[Debatte-Grundeinkommen] BGE in Regionen unddemokratischenRechtsstaaten

mark jordan mark.jordan at gmx.net
Mo Mai 28 23:57:34 CEST 2007


Hallo Jörg,
ich finde deinen Text sehr interessant. Du schreibst, es gelte für den einzig übriggebliebenen Wachstumsbereich der Sozialwelt, also dem Miteinander, nur das als wirklich, was greifbar, unmittelbar nützlich und technisch zu verwerten
ist, weshalb Freiheit, Humanität und Gerechtigkeit, zu bloßen Worten verkommen. Ja, Freiheit, Humanität, Gerechtigkeit,  erscheinen mir wirklich als Worte mit viel Pathos, aber sonst sind sie ziemlich schwammig. Früher hatten die Leute wahrscheinlich noch genauere Vorstellungen davon, was damit gemeint war, als Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gefordert wurde, das lag wohl auch daran, dass es eindeutigere Gegner gab, denen man etwas eindeutig vorwerfen konnte. Humanismus, also Menschenrechte, sollten in unserer Demokratie selbstverständlich sein, doch leider lassen sich Zuwiderhandlungen nicht immer beweisen, geschweige denn überhaupt ausfindig machen. Im Mittelalter war Gewalt noch leichter zu identifizieren, die Leute machten es sich damit auch leichter, sie schlugen sich die Ommel ein, heute gibt es mehr Psycho-Terror, wie z.B. Mobbing am Arbeitsplatz und weniger körperliche Gewalt, jedenfalls ist das hier bei uns so. Unfreiheit war noch Gefangenschaft, heute kann Unfreiheit Armut oder wenig Bildung  bedeuten. Gerechtigkeit ist glaube ich ein Wort, das bei uns falsch gedeutet wird, was wir allgemein damit ausdrücken wollen, müsste eigentlich Gleichheit heißen, Gerechtigkeit könnte man vielleicht besser Rechtmäßigkeit nennen, es kommt also bei der Gerechtigkeit ausschließlich auf die Gesetze an die gerade gelten. Die Forderung von Gleichheit setzt dagegen eine Vergleichbarkeit voraus, es ist aber ziemlich aussichtslos, herauszufinden, was z.B. Gerechtigkeit, bzw. Gleichheit zwischen den Generationen bedeutet. Heißt das nun: Die Alten verdienen die Rente, die damals festgeschrieben wurde, und wofür sie gerackert haben? Oder heißt das: Wer schon, wie die jüngeren Generationen, die Alten mit versorgen muss, was um so schwerer fällt, wenn diese Alten zu wenig Kinder gezeugt haben, der muss natürlich Vorrang  haben, auch wenn das möglicherweise für die Alten eine niedrigere Rente bedeuten würde, als gedacht? Diese Werte sind eben doch alle ziemlich verschieden auslegbar. Die Worte haben in unserem Bewusstsein deshalb an Bedeutung verloren, weil sie von gestern sind und unserer Zeit nicht mehr gerecht werden. Den direkten Zusammenhang zum Wachstumsbereich der Sozialwelt, den du herstellst, kann ich aber hier noch nicht erkennen, vielleicht erklärst du das noch mal. Auf jeden Fall gibt es für mich aber keinen Anlass, zur Subsistenzgesellschaft zurückzukehren, man sollte besser mit diesen verstaubten Begriffen aus dem 18. Jahrhundert aufräumen und gegebenenfalls neue Bezeichnungen finden, anstatt die Zeit zurückdrehen zu wollen.   



  

Die Forderung, dass der Statt keine Fehler machen dürfe zieht bei dir nicht? Aber ein Fehler kann doch schlimme Auswirkungen haben, man denke dabei z.B. an die Außenpolitik. Natürlich sind das nur Menschen, aber immerhin alle Menschen eines Landes mehr oder weniger organisiert. Was mir das Recht gibt, Hilfe vom Staat zu erwarten? Was gibt dir denn das Recht, Hilfe von Freunden zu erwarten? Es ist eben so, ich erwarte auch, das morgen die Sonne aufgeht. Ich verstehe ja dein Misstrauen gegenüber der Masse Mensch, wir haben da ja auch einige schlimme Auswüchse zu verzeichnen, ich glaube aber, dass es notwendig ist ihr ein Mindestmaß an Vertrauen entgegenzubringen und ihr etwas Verantwortung zuzugestehen. Kinder, denen die Eltern alle Entscheidungen abnehmen, werden auch kaum verantwortungsbewusst handeln können.  Wie du schon sagtest, wir haben uns organisiert, die Zeiten der Selbstversorgung sind gewesen. Du willst mir doch nicht erzählen, dass es in der ukrainischen Walachei keine Industrieprodukte gibt? Du bist, wie jeder andere auch, abhängig von der Masse Mensch, also von Deutschen, Russen, Chinesen, Amerikanern.... 

Spargelstechen hab ich noch nicht gemacht. Du denn? Ich hab aber gehört, dass der Lohn in einem ungünstigen Verhältnis zu den Rückenschmerzen sein soll, zumindest für deutsche Verhältnisse. Wenn die Löhne höher wären, das sehe ich ein, dann wäre der Spargel erst recht unbezahlbar. Ich selbst mag Spargel sowieso nicht so gern, aber es wäre doch vielleicht eine Lösung, wenn man die Arbeit im Liegen verrichten könnte. (Möglicherweise eine neue Wachstumsbranche) 

Ich weiß nicht: Wenn die Menschen so unvernünftig wären wie du sagst, dann dürfte man ihnen doch überhaupt kein Geld geben, auch nicht für Arbeit. Ich glaube dir ja, dass es dort Menschen gibt, die leben ohne Geld. Ich kenne keinen, und die, die ich im Fernsehen gesehen habe, die hätten gern welches, oder sie leben in einem abgesperrten Reservat in völliger Abhängigkeit. Das kann es doch nun auch nicht sein? 
Gut finde ich deine Aussage: Freiheit und Vernunft hängen zusammen, wie Verantwortung und Vertrauen, Freiheit will gelernt, Vertrauen gefühlt sein. 

Ja, wir packen’s an! 
  

Schöne Grüße nach Kief 
Mark Jordan
 
-------- Original-Nachricht --------
Datum: Mon, 28 May 2007 18:54:03 +0300
Von: "Joerg Drescher" <iovialis at gmx.de>
An: "mark jordan" <mark.jordan at gmx.net>, debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] BGE in Regionen unddemokratischenRechtsstaaten

> Hallo Mark,
> 
> möglich, daß ich etwas provozierend war, als ich Deine Vorstellung von
> Freundschaft interpretierte.
> 
> Im Russischen gibt's einen Spruch: "Besser 100 Freunde, als 100 Rubel."
> Hier
> ist Freundschaft wirklich nicht mit Geld zu bezahlen und
> Überlebenswichtig.
> Folgendes habe ich Anfang der 90er in einem Buch gefunden:
> Die klassischen Wachstumsgesellschaften sind als hochindustrialisierte
> Volkswirtschaften an den Grenzen ihrer bisherigen Möglichkeiten
> angelangt.
> [...] Das bedeutet, daß die klassische Wachstumsgesellschaft am Ende
> angelangt ist, wenn sie keinen neuen Wachstumsbereich mehr findet.
> Unglücklicherweise hat sie ihn schon gefunden, nur - die Betroffenen
> haben
> es noch nicht gemerkt. Dieser neue Wachstumsbereich ist, nachdem die Natur
> fast zugrunde gerichtet scheint, die Sozialwelt: das Sozialleben der
> Menschen und ihre Kommunikation untereinander. [...] Es gilt nur noch das
> als wirklich, was greifbar, unmittelbar nützlich und technisch zu
> verwerten
> ist. Das bewirkt, daß - zumindest in den Wohlstandsdemokratien des
> Westens -
> die großen Ideen der Menschheit - Freiheit, Humanität und Gerechtigkeit
> -
> zunehmend als unwirklich, als bloße Worte erscheinen.[...]
> 
> Freundschaft hat viel mit Vertrauen zu tun. Ich weiß von
> Managerseminaren,
> wo gerade auf diesen Punkt besonders viel Wert gelegt wird: es werden
> Paare
> gebildet, wovon einem die Augen verbunden werden und der andere ihn durch
> einen Wald führt. Oder: Man steht in einer Reihe und muß sich rücklings
> fallen lassen, wo ihn der andere auffangen soll. Oder: Bergsteigen und am
> Seil sichern. (Ein schönes Märchen über das Thema Freundschaft heißt
> "Die
> kleinen Leute von Swabedoodah":
> http://www.sagen.at/texte/maerchen/maerchenbeitraege/swabedoo.html)
> 
> Und nun sprichst Du das Vertrauen gegenüber einem "Rechts/Sozialstaat"
> an.
> Dazu zitiere ich aus dem Steppenwolf von Hermann Hesse:
> Der Bürger ist [...] seinem Wesen nach ein Geschöpf von schwachem
> Lebensantrieb, ängstlich, jede Preisgabe seiner selbst fürchtend, leicht
> zu
> regieren. Er hat darum an Stelle der Macht die Majorität gesetzt, an
> Stelle
> der Gewalt das Gesetz, an Stelle der Verantwortung das
> Abstimmungsverfahren.
> 
> Weshalb ich das aufführe: es geht nicht nur um Vertrauen, sondern auch um
> Verantwortung: Jemandem, dem ich Vertraue, übertrage ich auch ein Stück
> Verantwortung. Letztlich liegt die Verantwortung aber nur bei mir selbst -
> ich kann sie keinem anderen übertragen. (Hierzu hatte ich ein sehr gutes
> "Gespräch" mit  Friedrich Naehring (Grünen-Liste) und Robert Ulmer
> (Netzwerk-Liste) über den Existenzialismus).
> 
> Dein Argument, der "Staat" dürfe keine Fehler machen, zieht bei mir
> nicht,
> denn was ist "Staat"? Was gibt Dir das Recht, vom "Staat" Hilfe zu
> erwarten
> oder gar zu verlangen (mit oder ohne Gegenleistung)? Der Staat besteht
> auch
> aus Menschen und die können Fehler machen. Ich sage schon lange, daß ich
> kein schlechtes "Regierungssystem" kenne (sei es Religion, Kommunismus,
> Monarchie, Demokratie...), erst durch die "Verwirklichung" durch Menschen
> schlägt es in die eine oder andere Richtung um.
> 
> Vor ein paar Tagen stand in den Medien, daß Helfer bei der Spargelernte
> fehlen und die Ernte auf den Feldern verrottet, aber Deutsche seien "nicht
> geeignet" - man möchte Arbeiter aus Polen, aber die "dürfen" nicht,
> aufgrund
> Gesetzen. Manchmal frage ich mich (vor allem bei solchen Meldungen), wie
> das
> mit einem BGE funktionieren soll. Spätestens wenn keiner mehr etwas "tut"
> (im Sinne von solchen Basisarbeiten) wird der Mensch merken, daß er vom
> Geld
> nicht leben kann - schließlich muß er sich vom Geld auch etwas kaufen
> können.
> 
> Das sehe ich als "Gefahr" beim BGE, bei aller Menschenliebe. Deshalb
> plädiere ich für ein "emanzipatorisches BGE", das für mich unter
> anderem
> bedeutet, aus Vernunft heraus auch Arbeiten zu erledigen (z.B. auch
> Spargelstechen), die unangenehm und schwer sind. Um den Faden wieder auf
> die
> Ukraine, bzw. "nicht-Industrieländer" zurückzubringen: gerade in solchen
> Ländern ist diese Aufgabe sehr wichtig! Wir (die Industrieländer)
> verdanken
> unseren Wohlstand Schwellenländern und Entwicklungsländer, die wir
> ausbeuten
> und für unser Geld arbeiten lassen. Doch was ist, wenn wir sie "einfach
> so"
> aus der Abhängigkeit in die Freiheit entlassen? Was war mit den
> DDR-Bürgern,
> die von heute auf morgen "frei" waren?
> 
> Freiheit und Vernunft hängen, wie Vertrauen und Verantwortung, sehr eng
> voneinander ab. Freiheit will gelernt und Vertrauen gefühlt sein.
> 
> Wenn die Sache denn so einfach wäre, hätten wir längstens ein
> Grundeinkommen. Und ich kenne Menschen, die leben in ihrem kleinen
> Häuschen
> auf dem Land und brauchen gar kein Grundeinkommen (wie der brasilianische
> Indianerstamm im lezten Beispiel).
> 
> Es gibt noch sehr, sehr, sehr viel zu tun... packen wir's an oder lassen
> wir's andere machen?
> 
> Viele Grüße aus Kiew,
> 
> Jörg (Drescher)
> 
> 
> 
> ----- Original Message ----- 
> From: "mark jordan" <mark.jordan at gmx.net>
> To: "Joerg Drescher" <iovialis at gmx.de>;
> <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
> Sent: Monday, May 28, 2007 4:39 PM
> Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] BGE in Regionen
> unddemokratischenRechtsstaaten
> 
> 
> > Hallo Jörg,
> > ich möchte nicht das hier irgendwelche Missverständnisse entstehen.
> Ich
> habe wirklich nichts gegen Freundschaftsdienste! Was ich nur meine, ist,
> dass ja die Freundschaften natürlicherweise nicht gerecht verteilt sind,
> was
> wohl auch daran liegt, dass manche besonders gesellig ist und andere
> lieber
> für sich allein.
> > Ich sehe es auch so, dass unser Sozialstaat am Ende ist und seinen
> Aufgaben nicht gerecht wird, aber das sollte finde ich nicht den
> Rückschritt
> in die Selbstversorgergesellschaft bedeuten müssen, sondern eben ein
> Grundeinkommen, in gleicher Höhe, in der Stadt wie auf dem Land.
> > Hier in Deutschland sind die Supermarktpreise regional nicht so
> unterschiedlich, und überhaupt gibt es Supermärkte überall, mit
> Aussnahme
> vielleicht von der Ukraine. Und es ist Richtig, ich möchte einem
> Rechtsstaat
> vertrauen, mehr sogar als einem Freund. Ein Freud kann sich einen Fehler
> erlauben und eine Verabredung vegessen oder seine Schulden
> zurückzuzahlen,
> das hat für mich nicht so starke Auswirkungen und das würde ich ihm
> sogar
> verzeihen. Würde dagegen der Staat sich einen Fehler erlauben und
> vergessen
> dass ich Hilfebedürftig bin, dann ist meine Existenz bedroht, vielleicht
> könnte mir ja mein Freund aus der Patsche helfen, aber verlassen kann ich
> mich darauf nicht, nicht weil er nicht für mich da ist, sondern weil er
> selbst zu knappsen hat.
> >
> > Bis später
> > Mark

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