[Debatte-Grundeinkommen] Kumpmann 05/2007

ingmar.kumpmann at gmx.de ingmar.kumpmann at gmx.de
Di Jun 5 11:49:57 CEST 2007


Hallo Herr Dilthey,

erstmal vielen Dank für das Feedback zu meinem Text.

Das Grundeinkommen soll in der Tat mindestens die Existenzsicherung (und wenn möglich noch mehr) für alle garantieren. Es soll die Armut abschaffen und den Arbeitszwang (sowohl den behördlichen als auch den faktischen) beseitigen. Dies ist nur mit einer Zunahme der Umverteilung erreichbar und sollte durch eine verstärkte Umverteilung von den Beziehern hoher Einkommen finanziert werden.
Insofern drückt mein Text tatsächlich einen Wunsch aus, der mit manchen aktuell diskutierten Ausprägungen der Grundeinkommensidee nicht vereinbar ist, insbesondere solchen Modellen, in denen, verglichen mit heute, Empfänger von Arbeitslosengeld II Einbußen hinnehmen müssten. Allerdings ist eine stärkere Umverteilung von oben nach unten grundsätzlich auch in einem Transfergrenzenmodell möglich, wenn dieses entsprechend ausgestaltet wird.
Gerade wenn das Grundeinkommen in jedem Fall deutlich höher als die heutige Sozialhilfe/Alg II ausfallen soll, muss die Frage beantwortet werden, wie das entsprechend große Finanzierungsvolumen ohne zu starke negative Rückwirkung auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aufgebracht werden kann. Denn von dieser Leistungsfähigkeit hängt nicht zuletzt das Grundeinkommen selber ab. Dies ist der Kern des Finanzierungsproblems. Mein Ziel war es, in dem Text einige Gedanken zur Lösung und zur Abmilderung dieses Problems zu formulieren. .

Viele Grüße
Ingmar Kumpmann






-------- Original-Nachricht --------
Datum: Sun, 27 May 2007 17:48:57 +0200
Von: Matthias Dilthey <info at psgd.info>
An: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Betreff: [Debatte-Grundeinkommen] Kumpmann 05/2007

> Sehr geehrter Herr Kumpmann, hallo Listenteilnehmer,
> 
> Der Beitrag
> http://www.archiv-grundeinkommen.de/kumpmann/200705-initial.pdf
> fordert eine Stellungnahme.
> 
> Schon mit dem ersten Satz wird bei mir Widerspruch erzeugt:
> "... das mit dem Grundeinkommen gelindert werden soll, ist die Armut..."
> 
> Jeder selbstbewußte Mensch kann mit Armut leben: "geh´ mir aus der
> Sonne" und 
> "störe meine Kreise nicht" sind typifizierte Zitate, die wahre geistige
> Größe 
> jenseits von monetärer Anerkennung deutlich machen.
> 
> Wenn versucht wird, das BGE auf eine andere Form der Sozialhilfe zu 
> degradieren, so wurde der BGE-Gedanke nicht richtig verstanden.
> 
> "Das bedingungslose Grundeinkommen würde einen Beitrag zur Lösung dieser
> Probleme leisten. Da es ein Einkommen für alle ist, wird die 
> gesellschaftliche Stigmatisierung der Leistungsempfänger praktisch 
> aufgehoben."
> Auch diese unbelegte Behauptung ist unrichtig: Eine Leistung, die jeder 
> erhält, wird als nichtig empfunden, was sich auch mit der Mathematik
> deckt:
> Erwerbseinkommen (1) + BGE= Familieneinkommen (1)
> Erwerbseinkommen (2) + BGE= Familieneinkommen (2)
> 
> Beide Gleichungen um das BGE gemindert ergeben, daß Erwerbs-Einkommen aus
> (1) 
> und Erwerbs-Einkommen aus (2) miteinander verglichen werden. Das BGE
> stellt 
> einen Sockel dar, der bezüglich Stigmatisierung und Anerkennung 
> gesellschaftlicher Werte unberücksichtigt bleibt.
> 
> "Diese Art sozialen Engagements gewinnt gerade dadurch einen Teil ihres 
> Charakters, dass sie nicht gegen Lohn erfolgt. Die Freiwilligkeit wird
> durch 
> die verlässliche und von der Arbeit unabhängige Existenzsicherung mit
> dem 
> Grundeinkommen gestärkt."
> 
> Auch diese Betrachtung kann nur richtig sein, wenn das BGE als Sozialhilfe
> auf 
> unterstem Niveau betrachtet wird.
> Betrachtet man das BGE als emanzipatorisch, wird ehrenamtliche
> Sozialarbeit 
> überhaupt erst möglich durch das BGE.
> Kumpmann hingegen rechnet den Lohnverzicht ("erfolgt nicht gegen Lohn")
> mit 
> der Freiwilligkeit auf. Diese Aufrechnung widerspricht jeglichem 
> emanzipatorischen Charakter einer BGE-Zahlung.
> 
> 
> "... Der Sozialstaat, der eigentlich eine Umverteilung von oben nach unten
> durchführen sollte, verteilt überwiegend innerhalb der
> Arbeitnehmerschaft mit 
> mittlerem Einkommen unter Beteiligung ihrer Arbeitgeber um. Dies ist nicht
> nur verteilungspolitisch problematisch, sondern trägt zusätzlich zu
> einer 
> hohen Belastung beschäftigungsintensiver Unternehmen bei.
> Alle [drei] Probleme werden durch das Grundeinkommen abgemildert."
> 
> Das ist so nicht richtig. Alle TG-M finanzierten Modelle (Althaus, BAG,
> Grüne 
> Grundsicherung etc.) verteilen horizontal, einzig Werner und Dilthey 
> verteilen vertikal, d.h. von oben nach unten.
> 
> Kumpmann schreibt, daß "Es ist nicht unmittelbar einzusehen [ist], dass
> ein 
> Grundeinkommen die Verhandlungsposition der Gewerkschaften oder der
> Arbeit-
> nehmer schwächen sollte. Im Gegenteil: Da durch das Grundeinkommen 
> Arbeitslosigkeit weniger existenzbedrohend wirkt, kann die 
> Verhandlungsposition der Arbeitskräfte sogar gestärkt werden, was zu 
> Lohnsteigerungen führen würde."
> 
> Dabei übersieht er, daß ein emanzipatorisches BGE die Gewerkschaften in
> ihrer 
> jetzigen Form obsolet machen würde, diese also keine Verhandlungsposition
> mehr einnehmen könnten; weder in Bezug auf ihre Mitglieder, noch in Bezug
> auf 
> die Arbeitgeber. Richtig ist, daß ein emanzipatorisches BGE die Menschen
> frei 
> machen würde von den Zwängen der Gewerkschaft UND der Arbeitgeber.
> 
> Weiter führt Kumpmann aus: "Dabei ist das Grundeinkommen ein in Euro 
> ausgedrückter absoluter Betrag, während sich die Steuer als Anteil des 
> Markteinkommens ergibt. Klar ist, dass Erwerbslose netto gewinnen werden. 
> Denn sie zahlen keine (oder nur indirekte) Steuern, beziehen aber das 
> Grundeinkommen."
> Ob Erwerbslose mit oder ohne BGE besser stehen, ist von der Ausgestaltung
> des 
> BGE abhängig. So dürfte das Althaus-BGE einen großen Erwerbszwang
> auslösen, 
> denn es stellt gewisse Menschen deutlich schlechter als ALG II.
> Entsprechende Berechnungen sind hier zu finden:
> http://psgd.info/forum/thread.php?postid=729#post729
> 
> Kumpmann behauptet, "Daher werden die Bezieher hoher Einkommen verstärkt 
> steuerlich herangezogen. Da die Reichen zur Finanzierung höhere Steuern
> zahlen als sie Grundeinkommen erhalten, sind sie zwangsläufig Nettozahler
> des 
> Systems." Das mag in absoluten Zahlen ausgedrückt, richtig sein. nicht
> jedoch 
> gemessen an der Leistungsfähigkeit.
> Sowohl gegenüber Heute als auch nach Einführung eines TG-M finanzierten
> BGE 
> (z.B. nach Althaus) werden die Besserverdiener prozentual entlastet:
> http://psgd.info/forum/thread.php?postid=1951#post1951
> 
> Wenn Kumpmann weiter ausführt: "Diese zusätzliche Umverteilung ist zu 
> finanzieren durch direkte oder indirekte Steuern, die schwerpunktmäßig
> von 
> den Beziehern hoher Einkommen zu zahlen sind.", so beschreibt er einen 
> Wunschzustand, der durch TG-M-finanzierte Modelle nicht zu leisten ist.
> Allen 
> TG-M-finanzierten Modellen ist gemein, daß diese BGE-Modelle den
> größten Teil 
> der Umverteilung innerhalb der Gruppe der Geringverdiener vornehmen: "Arm 
> hilft noch Ärmeren".
> 
> 
> " ... müssen zur Finanzierung des Grundeinkommens die Steuern auf selbst 
> erwirtschaftetes Einkommen im Vergleich zu heute angehoben werden, sodass 
> einer Arbeitnehmerin von ihrem selbst erarbeiteten Lohneinkommen ein 
> kleinerer Anteil netto verbleibt, sie dafür aber arbeitsunabhängig das 
> Grundeinkommen erhält.", schreibt Kumpmann.
> Dieses "müssen" ist keineswegs gottgegeben, sonder stellt eine 
> Unzulänglichkeit des von Kumpmann präferierten BGE-Modells dar.
> 
> Schon aus diesem Grund ist das Modell als "Umverteilungs-Modell von Oben
> nach 
> Unten" abzulehnen. Es ist nicht in der Lage, das zu leisten, was Kumpmann 
> hier verspricht.
> 
> Kumpmann führt richtigerweise aus, daß "die einseitige Orientierung auf
> das 
> Ziel, Leistungsanreize im Erwerbsprozess zu maximieren, mit dem 
> Grundeinkommen zurückgewiesen [wird].", was einen emanzipatorischen
> Ansatz 
> darstellt. Doch sofort muß er systembedingt einschränken: "Dabei darf 
> allerdings die Reduzierung der Anreize nicht so weit gehen, dass die 
> Finanzierung des Grundeinkommens in Gefahr gerät."
> Daß die Finanzierung des BGE in "Gefahr geraten kann", liegt doch an den
> von 
> Kumpmann falsch gewählten Finanzierungs-Ansätzen, nicht am BGE ansich!
> 
> Doch Kumpmann möchte überhaupt kein emanzipatorisch wirkendes BGE. Er
> führt 
> selber aus, daß " [es] Kostendämpfend wirkt, wenn die Zahl der 
> Nettoempfänger, die mehr Grundeinkommen erhalten als sie direkte Steuern 
> zahlen, kleiner gehalten wird. Dies gelingt indem die Grenzsteuersätze
> für 
> sie höher als für Nettozahler festgelegt werden (Pelzer/Fischer 2004b:
> 2). 
> Das heißt, dass die Grenzsteuersätze auf geringes eigenes Lohneinkommen 
> relativ hoch angesetzt werden."
> 
> Somit legt er selbst offen, daß es sich bei seinem bevorzugten Modell um
> einen 
> billigeren Sozialhilfe-Ersatz handelt, der auf ein hohes Maß an 
> Erwerbsarbeits-Zwang angewiesen ist.
> 
> Brauchen wir hier in dieser Liste solch neoliberale Denk-Ansätze?
> 
> Die unterschiedlichen BGE-Höhen enthalten "Initial-Punkte", ab denen ein
> BGE 
> völlig unterschiedliche Wirkungen erzielt. So bewirkt ein BGE unterhalb
> eines 
> "Initial-Punktes" eine massiver Verstärkung des Erwerbsarbeits-Zwangs,
> erst 
> oberhalb dieses "Initial-Punktes" nimmt der Erwerbs-Arbeitszwang mit 
> steigender BGE-Höhe ab. (Vergl. dazu auch Blasche 2006 "Bedingungsloses 
> Grundeinkommen (BGE), Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung")
> 
> Diese, als gesichert anzusehenden Initial-Punkte, werden von Kumpmann
> völlig 
> ignoriert.
> 
> Ob man den Aufsatz von Kumpmann ablehnt oder ihm zustimmt, hängt in
> erster 
> Linie vom eigenen Denkansatz ab: Möchte man ein emanzipatorisches BGE
> oder 
> ist die eigene Einstellung eher liberal-konservativ.
> 
> 
> Matthias Dilthey
>  
> 
>  
>  
> 
> 
> 
> _______________________________________________
> Debatte-grundeinkommen Mailingliste
> JPBerlin - Politischer Provider
> Debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/debatte-grundeinkommen



Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen