[Debatte-Grundeinkommen] zu Antwort Fred Thiele an Florian Hoffmann, re: Band 27, Eintrag 14

Florian Hoffmann florian at hoffmannlaw.de
Di Jun 26 09:59:13 CEST 2007


Lieber Fred Thiele,

ein menschlicher, ein sozialer Kapitalismus - was wäre dagegen einzuwenden?
Der Kapitalismus hat doch unbestreitbar schöne Seiten, angefangen von seinem
Potential, tatsächlich alle Menschen ausreichend zu versorgen, bis hin zu
seiner inneren Treibfeder, dem Egoismus, der uns verführt, die Dinge, die
uns gehören, die unser Eigentum sind, besonders zu pflegen, zu erhalten.
Ohne Eigentum geht gar nichts. Ohne Eigentum wird alles nur verfrühstückt,
verkommen die Dinge wertlos im Dreck. Aber Eigentum muß individuell sein,
real, nicht anonym wie bei Finanzinvestoren, denn dann geht die
Verantwortung verloren, dann werden diese zu Heuschrecken. Überbordendes
Finanzkapital ist eine Fehlentwicklung des Kapitalismus. Was bedeutet: Die
Dinge müssen gesteuert werden und müssen Grenzen haben. Aber das ist nichts
besonderes. Das ist normale Politik.

Es geht nicht darum, die Menschen ruhig zu halten, sondern darum, ihnen eine
gerechten Anteil am Kuchen zu geben. Ruhig sind die Menschen von Natur aus.
Unruhig werden sie nur, wenn die Ungerechtigkeit ausufert. So eine
Ungerechtigkeit hat zur Gründung der Arbeitnehmerkartelle (Gewerkschaften)
geführt und bei uns im Laufe von Jahrzehnten Massenwohlstand ausgelöst. Der
Schwund der Macht der Gewerkschaften und die daraus resultierende Schieflage
der Einkommensverteilung macht ein bGE erforderlich. Ich selbst halte die
Kombination beider Ausgleichsinstrumente (Gewerkschaftsmacht und bGE) für
optimal - jedenfalls in einer Industriegesellschaft (also einer
Gesellschaft, die es ohne Kapitalismus nicht gäbe).

Gruss
Florian Hoffmann


> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: Fred Thiele [mailto:ferdy_news at gmx.de]
> Gesendet: Montag, 25. Juni 2007 17:22
> An: Florian Hoffmann
> Cc: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] zu Axel Tigges Antwort an
> E.U.Schultz, Band 27, Eintrag 14
>
>
> Florian Hoffmann schrieb:
>
> > vielen Dank für die deutlichen Worte. Auch ich sehe in einem
> > bedinguslosen Grundeinkommen ein notwendiges Korrektiv für die
> > Tendenz des Kapitalismus zur ungleichen Vermögensverteilung. [..] Von
> > solchen Erkenntnissen ist der Marxismus weit, weit entfernt.
>
> Klar, weil dem Marxismus als Antipode zum Kapitalismus nur dessen
> Abschaffung gültig sein kann, eine Abschwächung hinsichtlich
> "untergraben des Kapitalismus" ist nicht vorgesehen. Denn die Idee
> basiert darauf, dass es vielen Menschen im kapitalistischen "Joch" sehr
> schlecht geht, so schlecht, dass sie es revolutionär zu überwinden
> versuchen (und dann zum Bsp. zu Kommunismus finden). Dies trifft in den
> reichen Industrienationen nicht zu, insbesondere Deutschland mit seinem
> (schrumpfenden) Sozialstaat. Der Kapitalismus hat an dieser Stelle prima
> Mittelchen um über seine Ungerechtigkeiten hinwegzutäuschen.
> Zielgerichtete Fernsehsendungen, Zeitungen konservativer in
> Millionenauflage, die einseitig und stumpf auf subtile Weise
> Unwahrheiten, oder Ablenkungen von den eigentlichen Fragen propagieren.
> Ein Begriff von Harald Schmidt ist dabei Programm:
> Unterschichtenfernsehen. Wie frei und unabhängig (etwa von Konzernen)
> sind Medien im Kapitalismus, wo die Information eine "Ware" darstellt?
> Dazu kommt noch: Niemand muss verhungern in diesem Land, jeder, der sich
> aufmacht erhält Unterstützung. Doch wie groß ist der Sprung für jemanden
> "ganz unten" um überhaupt wieder Fuß zu fassen in dieser
> einkommensfixierten Gesellschaft? Wie groß muss die Not eines Menschen
> sein, seinen Stolz zum "Ausruhen" in der  sozialen "Hängematte"
> aufzugeben?
>
> Wie schnell wird die erreichte persönliche, individuelle durch das bGE
> erreichte Freiheit von den "Zwängen des Marktes" o.ä. geschluckt werden?
>
> Ich glaube wenn man das bGE dem Kapitalismus und seinen neoliberalen
> Fürsprechern überließe (siehe Althaus-Modell und Unterstützer "König
> Kurt" Biedenkopf), dann verbirgt sich schlussendlich wieder nur so ein
> oben genanntes Mittelchen dahinter, um den Mob still zu halten und das
> Sozialwesen weiter zu kastrieren.
>
> Was soll das bGE eurer Meinung nach erreichen- einen "menschlichen
> Kapitalismus"?
>
> Grüße,
> Fred Thiele
>




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