[Debatte-Grundeinkommen] zu Manfred Bartels Antwort an Florian Hoffmann, Band 27, Eintrag 14

Florian J. Hoffmann florian at green-capitalism.org
Mi Jun 27 17:26:57 CEST 2007


Lieber Manfred,

denk' das Modell doch mal zuende! Deine Argumentation hätte, wenn sie
stimmt, doch auch schon vor fünfzig Jahren gestimmt. Dann hätten wir heute
bei unserem Produktivitätsanstieg, würde man sich an Dein Rezept gehalten
haben, Wochenarbeitszeiten von 10 Stunden oder weniger. Da lohnt es schon
gar nicht mehr zur Arbeit zu gehen oder zu fahren. Wir hätten die
Erwerbsarbeit aus unserem Leben herauskatapultiert und wären in der totalen
Freizeitgesellschaft mit Selbstversorgung gelandet. Alles was an der Arbeit
Spaß macht wäre eliminiert worden, weil man sich schon gar nicht mehr darin
vertiefen könnte.

Ich selbst arbeite sehr viel mehr als 40 Stunden und manchmal bin ich sauer,
dass ich müde werde und aufhören muß. Du verstehst Arbeit ausschließlich als
abhängige Lohnschinderei, die man lieber los werden möchte. In Wahrheit ist
Arbeit, ob zuhause oder im Betrieb (Verlag, Autowerkstatt, Forschungslabor,
Sport-Unterricht, Gärtnerei, Software-Bude, Kindergarten, Altersheim, ...)
wesentliches Element der Selbstverwirklichung. Arbeit macht Spaß, nicht nur
wenn man Boris Becker heißt und während der Arbeit Tennis spielen darf.
Sogar viele Grubenarbeiter oder Bauarbeiter möchten ihre Arbeit nicht
missen, obwohl sie schwer und manchmal gefährlich ist. Und es gibt viele,
viele Menschen in Großfirmen, die sich mit Firma und Arbeit identifizieren,
die lieber in der Firma sind, als zuhause, die sich aufopfern, die mehr
geben, als sie verdienen. Auch bei der Telekom. Ich kenne da ein paar Bonner
... Und es ist Afgabe der Gewerkschaften, dafür zu sorgen, dass sie halbwegs
gerecht entlohnt und nicht ausgebeutet werden (sprich: zu wenig Anteil am
Gesamterlös).

Deshalb: Die Woche hat sieben Tage, das wird sich nicht ändern. Was sich
ändert, das ist die Lebensarbeitszeit und die wird mehr und nicht weniger,
weil wir immer älter werden. Und eine durchschnittliche Leistungszeit pro
Woche von 40 Stunden, oder 38 oder 35 ist auch okay. Aber es ist Unsinn an
dem Rädchen Wochenarbeistzeit weiter zu drehen, denn es ist so etwas wie ein
natürlicher Rythmus, so wie das Wochenende oder die Urlaubs- und
Fereinzeiten. Es macht keinen Sinn, sie noch mehr zu verlängern. Nur noch
Ferien und die Kinder lernen nichts mehr, weil es nicht mehr nötig ist? Ist
ja jetzt alles da, dank Rationalisierung? Oder fast den ganzen Tag frei? For
what?

Ich denke, es ist anders herum. Die Beendigung der Mühsal dank
Rationalisierung gibt uns die Möglichkeit, Dienste für Mitmenschen zu
leisten, statt an Maschinen zu kleben. Um diese Nachfrage zu erzeugen,
brauchen die Menschen ausreichend Geld, muß die Geldverteilung stimmen.
Deshalb brauchen wir zu Kapital-Einkommen und Arbeits-Einkommen ein
Solidarisches Einkommen, also ein bGE. Dann bekommt die ganze Sache einen
Sinn.

D'accord?

Florian
www.green-capitalism.org



> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: Manfred Bartl [mailto:sozial at gmail.com]
> Gesendet: Mittwoch, 27. Juni 2007 15:27
> An: Florian J. Hoffmann
> Cc: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> Betreff: Re: zu Manfred Bartels Antwort an Florian Hoffmann, Band 27,
> Eintrag 14
>
>
> Lieber Florian!
>
> Warum fragst Du, wenn Du Dir selbst schon die Antwort gibst?
>
> On 6/27/07, Florian J. Hoffmann <florian at green-capitalism.org> wrote:
> > Wieso das? Die Woche hat 168 Stunden. Davon werden 40 Stunden,
> also 25 %,
> > gearbeitet, 50 Stunden geschlafen und ca. 70 Stunden selbst
> organisiert. Was
> > soll daran falsch sein? Was kann man daran ändern? Und weshalb?
>
> Was daran falsch ist? Ganz einfach: Wir waren schon mal bei 35 Stunden
> oder zumindest 38,5 Stunden Arbeit und die Produktivität ist seitdem
> immer weiter angestiegen.
>
> Und wenn nicht aufgrund irgendwelcher betriebswirtschaftlicher
> Kostenargumente einzelner Unternehmen ganze Wirtschaftszweige
> geschlossen und anderswo aufgebaut worden wären, was die
> Volkswirtschaft gleicht auf doppelte Weise runtergezogen hat, wäre die
> Produktivität sogar noch mehr gestiegen, weil sich natürlich auch in
> diesen Bereichen der deutsche technische und organisatorische
> Erfindergeist weiter ausgetobt hätte.
>
> Wir müssten mittlerweile eigentlich bei 30 oder 25 Stunden Arbeit in
> der Woche angelangt sein - aber Du schreibst, es sind 40 Stunden. Was
> daran falsch ist? Nun, 10 bis 15 Stunden Arbeit ZUVIEL sind falsch
> daran!
>
> Was man daran ändern kann: Arbeitszeit reduzieren! Erst so viel, dass
> überhaupt alle Erwerbspersonen Arbeit haben, und dann weiter, bis alle
> Erwerbstätigen ein der aktuellen Produktivität angemessenes Höchstmaß
> an Erwerbsarbeitszeit erdulden müssen, also höchstens 30 bzw. 25
> Stunden die Woche.
>
> Und weshalb? Na, damit alle Arbeitswilligen auch wirklich arbeiten
> können und damit alle Erwerbstätigen die ihnen zustehende selbst
> organisierte Zeit ausgestalten können!
>
>
> Rest: D'Accord!
>
> Gruß
> Manfred
>
>
>
>
> > > Daran erkennt man auch gleich, wie veraltet diese Betrachtung ist,
> > > denn wenn die Gewerkschaft ver.di im sechswöchigen Telekom-Streik
> > > nichts als Mehrarbeit und Lohnkürzung "durchsetzt", und nicht ganz
> > > unbeteiligt so massiv versagt, weil sie bei den Telekom-Konkurrenten
> > > eben höchstselbst niedrigere Tarife als bei der Telekom ausgehandelt
> > > hat, dann hat ihre Arbeit gleich in beiden Bereichen nichts
> > > gefruchtet.
> >
> > Apropos Telekom, ein gutes Beispiel für Gewerkschaftsversagen:
> Da gibt es
> > seit ein paar Jahren eine Regulierungsbehörde, die die Telefontarife
> > runterbolzt, die "Wettbewerb" zu Gunsten des Verbrauchers
> durchsetzt und die
> > die Telekom-Erlöse damit systematisch vernichtet. Dagegen macht keine
> > Gewerkschaft etwas, weil sie ja auch für niedere Preise ist!
> Hinterher muß
> > sie das Desaster ausbaden, weil sie übersehen hat, dass niedrigere
> > Telefonkosten für den Verbraucher auch niedrigere Einkommen für ihre
> > Mitgleider sind und weil die deshalb für weniger Geld mehr
> schuften müssen.
> > Eine Telekom zu bestreiken, die machtlos ist gegen eine
> Regulierungsbehörde
> > (alle das Wort ist schon zum Kotzen!), ist mit Sicherheit sinnlos!
> >
> > Wie wär's, wenn  sich die Gewerkschaften an dieser Stelle
> politisch gegen
> > die Liberalisierung wenden würden (oder gewendet hätten), wenn das
> > Rabattgesetz wieder eingeführt würde (was unendlich viele
> Arbeitsplätze in
> > der Automobilindustrie gekostet hat) und wenn man sich aus allen
> > Aufsichtsräten verabschieden würde, um nicht als Pseudo-Arbeitgeber die
> > Interessen der Arbeitnehmer zu vernachlässigen?
> >
> > Ich weiß nicht, was an der Argumentation veraltet sein soll!
> >
> > Gruss
> > Florian
> > www.green-capitalism.org
> >
> >
> >
>
>
> --
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