[Debatte-Grundeinkommen] BGE & Menschenbild

Reimund Acker reimund.acker at t-online.de
So Mär 4 03:23:31 CET 2007


Jörg Drescher schrieb: 

> [...]
> In Deinem Menschenbild fällt mir auf, daß 
> es ein "ich-Menschbild" ist. Du gehst dabei von Dir aus, was 
> Du willst und was Dir wichtig ist. Mir fehlt dabei der 
> objektive Bezug, was auf alle Menschen zutrifft. Teilweise 
> trifft das, was Du mit Deinem Menschenbild aussagst, auch auf 
> alle zu und doch ist es nicht für immer und überall gültig. 
> Diesen Anspruch habe ich jedenfalls bei einem Menschenbild.

Ich habe nicht mein Menschenbild präsentiert, sondern Gedanken, die meinem
Wunsch nach einem BGE zugrunde liegen. Daraus folgt, daß es mindestens einen
Menschen gibt, der so denkt und für den das ein Grund ist, ein BGE zu
wollen.

Ich vermeide bewusst, meine Mitmenschen mit Verallgemeinerungsversuchen nach
dem Motte "so ist der Mensch" zu belästigen. Ich hielte es für anmassend,
Aussagen über Eigenschaften, Beweggründe, Gedanken, Gefühle eines anderen
Menschen zu machen, solange er sie mir nicht mitgeteilt hat. Daher halte ich
auch nichts von der Konstruktion von Menschenbildern. "Der Mensch" ist ein
theoretisches Konstrukt, und sagt eigentlich nur etwas über den Konstrukteur
aus. Dann kann ich aber auch gleich von mir reden, anstatt mich auf diesen
Avatar zu projezieren. Im übrigen wird jeder Leser mit
Psychotherapie-Erfahrung bestätigen können, das es sich für die
Verständigung oft als sehr hilfreich erweist, wenn man dazu angehalten oder
ermutigt wird "ich" zu sagen statt "man" oder "der Mensch", Formulierungen,
hinter denen ich mich sonst gut verstecken könnte und die es mir erlauben,
meine Eigenschaften, Beweggründe, Gedanken und Gefühle auf andere zu
projezieren. 

Diese Erklärung war eindeutig zu lang und ich werde sie auch nicht
wiederholen. Ich will nur festhalten: Wenn ich "ich" statt "man" oder "der
Mensch" sage, ist das kein Egotrip und zeugt (hoffentlich) auch nicht von
Größenwahn, sondern ist der bescheidene Versuch, mich angemessen
zurückzunehmen, aus erster Hand vom einzigen Menschen zu sprechen, den ich
wirklich gut kenne und der bereit ist, meine Fehlurteile klaglos zu
ertragen.

Natürlich komme auch ich nicht ohne Menschenbild aus, da es sich automatisch
bildet. Darum habe ich versucht, mir und den Lesern darüber Rechenschaft zu
geben. Ich würde mir gerne vorstellen, daß andere dieses Bild mit ihrem
eigenen vergleiche, Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen. Dann
können wir darüber reden, wie jeder von uns sein Menschenbild mit dem BGE
zusammenbringt und versuchen herauszufinden, welche Bestandteile unserer
Menschenbilder mit einem BGE besonders gut harmonieren und welche nicht.

> Es ist richtig, wenn Du Dir wünscht, keinen Arbeitsplatz zu 
> brauchen, sondern Einkommen. War das aber schon immer so? 
> Nehmen wir eine Urgemeinschaft bei den Jägern und Sammlern. 
> Die werden sich wohl kaum über einen Arbeitsplatz und 
> Einkommen Gedanken gemacht haben - jedenfalls nicht in der 
> Form, wie man es heute tut. Der "Arbeitsplatz" war damals 
> Jagen oder Sammeln - das resultierende Einkommen, die Beute. 
> Nun konnte damals schon einer sagen, er wolle nicht jagen 
> oder sammeln - trotzdem mußte jemand für den Fortbestand 
> Einkommen (Beute) heranschaffen, damit auch derjenige, der 
> nicht jagen oder sammeln wollte, leben konnte. So gesehen war 
> jener ein Sozialschmarotzer.

Das ist ja gerade das Neue an unserer jetzigen historischen Situation: Wir
haben es mithilfe der Leistungen vieler Generationen vor uns soweit
gebracht, daß wir kaum noch jagen müssen und wir trotzdem nichtmehr wissen
wohin mit all der Beute. "Um Himmels willen, da bringt schon wieder einer
ein Wildschwein." "Leute, esst mehr Wildschwein! Jagt nicht so viel!"

Einerseits wird ein Arbeitsplatz als etwas angesehen, das "der Mensch"
braucht und unbedingt haben will, also als etwas Positives, knappes Gut.

Andererseits gilt als Schmarotzer, wer freiwillig auf einen Arbeitsplatz
verzichtet, der Arbeitsplatz also als etwas Negatives, ein Übel, vor dem
jener sich drücken will.

Wenn heute im Durchschnitt auf jede offene Stelle fünf Bewerber kommen, dann
kann man doch nicht vier davon als Schmarotzer brandmarken. Warum lässt man
denn die fünf nicht untereinander aushandeln wie mit dem freien Arbeitsplatz
zu verfahren ist und wieviel derjenige, der ihn nimmt, den anderen vier
dafür monatlich bezahlt?
 
> Es ist auch schön, daß Du lieber mit Menschen zusammen 
> arbeiten willst, die ihrer "Arbeit" deshalb nachgehen, weil 
> sie es wollen und nicht, weil sie es müssen. War das aber bei 
> den Jägern und Sammlern auch so? Wenn sie nicht jagen oder 
> sammeln gingen, war der Nahrungsnachschub nicht gesichert - 
> sie waren (biologisch bedingt) "gezwungen", einer "Tätigkeit" 
> nachzugehen.

Die Jäger und Sammler hätten über ein BGE vermutlich anders gedacht, eben
weil sie in einer anderen Situation lebten. Was hilft uns das heute? Wenn
sie aber wie heute für eine vakante Jägerstelle fünf Bewerber gehabt hätten,
wäre ihre Wahl dann nicht auf denjenigen gefallen, der mit Begeisterung bei
der Sache war, und hätten sie nicht den mürrischen Kollegen wieder
heimgeschickt, der von seinem Häuptling zur Jagd gezwungen werden sollte?

> Als nächstes führst Du die Notwendigkeit auf, bei der Du 
> gerne dabei wärst.
> Bei den Jägern und Sammlern war es klar: das Hungergefühl 
> zeigte die Notwendigkeit auf. Widerspricht das nun Deiner 
> ersten Aussage, daß Du keinen "Arbeitsplatz" brauchst, 
> sondern Einkommen? Ich verstehe Dich in der Hinsicht, daß Du 
> eine Einsicht in die Notwendigkeit einer Arbeit haben mußt 
> und daß es für Dich selbstverständlich sein sollte, leben zu können.

Versuchen wir also, unsere heutige Arbeitsplatzsituation auf das Jäger &
Sammler - Beispiel zu übertragen: Das kleine Dorf verfügt über eine
prachtvolle Jagdwaffe, mit der jeder gesunde Dorfbewohner ohne Mühe ein Tier
beliebiger Größe erlegen kann. Und das Dorf verfügt über das Wissen, wann
und wo die jeweis benötigten Beutetiere anzutreffen sind. Und es besteht
dank des Dorfwissens und der fortschrittlichen Jagdtechnik keinerlei Risiko
für Leib oder Leben des Jägers. Und es stehen fünf Kandidaten für den
Jagd-Arbeitsplatz in dieser Saison zur Verfügung. Und vier davon jagen sehr
gerne und träumen von dem interessanten Job, der damit verbundenen
Anerkennung im Dorf und dem extra Stück Beute. Und ich bin der fünfte
Kandidat, hasse die Jagd und sage zum Häuptling: "Ich verzichte freiwillig
auf den Job, wenn ich ein Stück von der Beute abkriege. Ich brauche nämlich
keinen Arbeitsplatz sondern Beute." Nein, das mit der Beute sage ich, nicht,
weil sowieso jeder im Dorf ein Stück abkriegt, also auch ich.

> Dein Argument der Nichtnotwenigkeit für irgendwen und damit 
> auch für Dich, könnte dazu führen (wenn niemand die Einsicht 
> in eine Notwendigkeit hat), daß gewisse Dinge liegen bleiben. 
> Z.B. in einer Wohngemeinschaft hält es keiner für notwendig, 
> das Klo zu putzen - damit wird durch Deine Sicht auch für 
> Dich diese Notwendigkeit zur Nichtnotwendigkeit.

Die Notwendigkeit ergibt sich für mich dadurch, daß es mir unangenehm ist,
ein dreckiges Klo zu benutzen. In der Wohngemeinschaft, der ich vor Jahren
angehörte, haben wir solche Probleme durch Versteigerung der jeweiligen
Arbeit gelöst. Z.B.:
A: "Ich will acht Euro für's Kloputzen." (A bietet an, das Klo zu putzen,
wenn B dafür 8 € in die gemeinsame Kasse zahlt.)
B: "Siemfuffzich." (B bietet an, es für 7.50 € selbst zu machen.)
A: "Sieben." (A verbesset sein Angebot auf 7 €.)
B: "Passe." (B akzeptiert A's letztes Angebot.)
In diesem Fall putzt A das Klo und B zahlt 7 € in die gemeinsame Kasse, aus
der regelmäßig gemeinsame Restaurantbesuche finanziert werden.

> Dein letzter Punkt Deines Menschenbilds besagt, daß Du 
> hoffst, nie eine Beschäftigungstherapie zu brauchen. Das ist 
> (auf Dich bezogen) sehr schön und ich wünsche es Dir auch. 
> Ich war in der Psychiatrie und habe Leute getroffen, die 
> durch Untätigkeit so krank wurden, daß eine 
> Beschäftigungstherapie half, sie wieder "gesellschaftsfähig" 
> zu machen. Ein in sich gefangener Mensch (durch Depression), 
> der nur grübelt und nicht "Leben" kann, verwirft oft 
> jegliches Angebot, irgendetwas zu tun - er ist so sehr in 
> sich gefangen, daß er keine Einsicht hat, etwas zu tun. Da 
> kann "verordnete Arbeitstherapie" Wunder bewirken, egal, wie 
> sinnlos die Beschäftigung ist (welchen Sinn macht es schon, 
> ein Bild zu malen, wenn man es nicht kann).

Ich wende mich vor allem gegen staatliche Zwangstherapie. Im Falle von
Drogensüchtigen ist sie für erschütternd niedrige Erfolgsraten bekannt.

Ich lehne es ab, mich gegen meinen Willen vom Staatsdoktor für krank
erklären zu lassen. Nur ich kann entscheiden, ob ich Hilfe anderer in
Anspruch nehmen will. Vor allem aber sollte Therapie unabhängig vom BGE sein
und umgekehrt. Ich hoffe wir müssen nicht betonen, daß mit der
Bedingungslosigkeit des BGE auch der Verzicht auf Zwangstherapie als
Bedingung gemeint ist.

> Trotzdem gefällt mir Dein Menschenbild in der Hinsicht, weil 
> heute mehr Menschen so denken sollten. Mein Menschenbild 
> sieht da ein klein wenig anders aus und kann Dein 
> Menschenbild trotzdem erklären.

Ich nehme an, derjenige hat gewonnen, dessen Menschenbild das des anderen
erklären kann. OK, dann herzlichen Glückwunsch ;-)
Obwohl - ich hab doch mein Menschenbild noch garnicht verkündet ...

> Es sind nur drei Punkte, die 
> mein Menschenbild ausmachen:
> 1.) Alle Menschen haben (biologisch bedingt) Grundbedürfnisse 

Alle Lebewesen haben (biologisch bedingt) Grundbedürfnisse. Bis runter zum
Einzeller. Ohne Nahrung sind sie sehr schnell keine Lebewesen mehr. Also ist
ein Lebewesen u.a. dadurch definiert, dass es Grundbedürfnisse hat. Formal:
X hat Grundbedürfnisse -> X ist Lebewesen, sowie X ist Lebewesen -> X hat
Grundbedürfnisse. Wir erfahren damit also zunächst nichts Neues über
Lebewesen, schon garnicht über Menschen. Ein Beitrag zu einem Menschenbild
entsteht frühestens, wenn gesagt wird, welche Grundbedürfnisse speziell den
Menschen charakterisieren.

> und machen jeden Menschen gleich

Grundbedürfnisse machen jeden Menschen gleich? Gleich was? Untereinander
gleich? Gleich gut? Gleich bedürftig? Haben je zwei Menschen die gleichen
Grundbedürfnisse?

> 2.) Alle Menschen haben Eigenschaften, die helfen, seine 
> Grundbedürfnisse zu "befriedigen"

Jedes Lebewesen hat Eigenschaften, die helfen, seine Grundbedürfnisse zu
"befriedigen". Bis runter zum Einzeller. Das gibt also ebenfalls nichts her
zur Charakterisierung des Menschen.

> 3.) Alle Menschen haben Fähigkeiten, die helfen, seine 
> Grundbedürfnisse zu "befriedigen"

Ditto. Die Punkte 1. - 3. beschreiben kein Menschenbild, sondern bestenfalls
ein Lebewesenbild, aber vermutlich nicht einmal das, weil sie nur auf
unterschiedliche Weise "Lebewesen" sagen.

Wir nennen den Einzeller ein Lebewesen, weil wir beobachten, daß er seine
Struktur aufrecht erhält, indem er Nahrung aus seiner Umwelt aufnimmt, sich
also ernährt. Auch wenn er sich gerade nicht ernährt, sagen wir nun, daß er
die Fähigkeit hat, sich zu ernähren. Durch diese Sprechweise bringen wir die
Erwartung zum Ausdruck, die Beobachtung des Sich-Ernährens bei ihm auch in
Zukunft zu machen. Und warum, glauben wir, macht er das? Die Frage
menschelt. Alles in der Welt muss einen Grund haben, damit's in unseren Kopf
passt. Also sagen wir, der Einzeller ernährt sich, weil er das
Grundbedürfnis hat, sich zu ernähren. Wir treten dabei die ganze Zeit auf
der Stelle, machen terminologische Selbstbefriedigungsübungen, ohne eine
einzige neue Information zu erzeugen über den Einzeller, wohl aber über uns.
Ein interessanter Aspekt für ein Menschenbild ließe sich also möglicherweise
dadurch gewinnen, daß wir beobachten, wie wir beobachten.

> Nun ist es aber so, daß sich die Eigenschaften und 
> Fähigkeiten massiv unterscheiden können. Der eine Mensch ist 
> größer als ein anderer
> (Eigenschaft) und mancher Mensch hat gute kognitive 
> Fähigkeiten, die ein anderer nicht hat. Damit will ich sagen, 
> daß nicht alle Menschen in der Lage sind, ihre 
> Grundbedürfnisse auf gleiche Weise zu befriedigen. Die 
> Vernunft reicht bei manchen Menschen nicht aus, um diesen 
> Umstand zu verstehen (sonst hätte es nie Kriege gegeben).

Das trifft alles auch auf den Einzeller zu ...

> Bezogen auf ein BGE verlangt mein Menschenbild, daß die 
> Möglichkeit gegeben wird, die Grundbedürfnisse zu befriedigen 
> (gebe ich jemandem 800 Euro, hat er damit die Möglichkeit, 
> aber es heißt noch lange nicht, daß er diese Möglichkeit 
> nutzt - er könnte die 800 Euro auch sparen). An den 
> Eigenschaften eines Menschen wird sich kaum etwas ändern 
> lassen, weshalb sie für ein BGE kaum relevant sind. 
> Allerdings können die Fähigkeiten geschult werden, damit der 
> Mensch z.B. zu Deinem Menschenbild gelangt und die 800 Euro 
> nicht spart, sondern für seine Grundbedürfnisse ausgibt.

Genau das ist die Gefahr der Menschenbildner: Das sie anfangen, die Menschen
nach ihrem Bilde zu schaffen (schulen, formen, erziehen, ...). Das heißt,
ich denke mir mein Lieblingsbild vom Menschen zurecht, so wie ich finde daß
er sein sollte, so wie ich ihn gerne hätte, und dann überlege ich, wie ich
ihn mit mehr oder weniger sanfter Gewalt diesem meinem Bilde angleiche.
D.h., ich versuche mich zu klonen.

> Dein Menschenbild ist idealistisch, trifft aber nicht auf 
> alle Menschen zu.

Missverständnis, wie gesagt, mein Menschenbild bleibt offen.

> Schließlich geht es darum, den Mensch so zu betrachten, wie 
> er ist und nicht ein Ideal zu definieren, wie man den 
> Menschen gerne haben möchte. Anhand dieser Wirklichkeit kann 
> man dem Menschen aber ein Ideal anbieten, um es zu leben 
> (z.B. Dein Menschenbild).

Ich werde mich hüten. Ich kann und will nur versuchen, herauszufinden,
welches Menschenbild welche Konsequenzen haben könnte. So scheint mir zum
Beispiel ein repressiv-puritanisch geprägtes Menschenbild eher weniger gut
zum BGE zu passen, etc.

---

Reimund Acker




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