[Debatte-Grundeinkommen] Wert und Grundeinkommen (war: Kumpmann 05/2007)

Matthias Dilthey info at psgd.info
Fr Jul 20 11:11:31 CEST 2007


Hallo Juli, hallo Liste,

freilich möchte ich Widerspruch erzeugen. Denn nur aus einer kontrovers 
geführten Diskussion läßt sich die "Wahrheit" finden.

Mir ist daran gelegen, u.A. folgenden Widersprüch aufzulösen:

Nehmen wir als Beispiel eine Kartoffel. Die Kartoffel ändert sich physisch 
nicht, ob sie durch Menschenhand oder durch einen "Vollernter" ausschließlich 
maschinell (also ohne menschliche Erntearbeit) geerntet wird.

Der objektive Wert einer Kartoffel besteht ausschließlich aus ihrer Fähigkeit, 
Hunger zu stillen. (Lassen wir bei der jetzigen Bertachtung Geschmack, Größe 
und Aussehen der Kartoffel außen vor. Denn auch diese Werte ändern sich nicht 
in Abhängigkeit der Erntemethode.)
Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum die Erntemethode (Mensch oder 
Roboter) den Grund-Wert -nämlich Hunger zu stillen- einer Kartoffel 
beeinflussen sollte.

Wenn in soweit Einigkeit besteht, gilt es zu hinterfragen, wie kommt der 
Grund-Wert (die Fähigkeit, Hunger stillen zu können) zustande?

Nach allen menschlichen Erkenntnissen kommt dieser Grund-Wert dadurch 
zustande, daß die Kartoffelpflanze über Photosynthese die Lichtenergie in 
einen Stoff, den wir "Stärke" nennen, umverwandeln zu mag.
Und zwar ohne menschliches Zutun, ohne menschliche Arbeit. Kartoffeln wachsen 
nämlich auch "wild" in von Menschen unberührten gebieten.
Menschliche Arbeit (oder auch der Mensch selbst) ist zum Wachsen einer 
Kartoffel einfach nicht notwendig.


Nun könnte man argumentieren, daß ja der Mensch die Kartoffel "ausgraben" muß; 
erfolgt das Ausgraben der Kartoffel über eine Maschine, so muß die Maschine 
doch von Menschenhand geschaffen werden. Also doch "Arbeit".
Untersucht man jedoch, was das "Ausgraben einer Kartoffel" originär ist, kommt 
man zu dem Ergebnis, daß das Ausgraben einer Kartoffel ein ziel- und 
zweckgerichteter Energieeinsatz sein muß.
Ebenso der Bau der Erntemaschine. Es addiert sich einfach der Energieeinsatz, 
der zum Bau der Maschine notwendig ist, anteilig zum Energieeinsatz, der für 
den Betrieb der Naschine notwendig ist, auf.
Bei menschlicher Arbeit erfolgt eine Energiewandlung von z.B. Stärke in 
mechanische Energie, beim Vollernter wird z.B. Strom, Öl oder auch Methanol 
(ein Produkt aus der Kartoffel) ebenfalls in mechanische Arbeit umgesetzt.

Unterstellen wir die Richtigkeit des Energie-Erhaltungssatzes, so kann 
"Grund-Wertschöpfung" ausschließlich in der Differenz des Energie-Einsatzes 
(beim Anbau, Pflege und Ernte) der Kartoffel und dem Energiegehalt der 
(geernteten) Kartoffel selbst bestehen.

Somit ist bewiesen, daß es einen objektiv meßbaren "Grund-Wert" geben muß.


(Wenn ich in dieser Argumentations-Kette keinen Fehler habe, so folgt zwingend 
daraus, daß es auch einen subjektiven Wert geben muß, andernfalls müßte eine 
Kartoffel an jedem Punkt der Erde zu jedem Zeitpunkt den gleichen Preis 
haben.)

Und Marx hatte doch recht? Ändert man den Arbeitsbegriff um in "Arbeit ist der 
ökonomisch ausgerichtete Energieanteil der menschlichen 
Nahrungsmittel-Umsetzung", wird das Ganze stimmig.

Es sind eben, und das konnte Marx nicht erahnen, heute nicht mehr 
(menschliche) Arbeitsprodukte, die getauscht werden.
Abstrahiert man und unterstellt die Möglichkeit einer voll automatisierten 
Gesellschaft (weit entfernt sind wir davon nicht), so gibt es keinen 
nachvollziehbaren Grund, warum keine "Werte" mehr geschaffen werden sollten. 

Der Nahrungswert einer Kartoffel ändert sich nämlich nicht durch die Anbau- 
und Ernteweise...

Und damit sind wir beim eigentlichen Problem angelangt: während früher die 
menschliche Arbeit ein geeigneter Indikator zur Umverteilung der 
Wertschöpfung war, ist, durch die schon heute überwiegend automatisierte 
Wertschöpfung, Arbeit zunehmend ungeeigneter als "Umverteilungswerkzeug".

Die Wertschöpfung wird zunehmend vom Menschen losgelöst, anonymisiert. Somit 
muß auch das Aus- bzw. Einkommen zwangsläufig anonymisiert werden.
Dieser anonymisierte Aus- bzw. Einkommenteil an der Wertschöpfung nennt sich 
dann BGE.


Wo ist mein Denkfehler?


Liebe Grüße

Matthias Dilthey

Am Dienstag, 17. Juli 2007 18:59 schrieb Juli:
> Hallo Matthias, Hallo Liste!
>
> Vielen Dank erstmal für deine Initiative, hier auf dieser Liste in eine
> Wert-Debatte einzusteigen. Da das BGE (als Geldleistung gedacht) ja
> tatsächlich aus der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung finanziert
> werden soll, tut ein Verständnis davon, was eigentlich Wert und
> Wertschöpfung sein sollen, tatsächlich not.
>
> Der von dir geschilderte Dualismus von "objektiven Werten" und
> "subjektiven Werten" spiegelt sich ja auch in gewisser Weise in den
> Wirtschaftswissenschaftlichen Debatten am Ende des 19. Jahrhunderts
> wieder. Da gab es zum einen die "Objektive Werttheorie" der ökonomischen
> Klassik. Dazu zählen vor allem Vertreter wie Adam Smith und David
> Ricardo. Die wurde dann abgelöst durch die "Subjektive Werttheorie", die
> sog. Neoklassik. Damit verbunden sind vor allem Namen wie Carl Menger,
> Leon Walras und William St. Jevons.
>
> Für die Objektive Werttheorie galt - ähnlich wie scheinbar für dich -
> das es einen objektiven Maßstab gibt, anhand dessen sich die Wertgröße
> bestimmen lässt. Für sie war das - ohne Ausnahme - die Arbeit. Insofern
> ist das kein Faible von Marx, sondern der damalige Diskussionsstand der
> "Politischen Ökonomie".
>
> Mittlerweile jedoch ist die "Subjektive Werttheorie" weltweit und
> unangefochten durchgesetzt. Und das, obwohl viele ihre Grundannahmen auf
> so ziemlich keinen realen Fall von wirtschaftlichem Handeln zutreffen
> und die interne Logik des Erklärungsversuches durchaus mau ist.
>
> Ein dritter Strang, Wertbildung und Wert zu erklären, ist dann der von
> Karl Marx. Marx teilt mit der "Objektiven Werttheorie" die Annahme, das
> Arbeit (und nur Arbeit!) wertschaffend sei. Den subjektiven Nutzen eines
> Produktes bezeichnet er im Gegensatz dazu als "Gebrauchswert". Nun
> schreibst du, die Arbeitswerttheorie von Marx sei in keiner Weise belegt
> - und deshalb müsse mensch deinen Ausführungen folgen. Das reizt -
> vielleicht war es ja sogar deine Absicht - zu Widerspruch.
>
> Zunächst: Deine Ausführungen selber sind spekulativ. Deine Annahme,
> gerade Energie sei wertschaffend, kommt ziemlich aus dem Nichts. Ich
> jedenfalls würde mich freuen, wenn du noch etwas ausführen könntest, wie
> du das meinst. 'Kausalkette' dürfte deshalb wohl etwas übertrieben sein.
> Für Marx jedenfalls lässt sich festhalten, das er durchaus versucht hat,
> argumentativ zu unterfüttern, warum es gerade Arbeit ist, die (objektiv,
> also ohne unser Wollen) wertschaffend ist. Ich möchte im Folgenden kurz
> versuchen, seine Argumentation zu verdeutlichen.
>
> Sein Ausgangspunkt ist die Feststellung, das in der modernen
> Gesellschaft die Menschen Waren produzieren, die dann von anderen
> genutzt werden. Ihre private Arbeit ist also immer und gleichzeitig eine
> gesellschaftliche. Der Tauschwert ist dann die Menge, in der Waren
> gegeneinander ausgetauscht werden. Da es aber letztlich Arbeitsprodukte
> sind, die da ausgetauscht werden, kann es sich bei der Bestimmungsgröße
> für die Austauschrelation auch nur um Arbeit handeln.
>
> Und Marx hat diesen Zusammenhang übrigens auch nicht affirmativ, sondern
> kritisch gefasst: es ging ihm nicht darum, diesen Zusammenhang
> durchzusetzen (also eine Art "marxsches System" zu schaffen"), sondern
> die reale Funktion der hiesigen Gesellschaft zu analysieren und zu
> kritisieren.
>
> In Bezug auf das BGE ergibt sich so aus Sicht der marxschen Theorie
> tatsächlich ein Problem: wenn die gesellschaftliche Vermittlung bislang
> über Geld (und damit über Arbeit) organisiert ist, dann wird dies vom
> BGE in Frage gestellt. Geld soll es zwar weiterhin geben, Arbeit
> irgendwie auch - nur miteinander zu tun haben sollen sie nichts mehr.
>
> Wie dem auch sei - auf alle Fälle wirft die Forderung nach einem BGE
> hier die Frage auf, wie den die gesellschaftliche Vermittlung anders als
> über Arbeit und Geld hergestellt werden kann. Das ist eine Frage, um die
> auch überzeugte StreiterInnen für ein Grundeinkommen nicht herumkommen
> werden. Die Einzige Variante, die es mit dem Problem zumindest aufnehmen
> will, scheint mir die Forderung nach einem "Grundauskommen" zu sein:
> http://www.180-grad.net/?npage=33
>
> Aber zuvor sollten wir vielleicht erstmal ein wenig mehr Licht ins
> Dickicht der Werttheorien werfen.
>
> bunte grüße,
>
> juli
>
> -----------------
>
> Matthias Dilthey schrieb:
> > Hallo Bernd Hückstädt, hallo Liste,
> >
> > wenn wir in eine "Wert-Debatte" einsteigen (früher oder später müssen wir
> > das sowieso) sollten wir uns, ähnlich wie beim Begriff Arbeit, Gedanken
> > über die Multifunktionalität des Begriffes "Wert" klar sein.
> >
> > Am Beispiel Nahrungsaufnahme möchte ich das näher erläutern.
> >
> > Verspürt ein Mensch Hunger, so kann dieser "Hunger" mindestens zwei
> > Gründe haben:
> > 1. Der Körper benötigt dringend Energiezufuhr
> > 2. Der Mensch fühlt ein Gelüst, eventuell sogar ohne wirklich
> > Energiezufuhr zu benötigen
> >
> > Im ersten Fall handelt es sich um objektiv meßbare Werte, die dem Körper
> > zugeführt werden müssen: Vom menschlichen Organismus verwertbare
> > Nahrungsmittel mit einem Brennwert von x Joule.
> > Dabei tritt Aussehen, Geschmack und Beschaffenheit der Lebensmittel in
> > den Hintergrund.
> > Die objektive Werthaltigkeit besteht in der Energiemenge.
> >
> > Im zweiten Fall spielt der Brennwert der Nahrungsmittel eine eher
> > untergeordnete Rolle. Es zählt Geschmack, Aussehen, Darreichungs-Ritual
> > etc. Diese "Werte" sind nicht objektiv meßbar, also objektiv wertlos.
> >
> >
> > Jetzt wird mir sofort erwidert werden, daß doch die Werthaltigkeit über
> > das Geld bzw. den Preis definiert wird, nicht über den Brennwert.
> > Dem ist entgegen zu halten, daß Geld ansich wertlos ist (vergl. Dilthey
> > 2004, Götz Werner 2007). Wir begleichen also objektiv Wertloses mit
> > Wertlosem.
> >
> >
> > Wie Bernd richtig ausgeführt hat, besitzt in der traditionellen
> > Volkswirtschaftslehre das Gut einen höheren monetären Wert, das knapp
> > ist. Dieser höhere, monetäre Wert ist jedoch in Wirklichkeit wertlos,
> > denn Geld ist ja auch wertlos. Der reale Wert besteht demnach
> > ausschließlich in der zur Herstellung eingesetzten Energie.
> >
> > Bedingt durch die Automatisation wurde die Knappheit der Güter beendet;
> > nahezu alle Produkte sind im Überfluß vorhanden.
> > Dadurch sinkt der Preis auf die mögliche Preis-Untergrenze. Und die
> > ergibt sich, zumindest bei Vollautomatisation, im Wesentlichen durch den
> > zur Produktion notwendigen Energie-Einsatz.
> >
> > Darin begründet sich auch das Sinken der Real-Löhne. Denn menschliche
> > Arbeit ist objektiv nicht mehr wert, als die vom menschlichen Körper zur
> > Produktherstellung sinnvoll eingesetzte Energie. Zumindest wenn die
> > menschliche Tätigkeit automatisierbar ist.
> > Die Marxisten unter uns werden meine Kausalkette nicht zur Kenntnis
> > nehmen wollen und sich auf Marx berufen.
> > Dem halte ich entgegen, daß die Arbeits-Wert-Thesen von Marx in keiner
> > Weise belegt und vor dem Hintergrund extremer Automatisation und
> > höchstgradiger Arbeitsteilung von Marx überhaupt nicht beleuchtet sind.
> > Vielmehr sah Marx Erwerbsarbeit als Umverteilungsfaktor an, was zu seiner
> > Zeit problemlos möglich war.
> >
> >
> > Folgt man meiner Argumentationskette wird auch klar, warum z.B. die USA
> > sich gegen den Klimaschutz so auflehnen.
> >
> > Streng davon zu trennen ist der "subjektive" Wert: "mir gefällt, ich
> > möchte gerne haben ..." ohne wirklichem Brennwert für den Organismus.
> > Subjektive Werte können wir uns ausschließlich leisten aus einem
> > Überschuß aus der objektiven Wertschöpfung:
> >
> > "Ich tausche x-KG Kartoffeln gegen y-KG Fleisch" funktioniert.
> > "Ich tausche Haareschneiden gegen Fensterputzen" funktioniert auf Dauer
> > nicht.
> >
> > Ein emanzipatorisches BGE durchbricht zwangsläufig "Dankbarkeit" und
> > "Wertschätzung", denn es generiert sich ausschließlich aus objektiver
> > Wertschöpfung. Und diese objektive Wertschöpfung besteht nachweisbar
> > ausschließlich aus Energie-Transformation.
> >
> >
> > Wenn Bernd Hückstädt seinen Satz: "In so fern ist Dankbarkeit eine
> > psychologische Grundvoraussetzung für die Einführung eines
> > bedingungslosen Grundeinkommens" umdreht, stimmen wir überein:
> >
> > "In sofern ist das BGE der Grundstein für Dankbarkeit!"
> >
> >
> > Liebe Grüße
> >
> > Matthias Dilthey
>
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