[Debatte-Grundeinkommen] [Genugfueralle] Katja Kipping und Björn Böhning zum BGE bei Stern.de

Joerg Schindler joergschindler at gmx.de
Do Jun 28 10:39:40 CEST 2007


Hallo, 

> -----Ursprüngliche Nachricht-----

> Das stammt ganz offensichtlich aus dem Lehrbuch des Alltagsmarxismus
> und ist ebenso offensichtlich gegen jegliche praktische Evidenz. Wer
> hat denn in den letzten 40 Jahren irgendetwas durchgesetzt in diesem
> Land? Ja, gut, eine Art "35-Stunden-Woche mit massenhaft Überstunden
> und krassester Arbeitszeitverdichtung" haben immerhin die
> Gewerkschaften erkämpft. Alles Andere? Fehlanzeige.

Lieber Werner, das halte ich nun wirklich für Polemik unterhalb der
Argumenteschwelle. Nach dieser Logik sollten wir am besten fuer
Arbeitszeitverlaengerung sein, weil damit die Ueberstunden und
Arbeitszeitverdichtung zurueckgeht?? Tatsache ist, dass die 35-Stunden-Woche
ein großer gesellschaftlicher Fortschritt war - und zwar über die
Metallbranche hinaus: Damit schien zumindest der Sieg der Volkswirtschaft
über die Betriebswirtschaft als prinzipiell moeglich. Nicht umsonst wurde
dieser in einer der zentralen gesellschaftlichen Kaempfe, naemlich in der
IG-Metall-Tarifauseinandersetzung 2004, so extrem hart von Unternehmen,
BILD-Zeitung und Regierung bekaempft.
 
> Gesellschaftliche Bewegungen haben die sozialliberalen Reformen
> erstritten, den Ausbau der Atomkraft gestoppt, Ökologie auf die
> Tagesordnung gesetzt, zahlreiche Privatisierungen verhindert der
> verzögert und vieles andere mehr. Während die Gwerkschaften mühsam ein
> paar absolut schäbige und miserabel bezahlte Arbeitsplätze "sichern"
> wie jetzt bei der Telekom, sind es ausschließlich gesellslchaftliche
> Bewegungen, die überhaupt ein Interesse daran haben, ökologischen
> Umbau, Ausstieg aus der Wachstumsdynamik, soziale Sicherheit für alle
> auch nur zu thematisieren.

Lieber Werner: Keine dieser o.g. "gesellschaftlichen Bewegungen" waere
politisch nur einen Deut weit gelangt, wenn sie nicht mindestens die passive
wohlwollende Akzeptanz, wenn nich gar die aktive Zustimmung erheblicher
Teile der Arbeiterschaft gehabt haette.

Lass uns das an einigen politischen Ereignissen ueber die Jahre verfolgen:
Die sozialliberalen Reformen der 70er waren nur als Ergebnis der
SPD-Wahlerfolge und ihrem Buendnis mit dem fortschrittlichen
Kleinbuergertum, den Linksliberalen, ueberhaupt denkbar. Die Umweltbewegung
konnte mindestens auf ein gewisses Unbehagen bei den Arbeitnehmern ueber die
Auswirkungen der Umweltzerstoerung zaehlen; selbst die Gruen-Alternativen
galten in der Regel dem fortschrittlichen Teil der Bevoelkerung, klassisch
SPD-Waehlern als "unsere Kinder", mit ihren Spleens, versteht sich. Dabei
bin ich sofort bei Dir, wenn "der Bewegung" hier eine positive
Katalysatorfunktion - die furchtlose und konfliktuale Thematisierung als
Minderheit - zugewiesen wird. Aber allein so waere es auch nicht erfolgreich
gewesen. Oder lass uns z.B. auch einbeziehen, dass es bei den Gewerkschaften
schon frueher als anderswo Beschluesse gab, der Atomkraft ein Ende zu machen
- trotz "der Arbeitsplaetze". Und dass u.a. diese Beschluesse es ermoeglicht
haben, dass ein - wenn auch widerspruechlicher und kompromisslerischer -
Atomausstieg 1998 vereinbart wurde, und zwar unter einer Parole
gesellschaftlicher Modernisierung durch Rot-Gruen, die immerhin damals eine
satte Stimmenmehrheit errang. Dass diese "Modernisierung" dann doch recht
schnell eine ganz besonders regressive Form bei allem annahm, was nicht die
moralischen Parolen von Frieden, Umwelt, Menschenrecht und
Eigenverantwortung, also die gruenen "soft skills" eben, ausmachte  - das
waere allerdings ein eigenes Thema.

Daher wird die Gegenueberstellung von - da - unfaehigen oder miesepetrigen
Gewerkschaften und - hier - tolle fortschrittliche gesellschaftliche
Bewegungen noch der Vorwurf des Alltagsmarxismus der Sache gerecht. Im
Gegenteil: Nur durch Synergieeffekte bei der solidarischen Zusammenarbeit
und der Akzeptanz bestimmter differierender Funktionen von sozialen
Teilbereichsbewegungen, Gewerkschaften (und auch linken Parteien) wird ein
effektiver politischer Widerstand und gesellschaftlicher Fortschritt
moeglich.

soweit
Joerg

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