[Debatte-Grundeinkommen] Antwort an Jörg Drescher wg. Finanzierung, Band 27, Eintrag 28

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Sa Jun 30 13:59:39 CEST 2007


Hallo Florian (und die restlichen Interessierten),

vor ca. 6 Jahren (noch bevor ich in die Ukraine ging) hatte ich ein Gespräch
über das Grundeinkommen mit einer 6köpfigen Familie, wovon nur eine Person
Einkommen hatte. Die Eltern waren verhemmt gegen ein Grundeinkommen, weil
sie der Meinung waren, daß sie nicht für die "Faulen" einer Gesellschaft
arbeiten wollten. Damit fällt für mich jede Einkommensbesteuerung flach,
obwohl Deine Idee wirklich zu respektieren ist: das, was von einem Teil der
Gesellschaft erarbeitet wird (in Form von Löhnen/Gehältern), soll auch an
alle verteilt werden; der eigentliche Mehrwert (in Form von Umsätzen) soll
für die Finanzierung der Gemeinschaftsausgaben (Staat) benutzt werden. Diese
strikte Trennung haben wir allerdings beim Dilthey-Modell ebenfalls gegeben,
indem dort zwei Formen der Mehrwertsteuer benutzt werden (Sozialumsatzsteuer
zur BGE-Finanzierung; Mehrwertsteuer zur Staatsfinanzierung).

Die Sache mit der Einkommenssteuer ist nicht nur, daß die Arbeitenden die
Nichtarbeitenden finanzieren, sondern es gibt auch ein Problem, was denn
überhaupt "Arbeit" ist.

Matthias (Dilthey) sagte mir einmal, daß die Einnahmenseite relativ einfach
zu bewerkstelligen sei, aber die Auszahlung viel schwieriger. Wie schafft
man es, das eingenommene Geld so gerecht, wie nur möglich zu verteilen? Und
von der Höhe des Grundeinkommens hängt sehr viel ab - darunter z.B. die
Arbeitsmoral, aber auch die Überlebensfähigkeit von Menschen, die keinerlei
Möglichkeit haben, über Arbeit (oder leistungsloses Einkommen) Geld zu
verdienen.

Ein fester Auszahlungsbetrag (z.B. über einen Warenkorb) kann die Folge
haben, daß über Inflation/Deflation das Geld einen ganz anderen Wert
bekommt - somit muß der Auszahlungsbetrag an irgendetwas "festgemacht"
werden, das dieser Dynamit gerecht wird; aber auch der Wirtschaftsleistung
(Arbeitsmoral) des betroffenen Staates. Meiner Meinung nach hat das Matthias
(Dilthey) sehr gut gelöst - schließlich wird nicht nur die BGE-Höhe an den
Gesamtlöhnen festgemacht, sondern auch die (Sozialumsatz)Steuer.

Die Frage, weshalb es keine Kriterien für die Einnahmeseite gibt, möchte ich
nun selbst beantworten: mit solchen Kriterien legt man sich auf ein
bestimmtes Modell fest und verbaut sich möglicherweise die ein oder andere
Einnahmequelle. Würde man z.B. eine Einkommensbesteuerung strikt durch ein
solches Kriterium ablehnen, würde auch das Dilthey-Modell durch dieses
Raster fallen (schließlich wird Einkommen ab einer bestimmten Höhe im
Dilthey-Modell auch besteuert).

Der Dilthey-Ansatz ist in meinen Augen das bisher durchdachteste Konzept -
wer meint, es habe Lücken oder sei verbesserungswürdig, soll (begründete)
Vorschläge machen. Das, Florian, hast Du getan. Wie hier aufgeführt, gefällt
mir Dein Vorschlag nicht ganz.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)


----- Original Message ----- 
From: "Florian J. Hoffmann" <florian at green-capitalism.org>
To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>; <iovialis at gmx.de>
Cc: <sozial at gmail.com>
Sent: Saturday, June 30, 2007 1:16 PM
Subject: AW: Antwort an Jörg Drescher wg. Finanzierung, Band 27, Eintrag 28


>
> Lieber Jörg Drescher,
>
> ich darf den Teil Deiner Mail rezitieren, auf welchen ich Antworten
möchte.
> Immerhin stellst Du eine konkrete Frage, die - wie wahr - von größter
> Bedeutung ist:
>
> "Es wäre trotzdem wünschenswert, daß attac oder das
Netzwerk-Grundeinkommen
> nicht nur Kriterien festlegt, was die Empfängerseite betrifft
> (Existenzsichernd, ohne Arbeitszwang, soz.Kult. Teilhabe, Rechtsanspruch,
> Bedingungslosigkeit...). Mir fehlt einfach eine Definition der
> Finanzierungsseite, denn damit werden Punkte berührt, die von Attac z.B.
> gefordert werden (vgl. Tobin-Steuer). Bisher scheint die BGE-Idee sich auf
> die Verteilung zu konzentrieren, ohne zu bedenken, woher das Geld kommen
> soll. Die Verteilung läßt sich auch tausendfach rechtfertigen und
begründen.
> Wie sieht's aber mit Rechtfertigungen und Begründungen für die zu
> verteilenden Einnahmen aus? Oder habe ich bisher verschlafen und nicht
> mitbekommen, daß es Kriterien für die Einnahmeseite gibt?"
>
> In der Tat wird die Finanzierung und Finanzierbarkeit des bGE von vielen
> wichtigen Verfechtern ausgeklammert, so nach dem Motto: "Erst wird die
> Forderung durchgesetzt, dann kümmern wir uns um die Finanzierung." Vogel
> Strauss läßt grüßen! In der Tat besteiten die stärksten Gegener des bGE
> immer die Finanzbarkeit. Und in der Tat sind Rechenmodelle, in denen 80
> Prozent des Bruttosozialprodukts im bGE verschwinden nicht besonders
> "verkaufsfördernd".
>
> Es gibt ein Dilthey-Modell, das einigermaßen plausibel ist, aber auch noch
> nicht der Weisheit letzter Schluß, da es mit Durchschnittseinkommen, also
> mit statistischen Werten arbeitet, während es bei der Finanzierung um
Geld,
> also konkrete Geldeinnahmen geht, deren Verwendung für das bGE gegeben
sein
> soll.
>
> Ich habe vor zwei Jahren schon ein Modell vorgestellt, das ich hier in
aller
> Kürze wiederholen möchte. Meine Grundaussage lautet: Dem Staat gehört die
> Mehrwertsteuer, dem Bürger die Einkommensteuer. Der Mehrwertsteuersatz
> (flat) repräsentiert den Anteil des Staates am Bruttosozialprodukt. Der
> Einkommensteuersatz (flat), z.B. 30 Prozent, repräsentiert den Anteil am
> Individualeinkommen, den jeder Bürger in die solidarische Umverteilung,
also
> das bGE, einbringen muß. Die Einkommensteuer wird damit zur reinen
> Solidarabgabe, mit dem der Staat nichts zu tun hat. Der Staat ist nur für
> das Funktionieren der Verteilung (über die Bundesbank) zuständig. Die
> Auszahlung (einzige Bedingung: über 16 Jahre alt) als bGE ist ein
> solidarisches Einkommen oder Sozialeinkommen, und stellt sich als dritte
> Einkommenssäule neben das Arbeits- und das Kapitaleinkommen.
>
> Als bGE verteilt wird ausschließlich das, was in den Topf einbezahlt wird.
> Kein fester Satz, sondern allmonatlich nach Aufkommen, bzw. Summe der
> Einzahlungen variabel. Welche Höhe das bGE bekommen kann, bestimmen die
> Bürger über die Steuerquote (flat) selbst. Insgesamt also ein reines
> Solidarsystem, bei dem Aufkommen und Verteilung klar definiert sind.
>
> Vielleicht ist das eine Antwort, die Dich befreidigt?
>
> Schöne Grüße
>
> Florian Hoffmann
> www.global-oekonomie.de
>




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