDU) hoffte, daß er durch eine positive Abstimmung bei den Grünen
sein Bürgergeld (etwas ähnliches, wie ein BGE) in seiner Partei wieder mehr
zur Sprache bringen kann. Vielleicht beim nächsten Mal?

Die SPD scheidet für Dich ja sowieso mit dem BGE aus, weil das einfache
Arbeiter sind, die zwar eine große Masse darstellen, aber aufgrund ihrem
"Arbeitermileu" aus Sozialneid reagieren und deshalb das BGE auch nicht
wirklich verstehen (können). Im übrigen stammt der Spruch mit dem
"Nicht-Essen-wenn-nicht-arbeiten" aus der Bibel und auch der junge Marx war
diesem Spruch nicht abgeneigt (nur daß Marx jedem Arbeit für nix geben
wollte und alle dann etwas von allem bekommen). Populistische
Meinungsmache... findest Du nicht?

Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß sich aufgrund der ("neoliberalen")
Schreiber irgendeine "etablierte" Partei traut, sich gegen den Mainstream zu
stellen und damit Gefahr läuft, Wählerstimmen einzubüßen. Doch wie sieht die
Wirklichkeit denn wirklich aus? Glauben wir das, was uns diese Papiertiger
vorgaukeln? Die Politiker scheinbar ja...

Um aber bei der "marxistischen Tradition" (dem Konjunktiv) zu bleiben,
überlegen wir uns folgendes: Wenn keine der "etablierten" Parteien das BGE
aufgrund der o.g. Analyse wirklich vertreten will, besteht die Möglichkeit,
eine "Kleinstpartei" zu suchen, die ein BGE im Programm hat und diese so zu
"pushen", daß so Druck von außen aufbaut wird. Damit wird den "Großen"
gezeigt, daß das BGE entgegen den Medien doch Mitglieder und Wähler bringt.
Studenten hatten mal vor, die FDP so zu "übernehmen". Diese Überlegung
brachte Matthias (Dilthey) dazu, die PsgD zu gründen. Dort gibt es (noch)
die Möglichkeit, alles entsprechend so zu "formen", wie wir uns das
vorstellen. Und der ordnungsliebende Deutsche (zu denen auch die
"neo-Schreiber" gehören) wird diese Partei in die Schublade BGE packen. Die
Grünen wurden (trotz anfänglichem BGE im Programm) zur Ökopartei
abgestempelt (irgendwohin mußte man sie ja packen, weil sie weder rechts
noch links einzuordnen waren). Seither haben wir eine Tendenz zu
"Themenparteien" (die Piraten sind für freie Software, Grün steht für
Umwelt), entgegen der alten "Klassenparteien" (SPD steht für die Arbeiter,
CDU für die Unternehmer, FDP für den Mittelstand).

Was meinst Du, was passiert, wenn sich in einer (neuen) Partei auf einmal
Namen, wie Katja Kipping, Robert Zion, Götz Werner usw. finden (würden),
weil sie ein Thema vertreten wollen und keine Klasse. Aber... wir haben ja
eine "marxistische Tradition"... Vielleicht wären es beim nächsten Mal 45%,
vielleicht sogar 51% oder gar 60%... in einer "eigenen" Partei wären es
nahezu 100%. Es lebe der Konjunktiv!

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
http://www.iovialis.org
http://www.psgd.info






----- Original Message -----
From: "Rüdiger Heescher" <ruediger.heescher at attac.de>
To: "Michael Opielka" <michael.opielka at isoe.org>
Cc: <debatte.bag.wirtschaft at gruene.de>; "bGE Diskussionsliste"
<debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>; "Debatte BAG
Sozialpolitik" <debatte.bag.sozialpolitik at gruene.de>
Sent: Tuesday, November 27, 2007 1:55 AM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Grüner Parteitag: Grundeinkommen


Es ist sogar noch erfreulicher, dass es jede Menge gab, die eigentlich
auch für das bGE gestimmt hätten aber Probleme damit hatten dieses
dann den Wählern zu verkaufen oder sich gedacht haben, dass es für den
Parteifrieden und die Spitze besser wäre dann doch erstmal für die
Grundsicherung abzustimmen.

Ich schätze mal, wenn wirklich alle, die ein Grundeinkommen
befürworten so abgestimmt hätten, dass es dann locker über 50 %
gewesen wären.

Nur wären 51 % Mehrheit in einer Partei auch eine Zerreissprobe
gewesen und der Vorstand hätte sich vorgeführt gefühlt. Insgesamt
gesehen war es auf jeden Fall schon mal ein Erfolg dieses Thema über
die Grünen soweit vorantreiben zu können. Und es wird die Grünen in
Zukunft auch noch mehr beschäftigen. Gerade aus dem bürgerlichen
Umfeld der Grünen wird man dort eher Berührungspunkte finden. Es wird
jedenfalls dort auch viel eher verstanden und es gibt auch keine
Sozialneid Reflexe, wie man es vor allem im Arbeitermilieu antrifft.

Aber jetzt müssen wir weiter schauen, wie es bei der Linkspartei z.B.
weiter geht. Dort steht noch diese Diskussion und dieser Prozess aus,
der schon bei den Grünen statt gefunden hat. Egal wie dann das
Grundeinkommen dort gestaltet wird, sollte man dieses Thema auch dort
weiter vorantreiben, sodass dann auch die SPD nicht daran vorbei
kommt. Die Linke treibt die SPD vor sich her und mit dem
Grundeinkommen entscheidet sich dann auch eine klare Linie, die der
SPD eine klare Abkehr von Neoliberaler Antisozialer und unmenschlicher
Diktion abbringen kann "Wer nicht arbeitet muss auch nichts essen" O
Ton Münte.

Die Linke sollte daher jetzt unser Augenmerk sein in marxistischer
Tradition alten Sozialisten das Grundeinkommen nahe zu bringen und
sollten vermeiden mit der Argumentation einer negativen Einkomensteuer
dieses Thema zu belasten. Das ist nicht gut und wird auch bei vielen
Grünen unter umständen dann eher zu einer Abkehr vom Grundeinkommen
führen.

Es sollte daher schon aufgeasst werden, dass es klare Unterschiede
weiterhin gibt in den Grundeinkommensversionen um die es zu streiten
gilt.

Denn dann geht es nicht mehr um das Ob sondern nur noch um das Wie!

Was ich gerne auch noch allen empfehlen würde, die sich jetzt noch im
Rampenlicht der Medien bewegen sich auch nochmal zu der Finanzierung
zu äussern im Gegensatz zu einer Grundsicherungsvariante von 60 Mrd
Mehrausgaben, die letztlich wenn wir ehrlich sind nicht durch die
Steuern reinkommen wird wie man es sich vorstellt. Schon aus eigenem
Interesse heraus. Bestes Bespiel Erbschaftssteuer werden die Grünen
nie wirklich ernsthaft fordern, weil es ihre eigenen Klientel betrifft
wie damals schon im Wahlkampf 1998. Stand im Programm aber hat man
dann vehement abgelehnt aus Rücksicht der eigenen Klientel in deren
Alter, die nun in den Genuss von Erbschaften kam.

Also lasst ruhig die Parteien alle mit ihren Spezifika ihr Ding
machen, aber trotzdem sollten wir schauen wie wir die Linke puschen
können damit sie die SPD vor sich hertreiben kann und auch endlich die
Gewerkschaften in zugzwang bringen kann.

gruss

Rüdiger

Am 24.11.2007 um 15:43 schrieb Michael Opielka:

> Erfreulich: dass sich 40% der grünen Parteitagsdelegierten für ein
> Grundeinkommen ausgesprochen haben.
>
> Ärgerlich: dass sich die grüne Elite – Bundesvorstand und Leitung
> der Bundestagsfraktion – erdreistet hat, mit Bsirske einen
> undifferenzierten Grundeinkommensgegner als Hauptredner einzuladen –
> und ausdrücklich niemanden, der ähnlich profiliert für ein
> Grundeinkommen eintritt. Bsirskes Kernargument „Erwerbsarbeit bleibt
> notwendig“ ist von ähnlich intellektueller Tiefe wie zum Beispiel:
> „Der Mond bleibt notwendig“.
>
> Das passt in die bisherige Linie: ein manipulativer, weil gegenüber
> der Grundeinkommensidee diffamierender Leitantrag des
> Bundesvorstandes, einseitige wissenschaftliche Gutachten der
> Bundestagsfraktion, die bei ausgewiesenen Grundeinkommensgegner
> bestellt wurden. Wenn das die „Regierungsfähigkeit“ sein soll, die
> die grüne Elite für 2009ff. anstrebt, dann wird nicht viel versäumt,
> falls die Wähler sich anders entscheiden.
>
> Gut, dass viele Delegierte das durchschauen. Schade, dass sich so
> viele noch von der grünen Elite an der Nase herumführen lassen.
>
> Ärgerliche Grüße
> Michael Opielka
>
>
>
>
>
>
> 24. November 2007, 15:02 Uhr
> Parteitag in Nürnberg
> Grüne lehnen Grundeinkommen für alle ab
> Die Grünen haben in ihrer Debatte über die Sozialpolitik eine
> Vorentscheidung zugunsten des Vorstandsmodells für höhere Hartz-IV-
> Bezüge getroffen. Sie debattieren nicht mehr über den Entwurf enes
> einheitlichen Grundeinkommens. Die Partei vermied damit eine
> Führungskrise des Vorstands.
> Die Grünen wollen das bestehende Sozialsystem zu einer sozialen
> Grundsicherung ausbauen. Der entsprechende Antrag des
> Bundesvorstands wurde vom Bundesparteitag in Nürnberg mit 432 zu 296
> Stimmen zur Grundlage der weiteren Beratungen gemacht. Ein
> Gegenantrag, der einen Systemwechsel zu einem bedarfsunabhängigen
> Grundeinkommen vorsah, wurde damit abgelehnt. Der Leitantrag sieht
> eine Anhebung der Regelsätze für Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe
> von 345 auf 420 Euro und weitere, zusätzliche soziale Leistungen
> vor. Zugleich soll die öffentliche Infrastruktur besonders im
> Bildungsbereich ausgebaut werden. Über verschiedene Änderungsanträge
> sollte am Nachmittag aber noch weiter beraten werden.
> Obwohl nach Angaben der Tagungsleitung und auch der gegnerischen
> Antragsteller auf dem Parteitag in Nürnberg eine eindeutige Mehrheit
> für die Vorstellungen des Vorstands zu erkennen war, wurde nach
> einer ersten Abstimmung eine schriftliche Auszählung eingeleitet.
> Hart in der Sache, aber weitgehend ohne persönliche Polemik wurde n
> Nürnberg über die Sozialpolitik gestritten. Parteichef Reinhard
> Bütikofer und andere warben für eine Grundsicherung, die im Kern
> eine deutliche Anhebung des Arbeitslosengelds II und der Freigrenzen
> für Hartz-IV-Empfänger vorsieht. Vor allem Vertreter der
> Parteilinken verlangten dagegen ein wesentlich umfassenderes
> Grundeinkommen für alle ohne Vorbedingungen.
> Eine weitere Niederlage des Bundesvorstands nach der zum
> Bundeswehreinsatz in Afghanistan im Sommer hätte die Grünen
> erheblich ins Trudeln bringen können. Das scheint nun abgewendet.
> Bütikofer forderte die rund 800 Delegierten gleichwohl auf, ihre
> Entscheidung nach sachlichen Gesichtspunkten zu treffen und nicht
> unter dem Aspekt, "dass der Bundesvorstand angeblich so unter Druck
> steht".
> Nach den bisherigen Erfahrungen mit Hartz IV dürfe es weder ein
> "Weiter so" noch ein "Zurück" geben, es müsse "nach vorne" gehen,
> sagte der Grünen-Chef.
> Auch der den Grünen angehörende Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di,
> Frank Bsirske, warb in seinem Grußwort auf dem Parteitag für das
> Vorstandskonzept der Grundsicherung. Er lobte die "überfällige und
> kritische Auseinandersetzung" der Partei mit der Agenda-Politik. Es
> sei ermutigend, dass die Grünen mit zentralen Punkten von Hartz IV
> brechen wollten und klare Alternativen formulierten. Ein
> bedingungsloses Grundeinkommen lehnte Bsirske aber ab und rief aus:
> "Erwerbsarbeit ist und bleibt notwendig."
> Dagegen sagte Anke Erdmann vom Kreisverband Kiel, auch 420 Euro im
> Monat Grundsicherung seien einfach zu wenig. Das Grundeinkommen
> solle deutlich höher sein. Andere Redner begründeten die Forderung
> nach einem Grundeinkommen damit, dass die Schere zwischen Arm und
> Reich immer weiter auseinander gehe und daher eine Umverteilung von
> oben nach unten nötig sei.
> Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer warnte jedoch, die
> Forderung nach einem Grundeinkommen für alle würde von den Wählern
> nicht verstanden. Die Grünen sollten sich zunächst auf das jetzt
> Machbare konzentrieren, und das sei die Grundsicherung. Dagegen
> betonte Silvia Kotting-Uhl vom antragstellenden Landesverband Baden-
> Württemberg, in der Vergangenheit hätten die Grünen mit Visionen
> nicht gewartet, bis sie allgemein akzeptiert waren.
>
> URL:
http://www.welt.de/politik/article1396441/Gruene_lehnen_Grundeinkommen_fuer_
alle_ab.html
>
>
> ________________________________________________
>
> prof. dr. michael opielka
> institut für sozialökologie (isö)
> pützbungert 21
> d-53639 königswinter
> fon +(49)-2244-871659
> fax +(49)-2244-871664
> michael.opielka at isoe.org
> www.isoe.org
>
> _______________________________________________
> Debatte-grundeinkommen Mailingliste
> JPBerlin - Politischer Provider
> Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen

------
Rüdiger Heescher
Lohe 10a
D-25436 Uetersen
Tel: +49-(0)4122-989087
email: heescher at attac.de
Videofon über ichat: ruedigerheescher at jabber.org
Skype: ruediger_heescher

Postfach 1202
D-49549 Ladbergen


-----
"Sich selbst zu verändern, glaubwürdig zu werden, Menschen zu
überzeugen und den verschiedenen Formen von Ausbeutung und Terror
entgegenzuwirken, das mag in manchen Augenblicken ungeheuer schwer
erscheinen, und dennoch gibt es keine Alternative."
Rudi Dutschke

_______________________________________________
Debatte-grundeinkommen Mailingliste
JPBerlin - Politischer Provider
Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen




Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen