[Debatte-Grundeinkommen] BGE in Regionen und demokratischenRechtsstaaten

mark jordan mark.jordan at gmx.net
Mo Mai 28 15:39:24 CEST 2007


Hallo Jörg,
ich möchte nicht das hier irgendwelche Missverständnisse entstehen. Ich habe wirklich nichts gegen Freundschaftsdienste! Was ich nur meine, ist, dass ja die Freundschaften natürlicherweise nicht gerecht verteilt sind, was wohl auch daran liegt, dass manche besonders gesellig ist und andere lieber für sich allein. 
Ich sehe es auch so, dass unser Sozialstaat am Ende ist und seinen Aufgaben nicht gerecht wird, aber das sollte finde ich nicht den Rückschritt in die Selbstversorgergesellschaft bedeuten müssen, sondern eben ein Grundeinkommen, in gleicher Höhe, in der Stadt wie auf dem Land. 
Hier in Deutschland sind die Supermarktpreise regional nicht so unterschiedlich, und überhaupt gibt es Supermärkte überall, mit Aussnahme vielleicht von der Ukraine. Und es ist Richtig, ich möchte einem Rechtsstaat vertrauen, mehr sogar als einem Freund. Ein Freud kann sich einen Fehler erlauben und eine Verabredung vegessen oder seine Schulden zurückzuzahlen, das hat für mich nicht so starke Auswirkungen und das würde ich ihm sogar verzeihen. Würde dagegen der Staat sich einen Fehler erlauben und vergessen dass ich Hilfebedürftig bin, dann ist meine Existenz bedroht, vielleicht könnte mir ja mein Freund aus der Patsche helfen, aber verlassen kann ich mich darauf nicht, nicht weil er nicht für mich da ist, sondern weil er selbst zu knappsen hat.       

Bis später
Mark
    
-------- Original-Nachricht --------
Datum: Tue, 22 May 2007 14:15:00 +0300
Von: "Joerg Drescher" <iovialis at gmx.de>
An: "mark jordan" <mark.jordan at gmx.net>, debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] BGE in Regionen und	demokratischenRechtsstaaten

> Hallo Mark und jeder interessierte Leser,
> 
> Deine Ode an die Freundschaft finde ich schon ein bisschen heftig, wenn
> ich
> es so verstehe, daß man sich nicht mehr gegenseitig helfen soll. Ich bin
> immer auf Hilfe anderer angewiesen, seien sie nun Freunde oder nicht. Die
> reine Selbstversorgung (Autonomie) eines einzelnen Menschen ist in unserer
> Gesellschaft kaum mehr möglich (ich kenne eine Dame bei Bad Schussenried,
> die das in einem Häuschen praktiziert). Wenn Du Dir das für Dich auch
> wüscht, bitte, aber ich bin um die "zivilisatorischen Erungenschaften"
> und
> jeden meiner Freunde froh. Nur gilt in unserem "Freundschaftssystem"
> nicht,
> daß wir für Leistungen zwingend eine Gegenleistung erbringen müssen -
> da
> läuft alles aus Einsicht und Vernunft. Scheinbar vertraust Du aber lieber
> einem "Rechtsstaat" (die Summe aller Bürger)...
> 
> Trotzdem bin ich schon froh, daß die angesprochene Problematik besser
> verstanden wird. Um das Thema noch zu erweitern, folgende Überlegung:
> Nehmen wir als Beispiel einen Indianerstamm in den Hochebenen Brasiliens.
> Der Stamm versorgt sich zu 90% selbst und hat Einkommen aus
> Überschüssen,
> die er für die 10% ausgibt, welche er nicht selbst produzieren kann. Wenn
> wir (aus unserer Sicht gerechterweise) dem Stamm nun soviel Geld zur
> Verfügung stellen, damit die Selbstversorgung auf 20% abnimmt, machen wir
> den Stamm von "Zulieferern" abhängig. Ist das wirklich gewünscht? Was
> will
> der Stamm mit Geld? Was macht der Stamm damit? Wir greifen massiv in die
> Kultur dieser "Zivilisation" ein - brauchen sie z.B. wirklich ein Handy,
> das
> sie sich von ihrem Grundeinkommen kaufen könnten, wenn sie sich
> (vernünftigerweise) weiter selbst versorgen?
> 
> Weiterführend zum Thema empfehle ich eine Analyse von
> Subsistenzwirtschaften
> im Senegal:
> http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=975387219&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=975387219.pdf
> 
> In Russland oder der Ukraine sieht es wieder ganz anders aus. Da gibt's
> extreme Landflucht und die Städte "explodieren". Mehr zu diesem Thema
> (das
> Video ist sehr empfehlenswert!):
> http://de.wikipedia.org/wiki/Megacities_Project
> 
> Mir scheint, daß einige Listenleser sehr stark von unseren
> Geldvorstellungen
> geblendet sind. Geld ist wirklich nur ein Tauschmittel. Wir haben es
> allerdings, ähnlich dem Pawlowschen Hund, zu einem bedingten Reiz für
> unsere
> Bedürfnisbefriedigung gemacht. Das geht sogar soweit, daß immer mehr
> Großstadtkinder nicht mehr wissen, woher Lebensmittel (Mittel zum Leben)
> eigentlich herkommen: eine Kuh ist lila, die Äpfel stammen aus dem
> Supermarkt... Da bin ich wirklich froh, auf dem Dorf aufgewachsen zu sein
> und mit getrockneten Kuhfladen Frisby gespielt zu haben.
> 
> Sorry, aber manchmal ärgere ich mich über die kurzsichtige Betrachtung.
> Das
> BGE geht uns alle an - und mit alle meine ich alle auf der Welt. Ich will
> mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn ein BGE in Deutschland oder
> Europa eingeführt werden würde. So hohe Mauern können wir gar nicht
> bauen,
> daß wirklich niemand "ins Schlarafenland" kommen wollte.
> 
> Das Thema ist wirklich komplex - und die Ukraine wäre über ALG-I oder
> ALG-II
> mehr als glücklich! Hier gibt's kein wirklich funktionierendes
> Sozialsystem
> durch einen "Rechtsstaat" - vielleicht sind die Leute hier deswegen
> sozialer
> im nichtfunktionierenden System. Bitte wagt den Blick über den
> Tellerrand,
> es eröffnet neue Horizonte.
> 
> Man sagt: "Geld verdirbt den Charakter." Was passiert mit Geld durch ein
> Grundeinkommen?
> 
> Viele Grüße aus Kiew,
> 
> Jörg (Drescher)
> 
> 
> 
> 
> ----- Original Message ----- 
> From: "mark jordan" <mark.jordan at gmx.net>
> To: "Juli" <juli at 180-grad.net>;
> <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
> Sent: Monday, May 21, 2007 10:58 PM
> Subject: [Debatte-Grundeinkommen] BGE in Regionen und
> demokratischenRechtsstaaten
> 
> 
> Hallo Listenanteilnehmer,
> ich sehe hier die Gefahr, dass durch die Überlegungen, die Höhe des
> bedingungslosen Grundeinkommens von regionalen wirtschaftlichen
> Bedingungen
> abhängig zu machen, die eigentliche Idee dieses Grundeinkommens
> kontrakariert wird. Wo wäre denn, wenn ihr euren Gedanken der Regulierung
> weiter spinnt, der Unterschied zur altbekannten Bedürftigkeitsprüfung?
> Gut
> es müsste vielleicht nicht jeder Mensch einzeln geprüft werden, sondern
> bloß
> der Durchschnittsmensch der jeweiligen Region, aber damit würden wir von
> einander abgegrenzte Staaten innerhalb Deutschland oder sonst wo,
> generieren. Ja wie gesagt, wie es die Ukrainer anscheinend machen: Die
> einen
> leben in der Stadt und schicken Geld aufs Land, weil es dort mehr wert
> ist,
> und die anderen leben auf dem Land und schicken selbsterzeugte
> Lebensmittel
> in die Stadt, weil die dort mehr wert sind. Voraussetzung für dieses
> Geschehen ist, dass sich die Menschen gegenseitig kennen und vertrauen,
> weil
> es möglicherweise ihre eigene Familie ist, um die es sich bei den
> Begünstigten handelt. Wäre schön, wenn es bei diesem System keine
> Benachteiligung für Menschen gäbe, die keine Freunde oder Verwandte in
> der
> jeweils anderen Region haben. Dieser schreienden Ungerechtigkeit,
> jedenfalls
> ist es nach meinem Verständnis eine, wirkt ein sozialer Rechtsstaat wie
> der
> unsrige entgegen, indem es für möglichst jede einzelne Form von
> Benachteiligung, der Menschen in unserem Land unterliegen können, eine
> Hilfe
> geben soll, z.B. Waisenrente. Voraussetzung für eine solche Hilfe ist,
> dass
> die Hilfebedürftigkeit erkannt wird, und dass sie anerkannt wird, was oft
> einhergeht mit einer Prüfung ob Selbst- oder Fremdverschuldung. Ist
> jemand
> z.B. Selbstverschuldet arbeitslos, gibts ALG II, wird nachgewiesen, dass
> er
> oder sie aufgrund von Arbeitsplatzstreichungen arbeitslos ist, gibts erst
> mal ALG I, wird aber nachgewiesen, dass sie oder er aufgrund einer
> Krankheit
> oder irgendwelcher persönlicher Defizite arbeitslos ist, wird sofort ein
> Vielfaches von ALG I und ALG II locker gemacht, wovon die Person selbst
> aber
> nicht unbedingt so viel abbekommt, weil es für Reha, Ergo, oder sonstige
> Maßnahmen ausgegeben wird, die jener Person eben irgendwie helfen soll,
> wobei auch immer. Dieses System hat meiner Meinung nach ausgedient, genau
> wie das Angewiesen Sein auf die  Hilfe von Freunden und Verwandten. Was
> man
> vielleicht in der Ukraine noch antrifft, gab es auch bei uns, als alles
> weg
> gebombt war.
> 
> Den Nachteil eines Grundeinkommens, den Juli hier angeführt hat, kann ich
> nicht erkennen.
> Bewusste Selbstorganisation ist natürlich genauso auch weiterhin
> möglich,
> das BGE ließe sich auch ohne Probleme auf mein Konto überweisen, wenn
> man es
> lieber etwas archaischer hat.
> 
> Ich sehe natürlich ein, dass 1000 EURO hier in Hamburg viel weniger sind
> als
> irgendwo auf dem Lande in den ehemaligen Ostblockstaaten, man könnte ein
> BGE
> aber auch wunderbar als Mittel nutzen, um eben diese unterschiedlichen
> Lebensstandards anzugleichen, dass dies nicht von jetzt auf gleich
> möglich
> ist, ist wohl klar. Das BGE ließe sich vorerst einmal innerhalb eines
> Staates wie Deutschland bedingungslos in gleicher Höhe einführen, in
> München, wie in Frankfurt an der Oder. Warum nicht?
> 
> _______________________________________________
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