[Debatte-Grundeinkommen] Kommentar zu taz-Interview mit Katja Kopping und Andrea Nahles zum bedingungslosen Grundeinkommen

Kurt Sprung sprungk at gmx.de
Di Mär 20 22:28:56 CET 2007


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Kurt Sprung

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"Und wer leert die Mülltonnen?"

INTERVIEW HANNES KOCH

UND KATHARINA KOUFEN

taz: Frau Kipping, wenn es nach Ihnen ginge, bekäme jeder Bundesbürger 800 Euro pro Monat vom Staat - egal, ob er arbeitet oder nicht. Bricht bald das Paradies aus?

Katja Kipping: Das bedingungslose Grundeinkommen für alle ist ein wunderbares und realistisches Projekt. Dafür lohnt es sich zu streiten. Am Anfang sollte jeder 800 bis 1.000 Euro pro Monat bekommen, plus Krankenversicherung und regionalisiertes Wohngeld. Und zwar ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Arbeitszwang.

Frau Nahles, soll sich die ehemalige Arbeiterpartei SPD vom protestantischen Arbeitsethos lossagen?

Andrea Nahles: Dieses Grundeinkommen wird es so niemals geben. Man kann ein Sozialsystem nicht gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Bevölkerung organisieren. Wer Leistungen von der Gemeinschaft erhält, muss auch eine Gegenleistung bringen. Sonst geht die Ausgewogenheit von Geben und Nehmen verloren.

Kommentar (von Kurt 'Sprung): Frau Nahles ist keine Prophetin. Ob es ein solches Grundeinkommen geben wird, kann sie nicht wissen, höchstens nicht wünschen. "Das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung" ? Gerade weil das jetzige Sozialsystem ungerecht ist, brauchen wir eine Alternative! Frau Nahles stellt die Dinge auf den Kopf. Die Ungerechtigkeit unseres jetzigen Sozialsystems besteht darin, dass Millionen von Menschen, die hart arbeiten gerade so viel, oder nur wenig mehr haben, als andere, die arbeitslos sind. Das ist weder die Schuld der Arbeitslosen, noch die Schuld der Arbeitenden, es ist die Schuld von Politikern, die unserem (!) Sozialstaat die notwendigen Reformen vorenthalten.

Kipping: Viele Menschen empfinden Hartz IV als Entwürdigung und Gängelung. Sie verlangen nach etwas anderem.

Nahles: Es ist für mich keine Verletzung der Würde eines Menschen, wenn er seine Bedürftigkeit nachweisen muss, um Leistungen der Gemeinschaft zu erhalten. Der Kerngedanke von Hartz IV war und ist richtig. Kein Mensch darf auf alle Zeiten in die Sozialhilfe abgeschoben werden, sondern jedem muss man die Chance auf einen Arbeitsplatz eröffnen.

Kommentar: Was ein Mindesteinkommen betrifft ist jeder Mensch bedürftig - das scheint Frau Nahles nicht zu begreifen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen schiebt Menschen nicht in Sozialhilfe ab. Im Gegenteil: Jobs, die vorher unannehmbar waren könnten danach attraktiv sein. Das BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN stärkt die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer. 

Kipping: Der Arbeitszwang bei Hartz IV hat zum Beispiel dazu geführt, dass Hausfrauen in Stripbars vermittelt wurden und sich dort aus lauter Angst vor drohenden Kürzungen auch gemeldet haben. Ich kenne auch Leute, die wurden im Winter zum Unkrautjäten geschickt.

Nahles: Das ist unakzeptabel. Ja, der Grundgedanke von Hartz IV ist teilweise verschüttet. Das Fordern überwiegt, das Fördern kommt zu kurz. Vielen Menschen wird keine realistische Perspektive auf einen neuen Arbeitsplatz geboten. Wir arbeiten daran, das zu verbessern. Die Idee einer bedarfsorientierten Grundsicherung bleibt aber richtig.

Kipping: Nein, Hartz IV ist im Kern falsch. Dieses System wird dominiert durch einen falschen Leistungsbegriff. Sie, Frau Nahles, Sie verstehen unter Leistung immer nur Erwerbsarbeit. Dabei ist nicht jede Erwerbsarbeit, beispielsweise das Abholzen des Regenwaldes, automatisch gut für die Gesellschaft. Während andere Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit - politisches Engagement oder Erziehungstätigkeit - einen sehr wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl leisten.

Nahles: Das ist kein Grund, 40 Millionen Menschen staatliche Leistungen zu geben, obwohl sie die gar nicht brauchen. Wer denkt an diejenigen, die im Schweiße ihres Angesichts für wenig Geld arbeiten und trotzdem Steuern zahlen?

Kommentar: Denkt Frau Nahles an diese? Jetzt bestraft unser Sozialstaat mit der ganzen Härte des Gesetzes die Klein- und Kleinstverdiener. Oder gibt's da Zweifel? Das gegenwärtige Sozialrecht und Steuerrecht ist unsozial und ungerecht. Was sagt Frau Nahles dazu. (Die Ungerechtigkeit beginnt bereits mit der Kompliziertheit)

Kipping: Vor Jahrhunderten war es unvorstellbar, Wege zu benutzen, ohne Wegezoll zu zahlen. Inzwischen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass jeder die öffentliche Infrastruktur kostenlos in Anspruch nimmt, egal ob er faul oder ein Workaholic ist. Für mich gehört im 21. Jahrhundert eine finanzielle Grundabsicherung für alle genauso dazu wie die freie Benutzung von Straßen.

Was soll daran schlecht sein, Frau Nahles?

Nahles: Die Erwerbsarbeit muss zentral bleiben für die Organisation unseres Sozialstaates. Das Ziel der Vollbeschäftigung dürfen wir nicht aufgeben.

Kommentar: Genau, Frau Nahles, aber wie, was, wie lange, wieviel und warum jemand arbeitet muss in der Verantwortung jedes Einzelnen liegen und nicht in der Verantwortung von Behörden. Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht Studium, lebenslanges Lernen, berufliche Fortbildung, Elternarbeit, Pflege von Angehörigen. Das ist fundamentale Arbeit für die Gesellschaft . Es ist überfällig, dass diese Arbeit endlich entlohnt wird. Durch das bedingungslose Grundeinkommen braucht man für dieses Ziel nicht noch einen Verwaltungsapparat.

Kipping: Auch mir ist klar, dass erzwungene Erwerbslosigkeit ein Problem darstellt. Doch ich bin gegen eine Heilslehre, die den Menschen heute die Teilhabe verwehrt, weil irgendwann mal die Vollbeschäftigung kommen soll. In der DDR hieß es, nach dem real existierenden Sozialismus kommen wir zum Kommunismus. Dann wird alles gut. Jetzt erzählt man den Leuten: Jenseits des tiefen Tals der Massenarbeitslosigkeit erreichen wir irgendwann das Goldene Zeitalter der Vollbeschäftigung. Es ist falsch, die Leute immer auf später zu vertrösten.

Nahles: Da haben Sie recht! Deshalb halte ich daran fest, dass jeder im Hier und Jetzt das Recht auf einen Arbeitsplatz behält. Mit Ihrem Grundeinkommen würden wir vielen Menschen den quasi offiziellen Status legitimierter Arbeitslosigkeit verleihen. Die Mehrheit der Menschen will aber arbeiten und etwas für andere tun, etwas produzieren, das Nutzen und Anerkennung bringt. Dieses Recht auf Teilhabe aller an der Gesellschaft stellen konservative Politiker infrage. Wenn Thüringens CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus oder dieser Drogerieunternehmer Götz Werner für das Grundeinkommen plädieren, fordern sie in Wirklichkeit eine Exklusionsprämie. Die wollen einen neuen Niedriglohnarbeitsmarkt schaffen. Das Grundeinkommen wäre dann so eine Art Kombilohn, auf den die Unternehmen aus der eigenen Tasche nicht mehr viel draufpacken müssten.

Kommentar: "Das Grundeinkommen wäre eine Art Kombilohn.." Ja was jetzt? Exklusionsprämie (also Prämie für den Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt) oder Kombilohn (Prämie für den Einstieg in de Arbeitsmarkt)??

"Arbeitgeber müssen nicht viel draufpacken.." Warum sollten sie nicht müssen, wer entscheidet darüber? Richtig: Arbeitnehmer und Arbeitgeber entscheiden gemeinsam darüber. Nur durch das bedingungslose Grundeinkommen können Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf gleicher Augenhöhe darüber verhandeln, wieviel die Arbeit wert ist. 

Frau Kipping, hält das Grundeinkommen die Armen in ihren realen und mentalen Ghettos fest, anstatt sie daraus herauszuholen?

Kipping: Wenn Andrea Nahles mich mit Leuten wie Althaus in einen Topf wirft, diskutiert sie gegen ein Phantom. Das Grundeinkommen, so wie es mir vorschwebt, ist eine Demokratiepauschale. Es schließt Menschen nicht von der Teilhabe an der Gesellschaft aus. Im Gegenteil: Es holt die Ausgeschlossenen in die Gesellschaft zurück.

Nahles: Ihre Vorstellungen in Ehren, aber die zählen am Ende nicht. In der Realität wirkt es anders: Man zahlt den Leuten Geld, damit sie endlich vom Arbeitsmarkt verschwinden.

Kipping: Im Gegenteil. Wenn jeder 1.000 Euro im Monat sicher bekommt, werden viele Beschäftigte ihre Arbeitszeit reduzieren, Jobs werden frei. Durch das Grundeinkommen wird Arbeit umverteilt. Das Recht auf Arbeit darf nicht den Zwang zur Arbeit einschließen. Die Versammlungsfreiheit bedeutet ja auch nicht, dass man gezwungen werden kann, sich zu versammeln.

Nahles: Wer würde denn in Ihrer schönen Welt den Müll entsorgen? Das ist einer der härtesten Jobs, den wir in diesem Land haben.

Kommentar: Vielleicht Frau Nahles persönlich? Wahrscheinlich kein einziges Mitglied des Bundestages. Frage: warum sollten die Menschen, die jetzt den Müll entsorgen dies nicht auch in Zukunft tun?

Kipping: Manche Arbeitsplätze müssten natürlich besser bezahlt und attraktiver werden, beispielsweise durch kürzere Arbeitszeiten.

Frau Nahles, verstehen wir Sie richtig: Mit der Drohung von Armut und Arbeitslosigkeit hält der Staat den Druck aufrecht, damit manche Beschäftigte die miesen Jobs machen?

Nahles: Natürlich nicht. Aber ich kenne eine ganze Reihe von Schuftern, die hätten Angst, wenn sie Frau Kipping hören würden. Leuten, die von Rationalisierung bedroht sind, muss man doch etwas anbieten, wo sie sich auch später noch einbringen können.

Kipping: Ihre Logik bedeutet, dass wir, damit es genug Arbeit gibt, alle Autos abschaffen und durch Sänften ersetzen.

Nahles: Nein, ich plädiere nicht für den Rückschritt in die bäuerliche Gesellschaft. Aber ich weiß: Ihr Grundeinkommen führt zu einem System der Alimentierung bestimmter Schichten - ich benutze diesen Begriff bewusst. Die Kreativen in den Großstädten wird das befriedigen. Verzeihung: Ich gehe von den Leuten bei mir im Dorf in der Eifel aus. Die Menschen dort wollen und brauchen einen bezahlten Job, der sie ernährt.

Kipping: Allen Versprechungen zum Trotz ist es mit der bisherigen Politik nicht gelungen, die erzwungene Erwerbslosigkeit abzubauen. Durch ein Grundeinkommen würden die ärmeren Haushalte mehr Geld zur Verfügung haben. Dank dieser Ankurbelung der Binnenkaufkraft könnten dann auch neue Stellen entstehen.

Frau Kipping, warum sollten Langzeitarbeitslose, die dank des Grundeinkommens sozial abgesichert wären, sich noch anstrengen, selbst einen Job zu finden?

Kipping: In der Hängematte zu liegen ist auf die Dauer doch ziemlich langweilig. Aber natürlich reicht es nicht, das Grundeinkommen einzuführen. Wir brauchen auch ein Bildungssystem, das Menschen ermuntert, aus eigenem Antrieb tätig zu werden und nicht nur zu lernen, weil eine Klausur bevorsteht.

Nahles: Mein Vater ist Maurer. Das macht er sehr gerne. Er produziert etwas, das er vorzeigen kann. Er fährt mit mir durch die Stadt und sagt, das habe ich gemacht, dort habe ich gearbeitet. Das ist befriedigend für ihn. Arbeit ist Sinn. Den gibt es auch außerhalb der Erwerbsarbeit, ja. Aber für viele Menschen ist Arbeit, auch harte Arbeit, sehr zentral im Leben.

taz Nr. 8222 vom 10.3.2007, Seite 5, 282 Interview

HANNES KOCH / KATHARINA KOUFEN
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