[Debatte-Grundeinkommen] Beginn einer "Rechtedebatte"

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Mo Jul 30 11:01:06 CEST 2007


Hallo zusammen,

ausgehend von der Diskussion in der Grünen-Grundeinkommenslist, ob nun alle
Menschen gleich wären, ergab sich eine Debatte über Menschenrechte, bzw.
Rechte im allgemeinen. Prof. Opielka führte dazu aus, daß Grundrechte
keinerlei Bedingung unterliegen; Dr. Strengmann-Kuhn verwies in diesem
Zusammenhang auf das Grundsatzprogramm der Grünen von 2002 (Seite 64).

Die Diskussion wurde ausgelöst, ob der Mensch eine Gegenleistung für sein
Grundrecht erbringen soll/muss - dazu wurde die allgm. Menschenrechte, Art.
29, Abs. 1 (Jeder Mensch hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der
allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist.)
von Katja Husen als Argument angeführt.

Um das Thema nun zu hinterfragen, würde mich interessieren, was "Recht",
bzw. "Grundrecht" überhaupt bedeutet. Die Grundrechte gehen auf die
Vertragstheorie zurück (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Vertragstheorie)
und leitete seit dem Mittelalter eine "Entmachtung der Herrschenden" ein.
Die Debatte flammte in letzter Zeit wieder auf (vor allem durch John Rawls
"A theory of justice") und wird heute unter dem Namen Kontraktualismus
geführt.

Die Idee (ein Gedankenexperiment) hinter der Vertragstheorie ist, daß es
einen Naturzustand gibt, der durch einen Gesellschaftsvertrag beschrieben
wird und schließlich zum Zustand der Gesellschaft führt. Diese Ansatz geht
auf das antike Griechenland im 4. vorchristlichen Jahrhundert zurück (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeiner_Friede).

Aus dem Gedankenexperiment geht hervor, daß der "Naturzustand" die Grundlage
für den Gesellschaftszustand ist. Verstehe ich nun ein "Recht" als
"Vertrag", so gibt es mind. zwei Vertragsseiten. Dabei soll jedem
Vertragspartner der Vertragsinhalt bewußt gemacht werden und definieren,
welche Konsequenzen bei Vertragsbruch passieren. Die Vertragsseiten sind
(bei den Grundrechten): der einzelne Mensch und eine Gruppe von Menschen (ob
nun Paar, Gemeinschaft, Gesellschaft oder Menschheit, ist hier unwichtig).

Rufen wir uns in Erinnerung, daß von einem Naturzustand ausgegangen wird,
MUSS der einzelne Mensch "definiert" werden, sowie "Gruppe von Menschen".
Wie ich schon geschrieben hatte, ist der Mensch auf der biologischen Ebene
gleich (Stoffwechsel) und hat im allgemeinen das Ziel zu leben. Allen
Menschen können auch Fähigkeiten und Eigenschaften zugeschrieben werden, was
sie zu Individuen macht. Eine Gruppe von Menschen hingegen bedarf keinem
Stoffwechsel (nur die einzelnen Akteure in ihr), hat allerdings gleichfalls
"Fähigkeiten und Eigenschaften" (ich will das hier mal als "Kultur"
bezeichnen). Damit kann es der Gruppe egal sein (wenn man von einem
"kollektiven Bewußtsein" ausgeht), ob ein Einzelner in der Gruppe existieren
kann oder nicht.

Wenn sich die Gruppe allerdings vertraglich verpflichtet, dem Einzelnen zu
garantieren, daß dieser überleben kann, ist dies für die Gruppe gleichzeitig
Selbstzweck (da sie nur "über"leben kann, wenn ihre einzelnen Akteure
"über"leben). Ich wurde darauf hingewiesen, daß man in der
Grundeinkommensdebatte von "Garantismus" spricht (vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Garantismus) - mit ist unbekannt, ob der
Selbstzweck für die Gruppe zum "Garantismus" hinzugezählt wird.

Um nun auf die Bedingungslosigkeit der Grundrechte zurückzukommen, will ich
behaupten, daß es sehr wohl eine Bedingung gibt. Nur ein lebender Mensch
kann seine Grundrechte verwirklichen - ein Toter kann gleichfalls
Grundrechte haben. Damit ist die Bedingung der Grundrechte: Lebendigkeit.
Das Grundeinkommen versucht diese Bedingung zu erfüllen, ja sogar zu
"garantieren" (deshalb "Garantismus"). Die Gegenleistung (wenn man von einer
solchen sprechen will) und in Art. 29, Abs.1 undefiniert als Pflicht
dargestellt wird, haben wir (Matthias Dilthey und ich) im Jovialismus so
beschrieben, daß der Einzelne jedem anderen innerhalb der Gruppe (bis hin
zur Menschheit) gleichfalls "Leben" durch die Gruppe ermöglichen soll, damit
die Gruppe selbst (und der Einzelne in ihr) leben kann.

Der Vertrag dazu lautet also: "Wenn Du lebst, hast Du die Garantie, Leben zu
können, mit der Pflicht, anderen gleichfalls Leben zu ermöglichen"
Durch Vertragsbruch, fällt die Garantie nicht weg. Selbst Mörder werden in
modernen Gesellschaften "durchgefüttert" - die Pflichtverletzung wird anders
geahndet (meist durch Freiheitsentzug, teilweise durch Geldstrafen).

Um meinen Beitrag hier nicht in die Länge zu ziehen, will ich hier in Bezug
auf Pflicht auf meinen Aufsatz "Verhaltenstheoretische Betrachtung zum
Grundeinkommen" verweisen:
http://www.iovialis.org/counting.php?file=verhaltenstheorie.pdf

In einer Mail wurde ich gefragt, was der Unterschied zwischen Jovialismus
und Garantismus sei. Der Garantismus bezieht sich weitgehenst auf das
Sozialsystem einer Gesellschaft, während der Jovialismus weiter geht und
noch Themen, wie Gerechtigkeit, Wahrheit, Wissen, Erkenntnis, Macht,
Herrschaft, Staat und Demokratie zu beschreiben versucht - alles auf
Grundlage des hier nur skizierten Menschenbilds, bzw. der
Gruppenbetrachtung.

Es gilt wieder meinerseits der Wunsch: bei Verwendung dieser Inhalte und
Aussagen den Jovialismus als Quellenangabe zu nennen. Sollte in den
Gedankengängen Fehler enthalten sein, bitte ich, darauf hinzuweisen. Hiermit
eröffne ich eine "Rechtedebatte" in Bezug auf das Grundeinkommen (sollte es
sowas noch nicht gegeben haben).

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)








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