[Debatte-Grundeinkommen] [Genugfueralle] Beginn einer "Rechtedebatte"

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Mo Jul 30 12:00:24 CEST 2007


Hi, Jörg!

Gerade bei solchen Beiträgen frage ich mich, ob Diskussionen auf Basis
von irgendwelchen -ismen irgendwohin führen. Deine Mail lässt sich
immerhin in zwei Halbsätzen zusammenfassen:

Vor jeder - potenziellen - Verpflichtung (IM Leben) kommt
logischerweise das Recht AUF Leben; keine Verfehlung bei einer (wie
auch immer gearteten) Verpflichtung kann auf Grundlage des GRUNDRECHTS
auf Leben sanktioniert werden.

Und da ist etwas dran, ganz gleich, welchem -ismus der Einzelne
anhängt. Es wundert mich in diesem Zusammenhang sogar, dass nicht
schon unter aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen irgendein
Totalreduzierter unter den ALG-2-Empfängern das
"Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz" vor dem Verfassungsgericht zu Fall
bringen konnte, da Totalreduzierung staatlich tolerierte
Obdachlosigkeit und Verhungern bedeutet....

Gruß
Manfred


On 7/30/07, Joerg Drescher <iovialis at gmx.de> wrote:
>
> Hallo zusammen,
>
> ausgehend von der Diskussion in der Grünen-Grundeinkommenslist, ob nun alle
> Menschen gleich wären, ergab sich eine Debatte über Menschenrechte, bzw.
> Rechte im allgemeinen. Prof. Opielka führte dazu aus, daß Grundrechte
> keinerlei Bedingung unterliegen; Dr. Strengmann-Kuhn verwies in diesem
> Zusammenhang auf das Grundsatzprogramm der Grünen von 2002 (Seite 64).
>
> Die Diskussion wurde ausgelöst, ob der Mensch eine Gegenleistung für sein
> Grundrecht erbringen soll/muss - dazu wurde die allgm. Menschenrechte, Art.
> 29, Abs. 1 (Jeder Mensch hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der
> allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist.)
> von Katja Husen als Argument angeführt.
>
> Um das Thema nun zu hinterfragen, würde mich interessieren, was "Recht",
> bzw. "Grundrecht" überhaupt bedeutet. Die Grundrechte gehen auf die
> Vertragstheorie zurück (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Vertragstheorie)
> und leitete seit dem Mittelalter eine "Entmachtung der Herrschenden" ein.
> Die Debatte flammte in letzter Zeit wieder auf (vor allem durch John Rawls
> "A theory of justice") und wird heute unter dem Namen Kontraktualismus
> geführt.
>
> Die Idee (ein Gedankenexperiment) hinter der Vertragstheorie ist, daß es
> einen Naturzustand gibt, der durch einen Gesellschaftsvertrag beschrieben
> wird und schließlich zum Zustand der Gesellschaft führt. Diese Ansatz geht
> auf das antike Griechenland im 4. vorchristlichen Jahrhundert zurück (vgl.
> http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeiner_Friede).
>
> Aus dem Gedankenexperiment geht hervor, daß der "Naturzustand" die Grundlage
> für den Gesellschaftszustand ist. Verstehe ich nun ein "Recht" als
> "Vertrag", so gibt es mind. zwei Vertragsseiten. Dabei soll jedem
> Vertragspartner der Vertragsinhalt bewußt gemacht werden und definieren,
> welche Konsequenzen bei Vertragsbruch passieren. Die Vertragsseiten sind
> (bei den Grundrechten): der einzelne Mensch und eine Gruppe von Menschen (ob
> nun Paar, Gemeinschaft, Gesellschaft oder Menschheit, ist hier unwichtig).
>
> Rufen wir uns in Erinnerung, daß von einem Naturzustand ausgegangen wird,
> MUSS der einzelne Mensch "definiert" werden, sowie "Gruppe von Menschen".
> Wie ich schon geschrieben hatte, ist der Mensch auf der biologischen Ebene
> gleich (Stoffwechsel) und hat im allgemeinen das Ziel zu leben. Allen
> Menschen können auch Fähigkeiten und Eigenschaften zugeschrieben werden, was
> sie zu Individuen macht. Eine Gruppe von Menschen hingegen bedarf keinem
> Stoffwechsel (nur die einzelnen Akteure in ihr), hat allerdings gleichfalls
> "Fähigkeiten und Eigenschaften" (ich will das hier mal als "Kultur"
> bezeichnen). Damit kann es der Gruppe egal sein (wenn man von einem
> "kollektiven Bewußtsein" ausgeht), ob ein Einzelner in der Gruppe existieren
> kann oder nicht.
>
> Wenn sich die Gruppe allerdings vertraglich verpflichtet, dem Einzelnen zu
> garantieren, daß dieser überleben kann, ist dies für die Gruppe gleichzeitig
> Selbstzweck (da sie nur "über"leben kann, wenn ihre einzelnen Akteure
> "über"leben). Ich wurde darauf hingewiesen, daß man in der
> Grundeinkommensdebatte von "Garantismus" spricht (vgl.
> http://de.wikipedia.org/wiki/Garantismus) - mit ist unbekannt, ob der
> Selbstzweck für die Gruppe zum "Garantismus" hinzugezählt wird.
>
> Um nun auf die Bedingungslosigkeit der Grundrechte zurückzukommen, will ich
> behaupten, daß es sehr wohl eine Bedingung gibt. Nur ein lebender Mensch
> kann seine Grundrechte verwirklichen - ein Toter kann gleichfalls
> Grundrechte haben. Damit ist die Bedingung der Grundrechte: Lebendigkeit.
> Das Grundeinkommen versucht diese Bedingung zu erfüllen, ja sogar zu
> "garantieren" (deshalb "Garantismus"). Die Gegenleistung (wenn man von einer
> solchen sprechen will) und in Art. 29, Abs.1 undefiniert als Pflicht
> dargestellt wird, haben wir (Matthias Dilthey und ich) im Jovialismus so
> beschrieben, daß der Einzelne jedem anderen innerhalb der Gruppe (bis hin
> zur Menschheit) gleichfalls "Leben" durch die Gruppe ermöglichen soll, damit
> die Gruppe selbst (und der Einzelne in ihr) leben kann.
>
> Der Vertrag dazu lautet also: "Wenn Du lebst, hast Du die Garantie, Leben zu
> können, mit der Pflicht, anderen gleichfalls Leben zu ermöglichen"
> Durch Vertragsbruch, fällt die Garantie nicht weg. Selbst Mörder werden in
> modernen Gesellschaften "durchgefüttert" - die Pflichtverletzung wird anders
> geahndet (meist durch Freiheitsentzug, teilweise durch Geldstrafen).
>
> Um meinen Beitrag hier nicht in die Länge zu ziehen, will ich hier in Bezug
> auf Pflicht auf meinen Aufsatz "Verhaltenstheoretische Betrachtung zum
> Grundeinkommen" verweisen:
> http://www.iovialis.org/counting.php?file=verhaltenstheorie.pdf
>
> In einer Mail wurde ich gefragt, was der Unterschied zwischen Jovialismus
> und Garantismus sei. Der Garantismus bezieht sich weitgehenst auf das
> Sozialsystem einer Gesellschaft, während der Jovialismus weiter geht und
> noch Themen, wie Gerechtigkeit, Wahrheit, Wissen, Erkenntnis, Macht,
> Herrschaft, Staat und Demokratie zu beschreiben versucht - alles auf
> Grundlage des hier nur skizierten Menschenbilds, bzw. der
> Gruppenbetrachtung.
>
> Es gilt wieder meinerseits der Wunsch: bei Verwendung dieser Inhalte und
> Aussagen den Jovialismus als Quellenangabe zu nennen. Sollte in den
> Gedankengängen Fehler enthalten sein, bitte ich, darauf hinzuweisen. Hiermit
> eröffne ich eine "Rechtedebatte" in Bezug auf das Grundeinkommen (sollte es
> sowas noch nicht gegeben haben).
>
> Viele Grüße aus Kiew,
>
> Jörg (Drescher)
>
>
>
>
>
> Liebe Leute, wer hat Lust, diese Liste zu administrieren? Komme in Zeitschwierigkeiten ... Hannes at attac-saar.de
> Hannes Hahn +49 681 41922
>
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>
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