[Debatte-Grundeinkommen] In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? In welcher Welt wollen wir leben?

Ludwig Paul Häußner ludwigpaul.haeussner at iep.uni-karlsruhe.de
Fr Mai 11 09:47:22 CEST 2007


Liebe LeserInnen der Liste,

einer der frühen Slogans der GRÜNEN lautete: Global denken - lokal handeln


Also auf das Denken kommt es zuerst an. Das bedingungslose Grundeinkommen
erfordert ein umdenken.


Die Esslinger Zeitung hat in diesem Zusammenhang ein Interview mit Götz W.
Werner geführt. Im Gegensatz zum Interview im aktuellen SPIEGEL fragt der
Interviewer wohlwollend, erkundend. 

Ja und das ist dabei herausgekommen. Gerade die GRÜNEN als bislang einzige
Partei des postindustriellen Zeitalters könnte die Avantgarde in der
Gestaltung unserer Gesellschaft sein, wenn ihre Mitglieder bereit sind
umzudenken.


Gruß


Ludwig Paul Häußner

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Esslinger Zeitung v. 11.05.2007 Interview mit Götz W. Werner

 
Überschrift: „Man muss den Menschen etwas zutrauen“



ESSLINGEN: Götz Werner über sein Konzept eines garantierten
Grundeinkommens für alle - Am Montag in der WLB
Er zählt zu den erfolgreichsten Unternehmern im Land, seine
Drogeriemarktkette dm macht Milliarden-umsätze. Schlagzeilen schreibt Götz
Werner jedoch wegen seiner Reform-ideen. Er fordert, jedem Bürger steuerfrei
und bedingungslos ein Grundeinkommen zu geben - abgaben- und
steuerfinanzierte Hilfen wie das Arbeitslosengeld sollen abgeschafft werden.
Und an Stelle der bisherigen Mehrwertsteuer soll eine deutlich höhere
Konsumsteuer treten. Obwohl seine Kritiker ob dieser Vorschläge den Kopf
schütteln, findet Götz Werner zusehends Resonanz: Er ist Stammgast in den
wichtigsten Talkshows, seine Vorträge mobilisieren die Massen. Am Montag,
14.
Mai, ist Werner ab 20 Uhr in der Reihe „Zeit & Geist“ im WLB- Schauspielhaus
zu Gast. Alexander Maier bat ihn vorab zum Gespräch.

EZ: Sind Sie ein Sozialreformer oder ein unverbesserlicher Utopist?

Werner: Ich bin ein Unternehmer, der sich Gedanken macht, wie unsere
Zukunft aussehen soll. Von jedem guten Unternehmer erwartet man, dass er
sich rechtzeitig überlegt, was aus seiner Firma wird. Genauso muss ich mich
als Mensch fragen, in welcher Gesellschaft ich leben möchte. Das
unterscheidet
den Menschen vom Tier: Dass er sich Vorstellungen über die Zukunft macht
und mitwirkt, die Zukunft zu gestalten im Hier und Jetzt.

EZ: Verändert sich wenig Grundlegen des, weil es denen, die Einfluss hätten,
die
Zukunft zu gestalten, ge nügt, wenn es ihnen selbst gut geht?

Werner: Es ist doch das alte Problem, dass man sich gerne mit dem
Erreichten zufriedengibt. Dabei müssten wir eigentlich wissen, dass es
unweigerlich rückwärts geht, wenn wir uns auf unseren Erfolgen ausruhen. Nur
wenn wir bereit sind, uns immer wieder selbst zu hinterfragen, kann es
vorwärts gehen.

EZ: Die Welt wird immer komplizierter. Trotzdem erwarten viele von der
Politik
immer griffigere Antworten auf immer komplexere Probleme. Wie erklären Sie
Ihr Konzept?

Werner: Nicht die Politiker sind der Souverän, sondern die Bürger. Politiker
müssen das, was die Bürger wollen, in Konzepte umsetzen und diese im Sinne
der Bürger verwirklichen. Meine Vorschläge für ein Grundeinkommen, von dem
jeder bescheiden, aber menschenwürdig leben kann, oder für die
Konsumbesteuerung verstehe ich als Kulturimpulse. Das ist eine normative
Frage: Wie wollen wir miteinander umgehen? Das kann keiner verordnen, es
muss sich entwickeln im gesellschaftlichen Diskurs, weil es einen
Paradigmenwechsel bedeutet.

EZ: Und wie sieht der aus?

Werner: Wir brauchen kein Recht auf Arbeit, sondern einen freien Willen zur
Arbeit. Und den kann ich nur entfalten, wenn ich eine Grundsicherheit habe,
aus der heraus ich tätig werden kann. In dieser Gesellschaft können Sie
bisher
gar nicht leben, wenn Sie kein Einkommen haben. Die Schlüsselfrage lautet:
Wie schaffen wir Rahmenbedingun-gen, die Initiativen wecken? Denn je mehr
Menschen in einer Gesellschaft Initiativen entwickeln, desto besser geht es
dieser Gesellschaft.

Das klingt wunderbar. Warum tun sich viele dann so schwer, nach Ihren
Vorschlägen umzusteuern?

Werner: Das liegt daran, dass manche eben Probleme haben, sich auf Neues
einzulassen. Denn das bedeutet, dass man sich verändern muss. Wir kleben zu
stark an den alten Paradigmen - zum Beispiel an der Anknüpfung des
Steuersystems an die Arbeit. So wird Arbeit immer teurer und immer weiter
diskriminiert, während die Maschinenarbeit immer weiter subventioniert wird.
Die Folge ist eine Verarmung der öffentlichen Haushalte und eine Abwanderung
der Arbeit ins Ausland.

EZ: Wie soll sich ein Grundeinkommen finanzieren? 

Werner: Unsere Gesellschaft würde enorm prosperieren und der Kuchen, den
es zu verteilen gibt, würde viel größer werden, weil mehr Initiative
erbracht
werden würde. Wenn ich arbeite, weil ich arbeiten will, und nicht, weil ich
arbeiten muss, bin ich viel engagierter, risikobereiter und kreativer. Das
nützt
allen. Das Problem ist, dass Leute heute formal einen Arbeitsplatz haben, in
Wirklichkeit ist das aber ein Einkommensplatz. Sie machen die Arbeit, weil
sie
das Einkommen brauchen und nicht, weil sie einen Sinn in der Arbeit sehen.
Wenn wir den Leuten ein Grundeinkommen geben würden, dann würden sie
sich aus eigener Initiative die Arbeit suchen, die sie für sinnvoll halten.


EZ: Dummerweise gibt es auch Arbeiten, die keiner machen will . . .

Werner: Durch ein Grundeinkommen würde sich die Arbeit ganz neu
bewerten. Wir sprechen heute zwar von einem Arbeitsmarkt, aber ein Markt
setzt voraus, dass jeder es tun oder lassen kann, am Markt teilzunehmen. Mit
dem Grundeinkommen hätten Sie einen wirklichen Arbeitsmarkt. Und wenn Sie
wollen, dass unangenehme Arbeiten gemacht werden, müssten Sie diese viel
attraktiver als bisher gestalten.

EZ: Kritiker monieren, das klinge zwar sehr gut, berücksichtige aber nicht
die Natur
des Menschen . . .

Werner: Das ist eine Frage des Menschenbildes: Sehe ich ihn materialistisch
als reines Reaktionswesen oder sage ich, der Mensch sei ein Wesen, das nach
Höherem strebt und sich selbst bestimmen möchte? Man muss den Menschen
etwas zutrauen. Wenn sie mit einem Grundeinkommen von 800 Euro zufrieden
wären, würden sie auch heute schon jeden Monat mit der Arbeit aufhören,
wenn sie dieses Geld verdient haben.

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Götz Werner stellt am Montag in der WLB sein neues Buch „Einkommen für
alle“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch, 16.90 Euro) vor. Sein Vortrag wird in
der
Reihe „Zeit & Geist“ von der Stadtbücherei, der Buchhandlung H. Th. Schmidt,
der Dieselstraße und der EZ veranstaltet. Der Erlös dieser Veranstaltung
kommt dem Bücherbus zugute. Eintrittskarten gibt es im Vorverkauf in der
Bücherei ( Tel. 07 11/35 12-23 37) sowie an der Abendkasse.









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