[Debatte-Grundeinkommen] Wert und Grundeinkommen (war: Kumpmann 05/2007)

Juli juli at 180-grad.net
Di Jul 17 18:59:31 CEST 2007


Hallo Matthias, Hallo Liste!

Vielen Dank erstmal für deine Initiative, hier auf dieser Liste in eine
Wert-Debatte einzusteigen. Da das BGE (als Geldleistung gedacht) ja
tatsächlich aus der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung finanziert
werden soll, tut ein Verständnis davon, was eigentlich Wert und
Wertschöpfung sein sollen, tatsächlich not.

Der von dir geschilderte Dualismus von "objektiven Werten" und
"subjektiven Werten" spiegelt sich ja auch in gewisser Weise in den
Wirtschaftswissenschaftlichen Debatten am Ende des 19. Jahrhunderts
wieder. Da gab es zum einen die "Objektive Werttheorie" der ökonomischen
Klassik. Dazu zählen vor allem Vertreter wie Adam Smith und David
Ricardo. Die wurde dann abgelöst durch die "Subjektive Werttheorie", die
sog. Neoklassik. Damit verbunden sind vor allem Namen wie Carl Menger,
Leon Walras und William St. Jevons.

Für die Objektive Werttheorie galt - ähnlich wie scheinbar für dich -
das es einen objektiven Maßstab gibt, anhand dessen sich die Wertgröße
bestimmen lässt. Für sie war das - ohne Ausnahme - die Arbeit. Insofern
ist das kein Faible von Marx, sondern der damalige Diskussionsstand der
"Politischen Ökonomie".

Mittlerweile jedoch ist die "Subjektive Werttheorie" weltweit und
unangefochten durchgesetzt. Und das, obwohl viele ihre Grundannahmen auf
so ziemlich keinen realen Fall von wirtschaftlichem Handeln zutreffen
und die interne Logik des Erklärungsversuches durchaus mau ist.

Ein dritter Strang, Wertbildung und Wert zu erklären, ist dann der von
Karl Marx. Marx teilt mit der "Objektiven Werttheorie" die Annahme, das
Arbeit (und nur Arbeit!) wertschaffend sei. Den subjektiven Nutzen eines
Produktes bezeichnet er im Gegensatz dazu als "Gebrauchswert". Nun
schreibst du, die Arbeitswerttheorie von Marx sei in keiner Weise belegt
- und deshalb müsse mensch deinen Ausführungen folgen. Das reizt -
vielleicht war es ja sogar deine Absicht - zu Widerspruch.

Zunächst: Deine Ausführungen selber sind spekulativ. Deine Annahme,
gerade Energie sei wertschaffend, kommt ziemlich aus dem Nichts. Ich
jedenfalls würde mich freuen, wenn du noch etwas ausführen könntest, wie
du das meinst. 'Kausalkette' dürfte deshalb wohl etwas übertrieben sein.
Für Marx jedenfalls lässt sich festhalten, das er durchaus versucht hat,
argumentativ zu unterfüttern, warum es gerade Arbeit ist, die (objektiv,
also ohne unser Wollen) wertschaffend ist. Ich möchte im Folgenden kurz
versuchen, seine Argumentation zu verdeutlichen.

Sein Ausgangspunkt ist die Feststellung, das in der modernen
Gesellschaft die Menschen Waren produzieren, die dann von anderen
genutzt werden. Ihre private Arbeit ist also immer und gleichzeitig eine
gesellschaftliche. Der Tauschwert ist dann die Menge, in der Waren
gegeneinander ausgetauscht werden. Da es aber letztlich Arbeitsprodukte
sind, die da ausgetauscht werden, kann es sich bei der Bestimmungsgröße
für die Austauschrelation auch nur um Arbeit handeln.

Und Marx hat diesen Zusammenhang übrigens auch nicht affirmativ, sondern
kritisch gefasst: es ging ihm nicht darum, diesen Zusammenhang
durchzusetzen (also eine Art "marxsches System" zu schaffen"), sondern
die reale Funktion der hiesigen Gesellschaft zu analysieren und zu
kritisieren.

In Bezug auf das BGE ergibt sich so aus Sicht der marxschen Theorie
tatsächlich ein Problem: wenn die gesellschaftliche Vermittlung bislang
über Geld (und damit über Arbeit) organisiert ist, dann wird dies vom
BGE in Frage gestellt. Geld soll es zwar weiterhin geben, Arbeit
irgendwie auch - nur miteinander zu tun haben sollen sie nichts mehr.

Wie dem auch sei - auf alle Fälle wirft die Forderung nach einem BGE
hier die Frage auf, wie den die gesellschaftliche Vermittlung anders als
über Arbeit und Geld hergestellt werden kann. Das ist eine Frage, um die
auch überzeugte StreiterInnen für ein Grundeinkommen nicht herumkommen
werden. Die Einzige Variante, die es mit dem Problem zumindest aufnehmen
will, scheint mir die Forderung nach einem "Grundauskommen" zu sein:
http://www.180-grad.net/?npage=33

Aber zuvor sollten wir vielleicht erstmal ein wenig mehr Licht ins
Dickicht der Werttheorien werfen.

bunte grüße,

juli

-----------------
Matthias Dilthey schrieb:
> Hallo Bernd Hückstädt, hallo Liste,
>
> wenn wir in eine "Wert-Debatte" einsteigen (früher oder später müssen wir das 
> sowieso) sollten wir uns, ähnlich wie beim Begriff Arbeit, Gedanken über die 
> Multifunktionalität des Begriffes "Wert" klar sein.
>
> Am Beispiel Nahrungsaufnahme möchte ich das näher erläutern.
>
> Verspürt ein Mensch Hunger, so kann dieser "Hunger" mindestens zwei Gründe 
> haben:
> 1. Der Körper benötigt dringend Energiezufuhr
> 2. Der Mensch fühlt ein Gelüst, eventuell sogar ohne wirklich Energiezufuhr zu 
> benötigen
>
> Im ersten Fall handelt es sich um objektiv meßbare Werte, die dem Körper 
> zugeführt werden müssen: Vom menschlichen Organismus verwertbare 
> Nahrungsmittel mit einem Brennwert von x Joule.
> Dabei tritt Aussehen, Geschmack und Beschaffenheit der Lebensmittel in den 
> Hintergrund.
> Die objektive Werthaltigkeit besteht in der Energiemenge.
>
> Im zweiten Fall spielt der Brennwert der Nahrungsmittel eine eher 
> untergeordnete Rolle. Es zählt Geschmack, Aussehen, Darreichungs-Ritual etc.
> Diese "Werte" sind nicht objektiv meßbar, also objektiv wertlos.
>
>
> Jetzt wird mir sofort erwidert werden, daß doch die Werthaltigkeit über das 
> Geld bzw. den Preis definiert wird, nicht über den Brennwert.
> Dem ist entgegen zu halten, daß Geld ansich wertlos ist (vergl. Dilthey 2004, 
> Götz Werner 2007). Wir begleichen also objektiv Wertloses mit Wertlosem.
>
>
> Wie Bernd richtig ausgeführt hat, besitzt in der traditionellen 
> Volkswirtschaftslehre das Gut einen höheren monetären Wert, das knapp ist.
> Dieser höhere, monetäre Wert ist jedoch in Wirklichkeit wertlos, denn Geld ist 
> ja auch wertlos. Der reale Wert besteht demnach ausschließlich in der zur 
> Herstellung eingesetzten Energie.
>
> Bedingt durch die Automatisation wurde die Knappheit der Güter beendet; nahezu 
> alle Produkte sind im Überfluß vorhanden.
> Dadurch sinkt der Preis auf die mögliche Preis-Untergrenze. Und die ergibt 
> sich, zumindest bei Vollautomatisation, im Wesentlichen durch den zur 
> Produktion notwendigen Energie-Einsatz.
>
> Darin begründet sich auch das Sinken der Real-Löhne. Denn menschliche Arbeit 
> ist objektiv nicht mehr wert, als die vom menschlichen Körper zur 
> Produktherstellung sinnvoll eingesetzte Energie. Zumindest wenn die 
> menschliche Tätigkeit automatisierbar ist.
> Die Marxisten unter uns werden meine Kausalkette nicht zur Kenntnis nehmen 
> wollen und sich auf Marx berufen.
> Dem halte ich entgegen, daß die Arbeits-Wert-Thesen von Marx in keiner Weise 
> belegt und vor dem Hintergrund extremer Automatisation und höchstgradiger 
> Arbeitsteilung von Marx überhaupt nicht beleuchtet sind.
> Vielmehr sah Marx Erwerbsarbeit als Umverteilungsfaktor an, was zu seiner Zeit 
> problemlos möglich war.
>
>
> Folgt man meiner Argumentationskette wird auch klar, warum z.B. die USA sich 
> gegen den Klimaschutz so auflehnen.
>
> Streng davon zu trennen ist der "subjektive" Wert: "mir gefällt, ich möchte 
> gerne haben ..." ohne wirklichem Brennwert für den Organismus.
> Subjektive Werte können wir uns ausschließlich leisten aus einem Überschuß aus 
> der objektiven Wertschöpfung:
>
> "Ich tausche x-KG Kartoffeln gegen y-KG Fleisch" funktioniert.
> "Ich tausche Haareschneiden gegen Fensterputzen" funktioniert auf Dauer nicht.
>
> Ein emanzipatorisches BGE durchbricht zwangsläufig "Dankbarkeit" und 
> "Wertschätzung", denn es generiert sich ausschließlich aus objektiver 
> Wertschöpfung. Und diese objektive Wertschöpfung besteht nachweisbar 
> ausschließlich aus Energie-Transformation.
>
>
> Wenn Bernd Hückstädt seinen Satz: "In so fern ist Dankbarkeit eine 
> psychologische Grundvoraussetzung für die Einführung eines bedingungslosen 
> Grundeinkommens" umdreht, stimmen wir überein:
>
> "In sofern ist das BGE der Grundstein für Dankbarkeit!"
>
>
> Liebe Grüße
>
> Matthias Dilthey
>
>   



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