[Debatte-Grundeinkommen] [Gr.NetzGE] Nichtindustrieländer und BGE - Bodenrente, Bodensteuer, Erbbaurechte und Ökoabgaben

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Do Mai 10 22:09:38 CEST 2007


Hallo Manfred, Hallo Ludwig und die restlichen Listenleser!

ich glaube, daß das Problem nicht ganz verstanden wurde. Ich spreche hier
von der Ukraine und nicht von Deutschland. Das ist ein Volk mit 48Mio.
Einwohnern (tendenz sinkend) und wenn man hier ein ausreichend hohes BGE
finanzieren will, dann muß man sich an solchen Ballungszentren wie Kiew
orientieren. Auf dem Land gibt's nichts (weder wirkliche Arbeit, noch
Konsumgüter oder eine gute Infrastruktur), weshalb 500-600 USD kein Anreiz
sind, "für's Nichtstun" dort zu bleiben und viel Geld zu bekommen.

Anders herum, muß das Gesamtvolk diese 500-600 USD für jeden auch
erwirtschaften. Mit ca. 6Mio. Leuten in Kiew (und ein paar anderen Städten,
die Waren/Dienstleistungen zum Konsum produzieren), könnte es durchaus sein,
daß diese 500USD gar nicht ausreichen, sondern nur 300USD oder weniger für
jeden wird - auf dem Land reicht das, im Ballungszentrum nicht. Damit wäre
aber der BGE-Grundgedanke (existenzsichernd im Sinne einer basalen
Grundversorgung) für Städte ausgehoben.

Nun kommt das Argument: sollen die Leute doch auf's Land ziehen - wäre
sowieso gesünder und klüger. Aber auf dem Land muß großteils erst eine
Infrastruktur geschaffen werden.

Nun speziell zu Ludwig:
Die Bodenbesteuerung gibt's schon bei Condorcet (vgl. Text von van Parijs)
und im UDZ-Forum war ein glühender Verfechter des "Terrismus". Außerdem wird
der Vorschlag von der Initiative "Equilibrismus"
(http://www.equilibrismus.de/) vertreten. Eine Bodensteuer würde in der
Ukraine noch extremere Auswirkungen haben, da das Land hauptsächlich ein
Agrarland ist. Der Grundbesitzer soll für den Boden Steuern zahlen und muß
gleichzeitig noch Leute finden, die trotz enorm hohem BGE für die
Bewirtschaftung hart (!) arbeiten. Wenn er sie durch finanzielle Anreize
locken will, wird's richtig teuer. Das wirkt sich auf die
(Lebensmittel)Preise aus und so weiter und so fort...

Ihr verkennt glaube ich die Situation in anderen Ländern. Kommt doch mal
vorbei - ich bin gerne bereit, jemandem Kiew und die Ukraine zu zeigen; vor
allem, mit welchen Problemen die Leute hier zu "kämpfen" haben. Es gibt viel
zu sehen.

Was ich hier schreibe ist kein Gegenargument zum BGE, sondern die Frage, ob
Eure BGE-Vorstellungen nur auf Deutschland passen. Ich denke (leider) global
und suche universale Möglichkeiten. Bisher scheint das Dilthey-Modell die
besten Ansätze zu haben, diese Probleme zu lösen - nicht umsonst war ich von
Anfang an für dieses Modell, seit ich es kenne.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)



----- Original Message ----- 
From: "Manfred Bartl" <sozial at gmail.com>
To: <ludwigpaul.haeussner at iep.uni-karlsruhe.de>; "Joerg Drescher"
<iovialis at gmx.de>; <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Cc: <gruenes_netzwerk_grundeinkommen at gruene-berlin.de>;
<genugfueralle at listen.attac.de>; "Büro Reinhard Loske"
<reinhard.loske at bundestag.de>
Sent: Thursday, May 10, 2007 6:41 PM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] [Gr.NetzGE] Nichtindustrieländer und
BGE - Bodenrente, Bodensteuer, Erbbaurechte und Ökoabgaben


Hallo, Jörg und Ludwig und alle auf der Liste!

Jörg, Du denkst doch sonst nicht so durch die Geld-Brille. Städte sind
heutzutage eigentlich kein Lebensraum mehr, sondern nur noch
Ballungsraum. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte dazu führen,
dass Ideen für die Gestaltung eines menschenwürdigens Lebensraumes
Stadt wieder gedacht und vielleicht auch umgesetzt werden können.
Damit würden Städte dem Land sicher wieder etwas ähnlicher werden.

Die Lebenshaltungskosten in der Stadt sind u.a. deswegen höher, weil
Wohneigentum weniger verbreitet ist. Weil viele Menschen in der Stadt
Miete zahlen, verschaffen sie den Hausbesitzern leistungsloses
Einkommen. Zudem vergrößern sie dadurch und durch den mit den
Mietzahlungen finanzierten Zinseffekt das Eigentum der Hausbesitzer.
Dadurch wird die Situation in der Stadt auch immer schlimmer. Dabei
gibt es gar keinen sinnvollen Grund, dass meine Wohnung jemand anderem
gehören muss. Eigentlich düfte es diese Form des Menschen abhängig
machenden Eigentums überhaupt nicht geben. Neben dem bedingungslosen
Grundeinkommen brauchen wir daher auch ein Wohnrecht/Wohneigentum ODER
umgekehrt die völlige Abschaffung von Bodeneigentum. So weise waren
schon die alten Indianer...

Ludiwg, Dein Modell klingt gut und gerecht, ist aber unter
kapitalistischen Bedingungen auf lange Sicht undenkbar, da Boden damit
zum Spekulationsobjekt werden würde, das nur dann gemeineigen gehalten
werden kann, wenn er auch etwas abwirft. Eigentlich ist der
Kapitalismus insgesamt auf lange Sicht undenkbar ;-)

Gruß
Manfred




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