[Debatte-Grundeinkommen] [Genugfueralle] Katja Kipping und Björn Böhning zum BGE bei Stern.de

Werner Rätz werner.raetz at t-online.de
Do Jun 28 08:40:15 CEST 2007


Lieber Horst,

ich höre das Arguemt immer wieder, besonders von GewerkschafterInnen,
dass nur die Leute im Produktionsprozess über gesellschaftliche
Durchsetzungskraft verfügten.

Das stammt ganz offensichtlich aus dem Lehrbuch des Alltagsmarxismus
und ist ebenso offensichtlich gegen jegliche praktische Evidenz. Wer
hat denn in den letzten 40 Jahren irgendetwas durchgesetzt in diesem
Land? Ja, gut, eine Art "35-Stunden-Woche mit massenhaft Überstunden
und krassester Arbeitszeitverdichtung" haben immerhin die
Gewerkschaften erkämpft. Alles Andere? Fehlanzeige.

Gesellschaftliche Bewegungen haben die sozialliberalen Reformen
erstritten, den Ausbau der Atomkraft gestoppt, Ökologie auf die
Tagesordnung gesetzt, zahlreiche Privatisierungen verhindert der
verzögert und vieles andere mehr. Während die Gwerkschaften mühsam ein
paar absolut schäbige und miserabel bezahlte Arbeitsplätze "sichern"
wie jetzt bei der Telekom, sind es ausschließlich gesellslchaftliche
Bewegungen, die überhaupt ein Interesse daran haben, ökologischen
Umbau, Ausstieg aus der Wachstumsdynamik, soziale Sicherheit für alle
auch nur zu thematisieren. All diese Themen werden erst durchsetzbar,
wenn sie definitv von der Erwerbsarbeit und ihren "Plätzen" getrennt
werden. Damit meine ich keinesfalls die Trennung von den
Gewerkschaften oder den Beschäftigten als Personen und politische
Organisationen, aber eine in die Zukunft gerichtete Politik muss auch
aus ihrer Sicht aufhören, jeden noch so miesen Arbeitsplatz zu
verteidigen und statt dessen soziale Sicherheit für alle als
Menschenrecht einfordern und erkämpfen.

Schönen Gruß
Werner




HorstSchiermeyer schrieb am Mittwoch, 27. Juni 2007 um 20:44:


H> Dies ist die sporadisch moderierte Diskussionsliste des
H> Schwerpunktes Genugfüralle von Attac Deutschland. Die hier
H> geposteten Meinungen müssen nix mit der offiziellen Attac-Meinung zu tun haben.

H> ---------------------------

H> Lieber Manfred,
H> ich sehe schlicht weg nicht die gesellschaftlichen Kräfte, die ein 
H> Grundeinkommen über Hartz-IV-Niveau und gleichzeitig noch Mindestlöhne
H> durchsetzen könnten. Außer ein paar Wählerstimmen haben die Menschen 
H> außerhalb des Produktionsprozesses nicht gerade sehr viel Macht in die
H> Waagschale zu legen ...
H> Und wenn die Mittelschicht es sich leisten kann, nützliche Helfer 
H> anzustellen, die sich in ihren Haushalten zum bGE ein paar Euro "dazu 
H> verdienen", warum soll sie sich dann für ein echtes bGE einsetzen, das der
H> gehobene Teil der Mittelschicht auf jeden Fall zum größten Teil über ihre
H> Steuern finanzieren muss?
H> Horst

H> ----- Original Message ----- 
H> From: "Manfred Bartl" <sozial at gmail.com>
H> To: <horstschiermeyer at aol.com>; <genugfueralle at listen.attac.de>; 
H> <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
H> Sent: Wednesday, June 27, 2007 3:42 PM
H> Subject: Re: [Genugfueralle]Katja Kipping und Björn Böhning zum BGE bei
H> Stern.de


H> Dies ist die sporadisch moderierte Diskussionsliste des Schwerpunktes 
H> Genugfüralle von Attac Deutschland. Die hier geposteten Meinungen müssen nix
H> mit der offiziellen Attac-Meinung zu tun haben.

H> ---------------------------

H> Hallo, Horst!

H> Ich finde diesen Diskussionsansatz auf Basis eines vorauseilenden
H> Gehorsams ziemlich unproduktiv. Was ist an diesem Szenario bitteschön
H> realistisch, wenn schon ein Grundeinkommen eingeführt worden sein und
H> es dennoch Löhne von 1, 2 oder 3 Euro geben soll? Wenn ein
H> Grundeinkommen existiert, wird es defintiv auch einen Mindestlohn
H> geben und ganz sicher keine Löhne von 1, 2 oder 3 Euro mehr! Das
H> Grundeinkommen erlaubt einen realistischen Blick auf den Zusammenhang
H> zwischen Produktivität und Lohn, weil es sich beim "Arbeitsmarkt" dann
H> (nach Götz Werner) verstärkt um einen Markt für Arbeitszeit handelt,
H> gleiche Arbeitszeiten also tendenziell ähnlicher bezahlt werden.

H> Und warum sollte für "Stillgelegte" keine Unterstützung zur
H> Wiedereingliederung in reguläre Beschäftigungsverhältnisse mehr
H> angeboten werden? Gerade unter den Bedingungen des Grundeinkommens
H> können sich die ARGEn doch verstärkt um ihre eigentliche Aufgabe
H> kümmern!
H> Abgesehen davon wäre es schon ein erheblicher Gewinn für diesen
H> Sozialstaat, wenn die Leute nicht mehr von der Hartz-IV-Behörde
H> drangsaliert werden würden!

H> Die "Gutverdienenden" werden dann nicht mehr so viel zu sagen haben,
H> weil das Grundeinkommen ja offensichtlich Erwerbslose und Mehrheit
H> "der Mitte" stärker integriert als bisher. Warum sollte die Mitte
H> etwas gegen das Grundeinkommen haben, solange sie es selbst bekommt
H> und sich damit einigermaßen sicher vor dem sozialen Abstieg fühlen
H> kann, der ihr heute mit Hartz IV jederzeit droht?

H> Gruß
H> Manfred



H> On 6/27/07, horstschiermeyer at aol.com <horstschiermeyer at aol.com> wrote:
>>
>> Liebe Leute,
>>
>> es gibt wirlich viele gute Ideen zur Ausgestaltung eines bGE bei Attac,
>> Linkspartei, den Grünen und anderswo. Sie haben u.a. allerdings
>> folgenden "kleinen Haken", den ich gestern zu einer Diskussion zwischen
>> grünen bGE-Befürwortern und Gewerkschaftlern beschrieben habe:
>>
>> Versuch eines realistischen bGE-Szenarios:
>>
>> Wenn es jemals ein bGE geben sollte, wüsste ich keinen Grund, warum man
>> von einer größeren Verhandlungsmacht der sozial Schwachen ausgehen
>> sollte, ein höheres Einkommen durchzusetzen als heute das ALG 2. Für
>> die "Stillgelegten" wird sich daher gegenüber ihrem heutigen Dasein nur
>> unterscheiden, dass sie keine Hartz-IV-Behörde mehr drangsaliert, ihnen
>> aber wegen Wegfalls der weitergehenden sozialen Leistungen wohl auch
>> keine Unterstützung zur Wiedereingliederung in reguläre
>> Beschäftigungsverhältnisse mehr geboten werden wird. Entweder sie
>> kriegens selber "gebacken" oder eben nicht.
>> Wer sich nicht mit dem bGE einrichten will, wie dies gegenwärtig viele
>> ALG-2-Bezieher tun, zugleich aber auch keine Qualifikationen hat, die
>> sich teurer verkaufen lassen in gutbezahlten Jobs oder Selbständigkeit,
>> wird dann eben für 1, 2 oder 3 Euro die Stunde Hilfsarbeiten ausführen.
>> Wird den Gutverdienenden die notwendige Steuerlast zu viel, gibt es
>> eine Sozialschmarotzerdebatte und das bGE wird gesenkt oder bei
>> Inflation nicht angepasst. Dann werden noch mehr bereit sein, für 1
>> Euro dazuzuverdienen ...
>> Das die Gewerkschaften mit solchen Perspektiven ein Problem haben, kann
>> ich nachvollziehen ...
>>
>> Liebe grüne bGE-Befürworter (gilt auch für linke und Attacies:):
>> Selbstverständlich wollt Ihr etwas anderes als ich hier skizziert habe.
>> Aber wir wollten auch schon mal eine grüne Grundsicherung deutlich über
>> der Sozialhilfe - Hartz IV ist draus geworden ...
>>
>> Es grüßt Horst Schiermeyer, Zittau
>>




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