[Debatte-Grundeinkommen] BGE-Erfahrungen

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mi Mär 28 21:38:54 CEST 2007


Hallo Leute,

mir scheint die Diskussion um ein Grundeinkommen teilweise etwas entgleitet
zu sein, indem oft nur über die Finanzierung diskutiert wird, welche
Auswirkungen so ein System haben könnte und welche Argumente für oder gegen
ein BGE (egal welcher Art) sprechen.

Vielleicht hört es sich komisch an, wenn ich behaupte, daß ich schon
BGE-Erfahrung habe, aber ich hatte es bisher mit drei "BGE-Modellen" zu tun.
Damit meine ich nicht die Art der Finanzierung - vielmehr meine ich das, was
wir uns alle wünschen: Geld auf's Konto. Dabei will ich kurz schildern,
welche Auswirkungen das bei mir hatte. Vielleicht kann der eine oder andere
auch "seine BGE-Erfahrung" beitragen?

Die erste BGE-Art war ein "kleines Vermögen", das ich mir durch einen
Auszahlplan monatlich überweisen ließ, nachdem ich 18 Jahre alt war. Die
Höhe "meines BGEs" bestimmte ich so, daß ich keiner Arbeit nachgehen mußte.
Allerdings war ich auch unvernünftig und entnahm diesem Vermögen mehr Geld,
wovon ich durch Europa reiste und mir die Welt ansah. Damit waren meine
"Ressourcen" irgendwann aufgebraucht.

Die zweite BGE-Art kam von "Vater Staat", nachdem ich meine sehr gut
bezahlte Arbeit (Dozent für Netzwerktechnik an einer Privatschule mit über
2000 Euro netto) aufgab, aber dies begründen konnte. Das war 2002 und damals
gab es ein Programm: Überbrückungsgeld in der Selbständigkeit. Ich bekam ca.
50% für ein halbes Jahr vom Staat und sollte während diesem halben Jahr mein
Geschäft zum Laufen bringen. Ich war als EDV-Berater tätig und meine
Entgeltforderungen sahen dann so aus, daß ich meinen Kunden sagte, daß ich
keine Ahnung habe, wieviel ihnen meine Arbeit Wert sei und sie mir
vorschlagen sollten, wieviel sie bezahlen wollen. Sie hätten auch "nichts"
sagen können, was aber nicht der Fall war - vielmehr bekam ich einen fairen
Betrag, der auf meiner Rechnung landete und dem Konto (als Zusatz) landete.

Nach dieser Zeit kam wieder ein "kleines Vermögen" und ich ging in die
Ukraine. Dort war es mir langweilig und ich wollte mich beschäftigen. Ich
versuchte dabei ein Sozialprojekt, das sich selbst tragen sollte
(Holzspielsachen in der Psychiatrie herstellen, die verkauft werden sollten,
um das Projekt selbst zu finanzieren). Damit war ich fast ein Jahr
beschäftigt und habe sehr viel über Land und Leute - aber auch über
Vorschriften gelernt. Das Projekt stellte ich wieder ein, weil die
Vorschriften eine Katastrophe waren. Dann kam der Sprachunterricht. Mein
"kleines Vermögen" erlitt einen heftigen Schaden (Fehlinvestition), aber ich
kam zur dritten BGE-Art:

Von der dritten BGE-Art lebe ich seit 2 Jahren. Man könnte diese mit dem
TG-M (Althaus-Modell) vergleichen. In der Ukraine arbeite ich (wie schon
erwähnt) als Sprachlehrer und Übersetzer. Mein Arbeitgeber hat mich
offiziell angemeldet und ich bekomme einen "Festlohn", der relativ gering
ist und meine Lebenshaltungskosten sehr knapp deckt. Diesen Sockelbetrag
bekomme ich jeden Monat. Allerdings gibt es eine Vereinbarung mit meinem
Chef (für alle Mitarbeiter!), daß jener, der über diesen Sockelbetrag
arbeitet, auch mehr Geld bekommt. Dies tun sehr viele, weil das Leben in
Kiew (im Verhältnis zum Einkommen) teuer ist. Ich habe noch andere Reserven
und bin nur auf den Sockelbetrag angewiesen - allerdings kann ich nur die
Arbeit tun, die mir gegeben wird. Diese Arbeit unterschreitet im Allgemeinen
meinen Sockelbetrag und ich habe noch nie mehr erhalten. Obwohl die Ukrainer
ein wirklich offenes Volk sind und auch gutmütig, habe ich von "Neidern"
gehört, die meinen, daß es nicht gerecht sei, "mich durchzufüttern", ohne
daß ich dafür etwas leiste - schließlich erarbeiten meine Mitarbeiter auch
mein Einkommen. Das höre ich wirklich nicht gerne und "schäme" mich auch ein
Stück weit dafür; allerdings bin ich auf dieses Einkommen angewiesen (sonst
hieße es nach 5 Jahren: zurück nach Deutschland und Hartz-IV). Deshalb bin
ich verhemmt gegen ein TG-M in allen Formen (ich nehme ungern Geld, für das
andere arbeiten).

Mein Leben bestand bisher nicht wirklich aus "Zwang zur Arbeit" (die
Nachkriegsgeneration, bzw. mein Vater, wollte, daß es die Kinder einmal
einfacher haben sollten, wie sie selbst). Im allgemeinen gibt's einen
Begriff für solche Leute, die ein "Grundeinkommen" haben. Man nennt sie
"Privatier" (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Privatier) - Goethe ist ein
sehr berühmtes Beispiel. Ich war immer wieder mal "Privatier", aber
schlitterte auch immer wieder auf die "einkommensnotwendige Seite". Deshalb
kann ich nachvollziehen, was finanzielle (existenzielle) Sorgen bedeuten,
die ich auch durchleb(t)e.

Es wäre nett, wenn andere auch ihre "BGE-Erfahrung" schildern könnten, bzw.
wie sie sich ein Leben mit einem BGE vorstellen.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)
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2. Grundeinkommenstag am 12.05.07
http://grundeinkommenstag.org




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