[Debatte-Grundeinkommen] Wert und Grundeinkommen (war: Kumpmann 05/2007)

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Sa Jul 21 13:37:22 CEST 2007


Ich kann Dir in dieser Ausführung zwar zustimmen, Matthias,

aber: Was ist der "objektive Wert"
- einer Blume?
- des neuen Harry-Potter-Bandes (der uns von der Arbeit abhält)?
- einer Diskussion wie der unseren, abhängig davon,
-- ob sie zur Einführung eines Grundeinkommens führt
-- oder nicht?

Gruß
Manfred


On 7/20/07, Matthias Dilthey <info at psgd.info> wrote:
> Hallo Juli, hallo Liste,
>
> freilich möchte ich Widerspruch erzeugen. Denn nur aus einer kontrovers
> geführten Diskussion läßt sich die "Wahrheit" finden.
>
> Mir ist daran gelegen, u.A. folgenden Widersprüch aufzulösen:
>
> Nehmen wir als Beispiel eine Kartoffel. Die Kartoffel ändert sich physisch
> nicht, ob sie durch Menschenhand oder durch einen "Vollernter" ausschließlich
> maschinell (also ohne menschliche Erntearbeit) geerntet wird.
>
> Der objektive Wert einer Kartoffel besteht ausschließlich aus ihrer Fähigkeit,
> Hunger zu stillen. (Lassen wir bei der jetzigen Bertachtung Geschmack, Größe
> und Aussehen der Kartoffel außen vor. Denn auch diese Werte ändern sich nicht
> in Abhängigkeit der Erntemethode.)
> Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum die Erntemethode (Mensch oder
> Roboter) den Grund-Wert -nämlich Hunger zu stillen- einer Kartoffel
> beeinflussen sollte.
>
> Wenn in soweit Einigkeit besteht, gilt es zu hinterfragen, wie kommt der
> Grund-Wert (die Fähigkeit, Hunger stillen zu können) zustande?
>
> Nach allen menschlichen Erkenntnissen kommt dieser Grund-Wert dadurch
> zustande, daß die Kartoffelpflanze über Photosynthese die Lichtenergie in
> einen Stoff, den wir "Stärke" nennen, umverwandeln zu mag.
> Und zwar ohne menschliches Zutun, ohne menschliche Arbeit. Kartoffeln wachsen
> nämlich auch "wild" in von Menschen unberührten gebieten.
> Menschliche Arbeit (oder auch der Mensch selbst) ist zum Wachsen einer
> Kartoffel einfach nicht notwendig.
>
>
> Nun könnte man argumentieren, daß ja der Mensch die Kartoffel "ausgraben" muß;
> erfolgt das Ausgraben der Kartoffel über eine Maschine, so muß die Maschine
> doch von Menschenhand geschaffen werden. Also doch "Arbeit".
> Untersucht man jedoch, was das "Ausgraben einer Kartoffel" originär ist, kommt
> man zu dem Ergebnis, daß das Ausgraben einer Kartoffel ein ziel- und
> zweckgerichteter Energieeinsatz sein muß.
> Ebenso der Bau der Erntemaschine. Es addiert sich einfach der Energieeinsatz,
> der zum Bau der Maschine notwendig ist, anteilig zum Energieeinsatz, der für
> den Betrieb der Naschine notwendig ist, auf.
> Bei menschlicher Arbeit erfolgt eine Energiewandlung von z.B. Stärke in
> mechanische Energie, beim Vollernter wird z.B. Strom, Öl oder auch Methanol
> (ein Produkt aus der Kartoffel) ebenfalls in mechanische Arbeit umgesetzt.
>
> Unterstellen wir die Richtigkeit des Energie-Erhaltungssatzes, so kann
> "Grund-Wertschöpfung" ausschließlich in der Differenz des Energie-Einsatzes
> (beim Anbau, Pflege und Ernte) der Kartoffel und dem Energiegehalt der
> (geernteten) Kartoffel selbst bestehen.
>
> Somit ist bewiesen, daß es einen objektiv meßbaren "Grund-Wert" geben muß.
>
>
> (Wenn ich in dieser Argumentations-Kette keinen Fehler habe, so folgt zwingend
> daraus, daß es auch einen subjektiven Wert geben muß, andernfalls müßte eine
> Kartoffel an jedem Punkt der Erde zu jedem Zeitpunkt den gleichen Preis
> haben.)
>
> Und Marx hatte doch recht? Ändert man den Arbeitsbegriff um in "Arbeit ist der
> ökonomisch ausgerichtete Energieanteil der menschlichen
> Nahrungsmittel-Umsetzung", wird das Ganze stimmig.
>
> Es sind eben, und das konnte Marx nicht erahnen, heute nicht mehr
> (menschliche) Arbeitsprodukte, die getauscht werden.
> Abstrahiert man und unterstellt die Möglichkeit einer voll automatisierten
> Gesellschaft (weit entfernt sind wir davon nicht), so gibt es keinen
> nachvollziehbaren Grund, warum keine "Werte" mehr geschaffen werden sollten.
>
> Der Nahrungswert einer Kartoffel ändert sich nämlich nicht durch die Anbau-
> und Ernteweise...
>
> Und damit sind wir beim eigentlichen Problem angelangt: während früher die
> menschliche Arbeit ein geeigneter Indikator zur Umverteilung der
> Wertschöpfung war, ist, durch die schon heute überwiegend automatisierte
> Wertschöpfung, Arbeit zunehmend ungeeigneter als "Umverteilungswerkzeug".
>
> Die Wertschöpfung wird zunehmend vom Menschen losgelöst, anonymisiert. Somit
> muß auch das Aus- bzw. Einkommen zwangsläufig anonymisiert werden.
> Dieser anonymisierte Aus- bzw. Einkommenteil an der Wertschöpfung nennt sich
> dann BGE.
>
>
> Wo ist mein Denkfehler?
>
>
> Liebe Grüße
>
> Matthias Dilthey
>
> Am Dienstag, 17. Juli 2007 18:59 schrieb Juli:
> > Hallo Matthias, Hallo Liste!
> >
> > Vielen Dank erstmal für deine Initiative, hier auf dieser Liste in eine
> > Wert-Debatte einzusteigen. Da das BGE (als Geldleistung gedacht) ja
> > tatsächlich aus der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung finanziert
> > werden soll, tut ein Verständnis davon, was eigentlich Wert und
> > Wertschöpfung sein sollen, tatsächlich not.
> >
> > Der von dir geschilderte Dualismus von "objektiven Werten" und
> > "subjektiven Werten" spiegelt sich ja auch in gewisser Weise in den
> > Wirtschaftswissenschaftlichen Debatten am Ende des 19. Jahrhunderts
> > wieder. Da gab es zum einen die "Objektive Werttheorie" der ökonomischen
> > Klassik. Dazu zählen vor allem Vertreter wie Adam Smith und David
> > Ricardo. Die wurde dann abgelöst durch die "Subjektive Werttheorie", die
> > sog. Neoklassik. Damit verbunden sind vor allem Namen wie Carl Menger,
> > Leon Walras und William St. Jevons.
> >
> > Für die Objektive Werttheorie galt - ähnlich wie scheinbar für dich -
> > das es einen objektiven Maßstab gibt, anhand dessen sich die Wertgröße
> > bestimmen lässt. Für sie war das - ohne Ausnahme - die Arbeit. Insofern
> > ist das kein Faible von Marx, sondern der damalige Diskussionsstand der
> > "Politischen Ökonomie".
> >
> > Mittlerweile jedoch ist die "Subjektive Werttheorie" weltweit und
> > unangefochten durchgesetzt. Und das, obwohl viele ihre Grundannahmen auf
> > so ziemlich keinen realen Fall von wirtschaftlichem Handeln zutreffen
> > und die interne Logik des Erklärungsversuches durchaus mau ist.
> >
> > Ein dritter Strang, Wertbildung und Wert zu erklären, ist dann der von
> > Karl Marx. Marx teilt mit der "Objektiven Werttheorie" die Annahme, das
> > Arbeit (und nur Arbeit!) wertschaffend sei. Den subjektiven Nutzen eines
> > Produktes bezeichnet er im Gegensatz dazu als "Gebrauchswert". Nun
> > schreibst du, die Arbeitswerttheorie von Marx sei in keiner Weise belegt
> > - und deshalb müsse mensch deinen Ausführungen folgen. Das reizt -
> > vielleicht war es ja sogar deine Absicht - zu Widerspruch.
> >
> > Zunächst: Deine Ausführungen selber sind spekulativ. Deine Annahme,
> > gerade Energie sei wertschaffend, kommt ziemlich aus dem Nichts. Ich
> > jedenfalls würde mich freuen, wenn du noch etwas ausführen könntest, wie
> > du das meinst. 'Kausalkette' dürfte deshalb wohl etwas übertrieben sein.
> > Für Marx jedenfalls lässt sich festhalten, das er durchaus versucht hat,
> > argumentativ zu unterfüttern, warum es gerade Arbeit ist, die (objektiv,
> > also ohne unser Wollen) wertschaffend ist. Ich möchte im Folgenden kurz
> > versuchen, seine Argumentation zu verdeutlichen.
> >
> > Sein Ausgangspunkt ist die Feststellung, das in der modernen
> > Gesellschaft die Menschen Waren produzieren, die dann von anderen
> > genutzt werden. Ihre private Arbeit ist also immer und gleichzeitig eine
> > gesellschaftliche. Der Tauschwert ist dann die Menge, in der Waren
> > gegeneinander ausgetauscht werden. Da es aber letztlich Arbeitsprodukte
> > sind, die da ausgetauscht werden, kann es sich bei der Bestimmungsgröße
> > für die Austauschrelation auch nur um Arbeit handeln.
> >
> > Und Marx hat diesen Zusammenhang übrigens auch nicht affirmativ, sondern
> > kritisch gefasst: es ging ihm nicht darum, diesen Zusammenhang
> > durchzusetzen (also eine Art "marxsches System" zu schaffen"), sondern
> > die reale Funktion der hiesigen Gesellschaft zu analysieren und zu
> > kritisieren.
> >
> > In Bezug auf das BGE ergibt sich so aus Sicht der marxschen Theorie
> > tatsächlich ein Problem: wenn die gesellschaftliche Vermittlung bislang
> > über Geld (und damit über Arbeit) organisiert ist, dann wird dies vom
> > BGE in Frage gestellt. Geld soll es zwar weiterhin geben, Arbeit
> > irgendwie auch - nur miteinander zu tun haben sollen sie nichts mehr.
> >
> > Wie dem auch sei - auf alle Fälle wirft die Forderung nach einem BGE
> > hier die Frage auf, wie den die gesellschaftliche Vermittlung anders als
> > über Arbeit und Geld hergestellt werden kann. Das ist eine Frage, um die
> > auch überzeugte StreiterInnen für ein Grundeinkommen nicht herumkommen
> > werden. Die Einzige Variante, die es mit dem Problem zumindest aufnehmen
> > will, scheint mir die Forderung nach einem "Grundauskommen" zu sein:
> > http://www.180-grad.net/?npage=33
> >
> > Aber zuvor sollten wir vielleicht erstmal ein wenig mehr Licht ins
> > Dickicht der Werttheorien werfen.
> >
> > bunte grüße,
> >
> > juli
> >
> > -----------------
> >
> > Matthias Dilthey schrieb:
> > > Hallo Bernd Hückstädt, hallo Liste,
> > >
> > > wenn wir in eine "Wert-Debatte" einsteigen (früher oder später müssen wir
> > > das sowieso) sollten wir uns, ähnlich wie beim Begriff Arbeit, Gedanken
> > > über die Multifunktionalität des Begriffes "Wert" klar sein.
> > >
> > > Am Beispiel Nahrungsaufnahme möchte ich das näher erläutern.
> > >
> > > Verspürt ein Mensch Hunger, so kann dieser "Hunger" mindestens zwei
> > > Gründe haben:
> > > 1. Der Körper benötigt dringend Energiezufuhr
> > > 2. Der Mensch fühlt ein Gelüst, eventuell sogar ohne wirklich
> > > Energiezufuhr zu benötigen
> > >
> > > Im ersten Fall handelt es sich um objektiv meßbare Werte, die dem Körper
> > > zugeführt werden müssen: Vom menschlichen Organismus verwertbare
> > > Nahrungsmittel mit einem Brennwert von x Joule.
> > > Dabei tritt Aussehen, Geschmack und Beschaffenheit der Lebensmittel in
> > > den Hintergrund.
> > > Die objektive Werthaltigkeit besteht in der Energiemenge.
> > >
> > > Im zweiten Fall spielt der Brennwert der Nahrungsmittel eine eher
> > > untergeordnete Rolle. Es zählt Geschmack, Aussehen, Darreichungs-Ritual
> > > etc. Diese "Werte" sind nicht objektiv meßbar, also objektiv wertlos.
> > >
> > >
> > > Jetzt wird mir sofort erwidert werden, daß doch die Werthaltigkeit über
> > > das Geld bzw. den Preis definiert wird, nicht über den Brennwert.
> > > Dem ist entgegen zu halten, daß Geld ansich wertlos ist (vergl. Dilthey
> > > 2004, Götz Werner 2007). Wir begleichen also objektiv Wertloses mit
> > > Wertlosem.
> > >
> > >
> > > Wie Bernd richtig ausgeführt hat, besitzt in der traditionellen
> > > Volkswirtschaftslehre das Gut einen höheren monetären Wert, das knapp
> > > ist. Dieser höhere, monetäre Wert ist jedoch in Wirklichkeit wertlos,
> > > denn Geld ist ja auch wertlos. Der reale Wert besteht demnach
> > > ausschließlich in der zur Herstellung eingesetzten Energie.
> > >
> > > Bedingt durch die Automatisation wurde die Knappheit der Güter beendet;
> > > nahezu alle Produkte sind im Überfluß vorhanden.
> > > Dadurch sinkt der Preis auf die mögliche Preis-Untergrenze. Und die
> > > ergibt sich, zumindest bei Vollautomatisation, im Wesentlichen durch den
> > > zur Produktion notwendigen Energie-Einsatz.
> > >
> > > Darin begründet sich auch das Sinken der Real-Löhne. Denn menschliche
> > > Arbeit ist objektiv nicht mehr wert, als die vom menschlichen Körper zur
> > > Produktherstellung sinnvoll eingesetzte Energie. Zumindest wenn die
> > > menschliche Tätigkeit automatisierbar ist.
> > > Die Marxisten unter uns werden meine Kausalkette nicht zur Kenntnis
> > > nehmen wollen und sich auf Marx berufen.
> > > Dem halte ich entgegen, daß die Arbeits-Wert-Thesen von Marx in keiner
> > > Weise belegt und vor dem Hintergrund extremer Automatisation und
> > > höchstgradiger Arbeitsteilung von Marx überhaupt nicht beleuchtet sind.
> > > Vielmehr sah Marx Erwerbsarbeit als Umverteilungsfaktor an, was zu seiner
> > > Zeit problemlos möglich war.
> > >
> > >
> > > Folgt man meiner Argumentationskette wird auch klar, warum z.B. die USA
> > > sich gegen den Klimaschutz so auflehnen.
> > >
> > > Streng davon zu trennen ist der "subjektive" Wert: "mir gefällt, ich
> > > möchte gerne haben ..." ohne wirklichem Brennwert für den Organismus.
> > > Subjektive Werte können wir uns ausschließlich leisten aus einem
> > > Überschuß aus der objektiven Wertschöpfung:
> > >
> > > "Ich tausche x-KG Kartoffeln gegen y-KG Fleisch" funktioniert.
> > > "Ich tausche Haareschneiden gegen Fensterputzen" funktioniert auf Dauer
> > > nicht.
> > >
> > > Ein emanzipatorisches BGE durchbricht zwangsläufig "Dankbarkeit" und
> > > "Wertschätzung", denn es generiert sich ausschließlich aus objektiver
> > > Wertschöpfung. Und diese objektive Wertschöpfung besteht nachweisbar
> > > ausschließlich aus Energie-Transformation.
> > >
> > >
> > > Wenn Bernd Hückstädt seinen Satz: "In so fern ist Dankbarkeit eine
> > > psychologische Grundvoraussetzung für die Einführung eines
> > > bedingungslosen Grundeinkommens" umdreht, stimmen wir überein:
> > >
> > > "In sofern ist das BGE der Grundstein für Dankbarkeit!"
> > >
> > >
> > > Liebe Grüße
> > >
> > > Matthias Dilthey
> >
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