[Debatte-Grundeinkommen] BGE in Regionen und demokratischen Rechtsstaaten

mark jordan mark.jordan at gmx.net
Mo Mai 21 21:58:30 CEST 2007


Hallo Listenanteilnehmer,
ich sehe hier die Gefahr, dass durch die Überlegungen, die Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens von regionalen wirtschaftlichen Bedingungen abhängig zu machen, die eigentliche Idee dieses Grundeinkommens kontrakariert wird. Wo wäre denn, wenn ihr euren Gedanken der Regulierung weiter spinnt, der Unterschied zur altbekannten Bedürftigkeitsprüfung? Gut es müsste vielleicht nicht jeder Mensch einzeln geprüft werden, sondern bloß der Durchschnittsmensch der jeweiligen Region, aber damit würden wir von einander abgegrenzte Staaten innerhalb Deutschland oder sonst wo, generieren. Ja wie gesagt, wie es die Ukrainer anscheinend machen: Die einen leben in der Stadt und schicken Geld aufs Land, weil es dort mehr wert ist, und die anderen leben auf dem Land und schicken selbsterzeugte Lebensmittel in die Stadt, weil die dort mehr wert sind. Voraussetzung für dieses Geschehen ist, dass sich die Menschen gegenseitig kennen und vertrauen, weil es möglicherweise ihre eigene Familie ist, um die es sich bei den Begünstigten handelt. Wäre schön, wenn es bei diesem System keine Benachteiligung für Menschen gäbe, die keine Freunde oder Verwandte in der jeweils anderen Region haben. Dieser schreienden Ungerechtigkeit, jedenfalls ist es nach meinem Verständnis eine, wirkt ein sozialer Rechtsstaat wie der unsrige entgegen, indem es für möglichst jede einzelne Form von Benachteiligung, der Menschen in unserem Land unterliegen können, eine Hilfe geben soll, z.B. Waisenrente. Voraussetzung für eine solche Hilfe ist, dass die Hilfebedürftigkeit erkannt wird, und dass sie anerkannt wird, was oft einhergeht mit einer Prüfung ob Selbst- oder Fremdverschuldung. Ist jemand z.B. Selbstverschuldet arbeitslos, gibts ALG II, wird nachgewiesen, dass er oder sie aufgrund von Arbeitsplatzstreichungen arbeitslos ist, gibts erst mal ALG I, wird aber nachgewiesen, dass sie oder er aufgrund einer Krankheit oder irgendwelcher persönlicher Defizite arbeitslos ist, wird sofort ein Vielfaches von ALG I und ALG II locker gemacht, wovon die Person selbst aber nicht unbedingt so viel abbekommt, weil es für Reha, Ergo, oder sonstige Maßnahmen ausgegeben wird, die jener Person eben irgendwie helfen soll, wobei auch immer. Dieses System hat meiner Meinung nach ausgedient, genau wie das Angewiesen Sein auf die  Hilfe von Freunden und Verwandten. Was man vielleicht in der Ukraine noch antrifft, gab es auch bei uns, als alles weg gebombt war. 

Den Nachteil eines Grundeinkommens, den Juli hier angeführt hat, kann ich nicht erkennen. 
Bewusste Selbstorganisation ist natürlich genauso auch weiterhin möglich, das BGE ließe sich auch ohne Probleme auf mein Konto überweisen, wenn man es lieber etwas archaischer hat. 

Ich sehe natürlich ein, dass 1000 EURO hier in Hamburg viel weniger sind als irgendwo auf dem Lande in den ehemaligen Ostblockstaaten, man könnte ein BGE aber auch wunderbar als Mittel nutzen, um eben diese unterschiedlichen Lebensstandards anzugleichen, dass dies nicht von jetzt auf gleich möglich ist, ist wohl klar. Das BGE ließe sich vorerst einmal innerhalb eines Staates wie Deutschland bedingungslos in gleicher Höhe einführen, in München, wie in Frankfurt an der Oder. Warum nicht?

 
-------- Original-Nachricht --------
Datum: Fri, 18 May 2007 13:30:51 +0200
Von: Juli <juli at 180-grad.net>
An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Nichtindustrieländer und BGE - Bodenrente, Bodensteuer, Erbbaurechte und Ökoabgaben

> Hallo!
> 
> Ich finde, Jörg hat hier ein sehr interessantes Problem angesprochen,
> auch wenn das in der Deutlichkeit wie es sich für mich stellt, noch nich
> angesprochen wurde: in der Ukraine gibt es noch in weiten Teilen
> vor-industrielle Strukturen, in denen viel über Subsistenz läuft und
> eher wenig über Geldeinkommen. wenn wir mal kurz annehmen, hier würde
> ein einheitliches monetäres Grundeinkommen eingeführt, dann wäre ja
> tatsächlich die Frage, wie sich das auf diese Strukturen auswirkt.
> 
> Einerseits wäre sicherlich eine langfristige Angleichung der
> Lebensverhältnisse in Stadt und Land denkbar. Verbunden wäre damit
> tendenziell aber auch ein weitergehendes ersetzen bisheriger
> Subsistenzwirtschaft durch Geldwirtschaft. Positiv könnte also gesagt
> werden: hier schreitet der Zivilisationsprozess voran, Geld und
> bürgerlicher Lebensverhältnisse dringen in immer weitere
> gesellschaftliche Gebiete ein und bringen den Menschen Glück und Freude,
> zerstören die "idyllischen und patriarchalischen Verhältnisse" (Marx).
> Negativ könnte gesagt werden, das damit natürlich auch die Chance
> vergeben wird, die in den patriarchalisch-ländlichen Verhältnissen
> schlummernden Chancen zu bewusster Selbstorganisation der Beteiligten zu
> nutzen, um sie statt dessen dem vollständigen Diktat von Markt und Geld
> zu unterwerfen. Das BGE hätte in diesem Fall die Funktion, in den
> entsprechenden Staaten eine nachholende Modernisierung voranzubringen.
> 
> Wobei natürlich tatsächlich die Frage offen bliebt, ob in diesen
> Ländern
> das entsprechende monetäre Potential überhaupt vorhanden wäre und nicht
> ohnehin Formen des "BGE als Sachleistung" wesentlich sinnvoller und
> befreiender wirken könnten.
> 
> bunte grüße,
> 
> juli
> 
> ---------------------------
> 
> Joerg Drescher schrieb:
> > Hallo Joachim und die anderen Listenteilnehmer,
> >
> > angenommen, wir führen ein BGE in der EU als Gesamtflächenstaat ein,
> dann
> > haben wir das gleiche Problem, wie in der Ukraine. Da die EU
> administrativ
> > in einzelne Staaten aufgeteilt ist, haben wir automatisch
> unterschiedliche
> > BGE-Höhen. Durch die staatsadministrativen Unterschiede fällt das
> Problem
> > weg, daß jemand aus Spanien in Deutschland BGE kassieren kann.
> >
> > Nehmen wir allerdings einen Binnenstaat mit unterschiedlicher BGE-Höhe,
> > haben wir das Problem, daß z.B. ein Sohn aus einer Familie nach Kiew
> > geschickt wird, dort so günstig wie möglich lebt (Wohngemeinschaft)
> und
> > Lebensmittel von der Familie (Eigenproduktion auf dem Land) nach Kiew
> > schickt und den Sohn "durchfüttert". Der Sohn schickt dafür das Geld
> zu
> > seiner Familie, die ein niedrigeres BGE bekommt (regionale
> Unterschiede).
> > Die Leute in der Ukraine sind so drauf.
> >
> > Dieses Problem haben wir vielleicht weniger in Deutschland, auch nicht
> in
> > der EU (durch die Distanzen), aber in Nichtindustrieländern, wie der
> > Ukraine. Das löst nicht das eigentliche Problem: es hängt von der
> > Infrastruktur, den Produktionsmitteln und den realen Arbeitseinkommen ab
> > (die sich gegenseitig bedingen) - dem gegenüber stehen die
> > Lebenshaltungskosten (zum Auskommen -> BGE-Höhe).
> >
> > Meine Entscheidung, in der Ukraine zu leben, war unter anderem mit den
> > niederen Lebenshaltungskosten verbunden. Arbeitet mein Geld in
> Deutschland
> > und wirft monatlich 500 Euro ab (so meine Überlegung), habe ich in der
> > Ukraine ein Auskommen - in Deutschland reichen 500 Euro nicht. Das
> Problem
> > war nur, daß ich mich verspekuliert hatte und die Rechnung nicht
> aufging
> > (vielleicht kennt jemand den Phoenix-Skandal). Deshalb bin ich
> inzwischen
> > gezwungen, meinen Lebensunterhalt zu verdienen - aber mir macht meine
> Arbeit
> > Spaß, die ich schon mit meinem "BGE" angefangen hatte.
> >
> > Viele Grüße aus Kiew,
> >
> > Jörg (Drescher)
> >
> >
> >
> > ----- Original Message ----- 
> > From: "j.behncke" <j.behncke at bln.de>
> > To: "Joerg Drescher" <iovialis at gmx.de>; "Manfred Bartl"
> <sozial at gmail.com>;
> > <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>;
> > <gruenes_netzwerk_grundeinkommen at gruene-berlin.de>
> > Sent: Friday, May 11, 2007 10:06 AM
> > Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] [Gr.NetzGE] Nichtindustrieländer
> und
> > BGE - Bodenrente, Bodensteuer, Erbbaurechte und Ökoabgaben
> >
> >
> >   
> >> Lieber Jörg, liebe Liste!
> >>
> >> Man muß wohl das machen, was man auch in Deutschland machen muß: Die
> GE
> >>     
> > Höhe
> >   
> >> ist zu regionalisieren.
> >>
> >> Das ist ganz selbstverständlich, wenn man das GE global denkt.
> >>
> >> Aber ich finde die Modellanwendung Ukraine ganz interessant, auch durch
> >>     
> > den
> >   
> >> Stadt-Land Effekt und durch die aus Deinen Darstellungen hervorgehende
> >> Tatsache, dass dort die Leute auf dem Land noch in einer
> vorindustriellen
> >> Situation leben: Geld ist untergeordnet. Man versorgt sich durch die
> >> Erzeugung von Gütern für das tägliche Leben.
> >>
> >> Grüße
> >> Joachim Behncke
> >> AK Grundsicherung/Grundeinkommen, Berlin
> >>     
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