[Debatte-Grundeinkommen] Funktioniert die DemokratieinDeutschland?

Reimund Acker reimund.acker at t-online.de
Sa Mär 3 22:54:54 CET 2007


Jörg  Drescher schrieb:

> [...]
> die Die meisten Menschen 
> sind sich kaum bewußt, daß ihre Vorstellungen und Aussagen 
> schon von anderen Denkern gedacht wurden und in gleicher 
> (oder ähnlicher) Form in irgendwelchen "Ismen" auftauchen. 
> Diesen Umstand versucht der Jovialismus zu nutzen, indem 
> geprüft wird, ob irgendein "ismus" "joviale Gedanken" 
> enthält. Diese Ansätze sollen dann Teil des Jovialismus 
> werden, bzw. darin weitergeführt werden.

Dafür gibt's doch schon ein Wort: Eklektizismus.
Mit jovial bezeichnet man üblicherweise gönnerhaft herablassendes Verhalten.
Ob das hier passt, mögen andere entscheiden.

> [...]
> Zum Beispiel gehen die (nichtjovialen) Aussage von Franz 
> Müntefering "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" über 
> Hitler, Lenin, bis auf Paulus zurück

Aber, beim Jupiter, die Basis der Jovialität war schon immer: Quod licet
Iovi non licet bovi.

> Du schreibst weiter, daß die Demokratie weit mehr ist, wie 
> der Entscheidungsfindungsprozeß. Dem stimme ich 
> uneingeschränkt zu.

Ich auch. Zum Beispiel, und vor allem, dies: Eine Herrschaftsform, in der es
möglich ist, die Herrscher ohne Blutvergießen auszutauschen (Popper).

> Das große Problem der Demokratie ist 
> allerdings, wie man die größtmögliche Zahl an dem 
> Entscheidungsprozeß beteiligt.

Vielleicht noch wichtiger: an der Meinungsbildung.

> Bisher funktioniert das über 
> Wahlen (Abstimmungsverfahren mit Mehrheitsbeschluß), bei 
> denen Repräsentanten gefunden werden,
> die die Meinung des 
> einzelnen (mehr oder weniger) vertreten (sollen).

Nein. Der Repräsentant soll nicht die Meinung des Einzelnen vertreten, weder
mehr noch weniger, sondern er vertritt zu einem Thema eine Meinung, für die
er von Leuten gewählt wird, die anschliessend erwarten (sollten), daß er
dabei bleibt oder ihnen zumindest erklärt, warum doch nicht.

> Dadurch 
> haben wir eine Diktatur der Mehrheit, die durch Parteien 
> repräsentiert wird.

Wieder so ein hübsches Oxymoron: Diktatur der Mehrheit. (Nur die Herrschaft
einer Minderheit nennt man Diktatur.)

> Von aktiver Teilhabe eines Einzelnen kann 
> keine Rede sein.

Doch, kann. Nur nicht von _direkter_ Teilhabe von 82,5 Millionen Bürgern bei
der Entscheidung der Frage, welcher Bewerber als neue Reinigungskraft für
die Besucherbereiche des Bundestags eingestellt werden soll.

> Auch will ich Dir bei der Vorbildfunktion der Repräsentanten 
> zustimmen. Was "die da oben" vorleben, wird gerne auch in der 
> Bevölkerung "nachgelebt".

Schmarrn. Nur weil ein Haufen Wähler einen Repräsentanten nach Berlin
schicken, damit er für ihr wirtschaftliches Wohlergehen sorgen soll, wächst
dem bestimmt noch kein Heiligenschein. Demokratie heißt auch, sich klar zu
machen, daß Politiker und Mandatsträger die gleichen menschlichen Schwächen
haben, wie diejenigen, von denen sie gewählt und unterstützt werden. Wer
Tugendbolde im Bundestag will, muss das Auswahlverfahren für Abgeordnete so
ändern, daß dies gewährleistet ist. Preisfrage: Wie macht man das?

> Doch Tugendhaftigkeit kann man nicht erzwingen. Vielmehr 
> sollten wesentliche Tugenden wieder vorgelebt werden.

Wer soll da wem was vorleben? Mein Abgeordneter soll für mich im Bundestag
den Tugendhaften geben? Merkwürdig kindliche Vorstellung. Ich will, dass der
seinen Job macht, ich bin sein Arbeitgeber. Welche Art von Sex er mit wem
hat, interessiert mich nicht.

> Dabei 
> will ich aber nicht "Belohnung" in den Vordergund stellen 
> (die Diäten der Abgeordneten sind mitdessen so hoch, daß sie 
> sich tugendhaft benehmen, um z.B. unbestechlich zu sein).

Bestechlichkeit ist keine Untugend sondern eine Straftat (sollte es
zumindest).

> "Belohnung" und "Bestrafung" liegen dabei sehr eng 
> beieinander (eine entgangene Belohnung ist eine Art 
> Bestrafung, weshalb wir wieder bei dem Thema "Pflicht" und 
> "Zwang" wären).

Das klingt mir alles zu pädagogisierend bis verhaltenstherapeutisch. Der
Abgeordnete hat seinen Job ordentlich zu machen oder er wird gefeuert. Mehr
brauchen wir nicht.

Allerdings teile ich die Unzufriedenheit mit der Qualität des derzeitigen
politischen Personals. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir eine "Stiftung
Politikertest".

> [...]
> Deine Abschließende Forderung, den Menschen so sein zu 
> lassen, wie er ist, bringt wieder die Frage auf, wie der 
> Mensch eigentlich ist.

Da ist er endlich wieder (bitte einen Applaus für unseren Stargast): Der
Mensch®.

> Die Gesellschaft wird Menschen immer 
> beeinflussen.

Aha.

> Der Mensch ist nichts statisches, festes.

Wow!

> Der Mensch verändert sich, seine Gedanken, Vorstellungen, 
> Ziele etc. Und selbst der Körper (um Rüdigers Forderung 
> einzuhalten, nicht alles aus dem geistigen Blickwinkel zu 
> sehen) verändert sich.

Der Stein verändert sich auch. 

> Mir scheint, Dein Ansatz ist sehr individualistisch - aber 
> der Mensch wird erst durch den Mitmenschen zum Menschen 
> (keine Ahnung von dem das jetzt stammt, aber hat ein kluger 
> Mann schon vor mir gesagt).

Aber: "Der Mensch ist des Menschen Mensch" hat auch jemand gesagt (ich
glaube das war ich). Ernst beiseite: Theorien über Menschen, also
Aussagensysteme, die das theoretische Konstrukt "Der Mensch" gehäuft
verwenden, müssen, wie alle Theorien, von den für die Zwecke der Theorie als
unwesentlich erachteten Daten abstrahieren, können real existierenden
Menschen also nie gerecht werden. Theorien über Menschen dienen dazu,
Menschen so kleinzudenken, daß sie ins Hirn des jeweiligen Theoriebenutzers
passen.

> Der Staat ist nun genau dafür da, 
> dieses Zusammenleben zu organisieren - und zwar mit der 
> kleinstmöglichsten Einflußnahme (wie es z.B. im Liberalismus 
> gefordert wird).

Sagen wir so: Wir (die Gesellschaft, das Volk) leisten uns einen
Staatsapparat, der unter anderem die Aufgabe hat, uns bei der Organisation
bestimmter Aspekte unseres Zusammenlebens zu unterstützen.

> Der Staat (die Gemeinschaft) schützt dabei 
> den einzelnen Menschen vor der Freiheit eines anderen Menschen.

Interessanter Freiheitsbegriff. Die Freiheit des Anderen als Bedrohung, vor
der ich geschützt werden muss?

---

Reimund Acker




Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen