[Debatte-Grundeinkommen] Funktioniert die DemokratieinDeutschland?

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Di Feb 20 11:48:51 CET 2007


Hallo Rüdiger,

vielen Dank für Deine Abhandlung über den Utilitarismus. Doch ich möchte
Deinen Ansatz entkräften: Du sagst, es sei unmöglich, ein Menschbild zu
entwerfen, das den Menschen so beschreibt wie er ist. Als Philosoph solltest
Du die Unmöglichkeit ausklammern und neutral erstmal alles zulassen - selbst
das Unmögliche.

Ich gebe Dir aus Deiner Ausführung recht, daß man den Menschen so nehmen
muß, wie er ist. Und da haben wir 3 Dinge, die alle Menschen schon immer
hatten:
1.) biologische Grundfunktionen (Verdauungsvorgang, der Leben ermöglicht)
2.) Eigenschaften (Vernunft, Gefühle, Kraft, Größe etc.)
3.) Fähigkeiten (Denken, Fühlen, Handeln etc.)

Dieses Menschenbild kann man sogar auf alle Lebewesen anwenden, wobei dem
Menschen gewisse Eigenschaften und Fähigkeiten eigen sind, die andere
Lebewesen nicht haben. Wenn man nun eine Ideologie darauf aufbauen will, muß
man eben diese 3 Aspekte berücksichtigen.

Ich stimme Dir zu, daß viele Ideologien versuchten, gewisse Aspekte in den
Vordergrund zu stellen. Manche Eigenschaften und Fähigkeiten sind zum Teil
angeboren, andere wiederum werden erst im Laufe des Lebens entwickelt. Auch
darüber läßt sich streiten, welche davon angeboren und welche entwickelt
sind.

Der Jovialismus (als Ideologie) versucht aber gerade diese Tatsachen zu
berücksichtigen. Das Ideal des Jovialismus, davon leitet sich auch der Name
ab, ist das Wohl (ein sinnerfülltes, glückliches, selbstbestimmtes Leben ->
vgl. Eudämonismus). Nach dem Existenzialismus gibt es keinen objektiven
Sinn, der für jeden Menschen gilt. Dem widerspricht der Jovialismus und
besagt, daß der objektive Sinn des Lebens der Fortbestand desselben sei.
Dies ist eine Hypothese, die sich allerdings auf jedes Subjekt anwenden
läßt. Diese Annahme läßt dabei offen, wie gelebt werden soll, geht aber
davon aus, daß ein glückliches, sinnerfülltes und selbstbestimmtes Leben
dadurch erreicht wird, daß die Eigenschaften und Fähigkeiten eines
jeweiligen Menschen ausgebildet werden (Selbstverwirklichung). Dazu ist es
nötig, diese Eigenschaften und Fähigkeiten zu erkennen (Selbsterkenntnis).
Ein anderer Mensch kann dabei nur behilflich sein, der Mensch muß selbst
handeln (Selbstbestimmung). Das macht im wesentlichen die Ideologie des
Jovialismus aus.

Ein BGE soll dazu (in der heutigen Zeit) die biologischen Grundfunktionen
absichern. Geld dient dabei als Mittel, einer menschlichen Eigenschaft
Einhalt zu gebieten: der Gier. Dazu ist es nötig, die herrschende Auffassung
von Geld wieder ihrem Ursprung zurückzuführen (Apell an die Vernunft als
Eigenschaft, durch die Fähigkeit zu denken, bzw. zu verstehen). Geld ist ein
Tauschmittel und durch ein BGE kann es (unserer Auffassung nach) wieder zu
diesem werden.

Der Jovialismus läßt dabei jede bestehende Religion oder Philosophie zu, im
Gegenteil, er fordert sogar die Beschäftigung mit diesen Theorien und
Gedanken, um der Selbsterkenntnis näher zu kommen (deshalb sollen im
"jovialen Staat" Religionen, Philosophie, Psychologie und sonstige
Geisteswissenschaften unterrichtet werden).

Wer sich für die Ideen des Jovialismus interessiert, soll fragen. Auf
http://www.iovialis.org/download sind einige Fragmente, die noch
zusammengefaßt werden müssen; in der "Denkfabrik" (auch über diesen Link
erreichbar) sind teilweise Quellen und die Gedankengänge zu finden.

Der Staatsentwurf des Jovialismus basiert auf dem, was ich hier gerade
geschrieben habe. Dabei ist die Grundidee der Demokratie ein wesentliches
Element.

Mir ist bekannt, daß viele Menschen glauben, es sei unmöglich, eine "neue"
Ideologie zu entwerfen. Wir bezeichnen es auch nicht direkt als "Ideologie",
sondern als "philosophisches Projekt". Das einzig "ideologische" daran ist,
daß es Grundlagen gibt (wie z.B. ein Menschenbild, ein Weltbild, Ansätze zu
Ethik, Moral, Gewissen, Gerechtigkeit, Wahrheit, Pflicht oder Zwang...).
Diese werden aber nicht als absolut richtig definiert, sondern durch das
"philosophische Projekt" selbst in Frage gestellt, damit jeder für sich eine
Antwort darauf finden kann.

Ich bin kein Guru und will auch keiner sein. Der Jovialismus wurde mir "in
den Schoß" gelegt und ich brauchte Jahre, um die Grundlagen verständlich zu
machen. Doch will ich deshalb kein "Führer" werden, nur weil ich ein
bisschen über die Zukunft der Menschheit nachgedacht habe. Das wird mir
leider öfters unterstellt, ohne daß diejenigen begriffen hatten, was es mit
dem Jovialismus auf sich hat, obwohl sie eigentlich diese "Ideologie" selbst
verfolgen.

Viele Grüße aus Kiew,

Jörg (Drescher)




----- Original Message ----- 
From: Rüdiger Heescher
To: Joerg Drescher
Cc: Guido Casper ; debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
Sent: Tuesday, February 20, 2007 11:27 AM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Funktioniert die
DemokratieinDeutschland?


Hallo Jörg et al


diese Diskussionen über den guten oder schlechten Menschen, über die Natur
des Menschen und wie man ein Menschenbild bastelt hatten wir in der
Philosophie tatsächlich schon sehr sehr lange und es ist nicht möglich die
"Natur" des Menschen wirklich zu beschreiben. Wenn man eine Ideologie
aufsetzen möchte auf ein Menschenbild, dann kann das nur in die Hose gehen.
So gingen wirklich alle Vorgänger immer vor und es brachte nur ein Zerrbild
der Realität hervor und konnte nicht alles berücksichtigen.


Deswegen ist es ja den Utilitaristen gelungen sich in allen Bereichen
durchzusetzen, sei es in der Juristerei, dem Demokratieverständnis und
selbst auch in Konfliktlösungsstrategien indem man Entscheidungs und
Handlungstheorien auf Grundlage der Spieltheorie setzte und damit einen
rationalen Menschen geschaffen hat, der angeblich so funktioniert, sodass er
berechenbar ist und man daraufhin eine Ideologie entwerfen konnte, die der
heutige Neoliberalismus letztlich ist. Man versuchte also das Menschenbild
rein spieltheoretisch anzugehen und bekam dann den perfekten rationalen
Menschen heraus, der auch epistemiologische Ansätze beinhaltete, aber
letztlich auf seiner GLaubensgrundlage rational handelt. Das funktioniert
allerdings auch nicht und die Menschen werden sich nicht immer im Verhalten
zueinander rational verhalten und suchen die win-win situation im privaten
wie im ökonomischen Sinne.


Gefühle spielen zur Rationalität und den Glaubenssätzen eine entscheidende
Rolle, die es verlangen berücksichtigt zu werden. Die Wesenslogik wird auch
völlig aussen vor gelassen bei der Betrachtung des Menschen in seiner
Individualität.


Der utilitarismus hat uns verkauft, dass es diese Metaebene oder sogar als
Transzendenz vorgegaugelte Ebene einer systmischen Funktion des Menschen
innerhalb einer Gemeinschaft gibt, die sogar rational und am besten in
Formalismen zu erklären geht (Formalismus beruht auf Spieltheorie). Darauf
basieren ja sogar die angelsächsischen juristischen Vorstellungen und bei
uns bürgert sich dieses Rechtsempfinden auch immer mehr ein, wenn unser
altes Rechtssystem (basierend auf Kant) immer mehr dem utilitarismus
unterworfen wird. Kann durchaus "gute" Ergebnisse
produzieren(Verbraucherschutz), aber letztlich wird etwas anderes damit
gemacht. unser Rechtssystem wird immer mehr durcheinander gebracht und man
kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass eine Stimmige Logik dahinter
steckt. Es fehlt mittlerweile die Stimmigkeit im System selbst, die bis vor
Jahren (bevor die Zypries Justizministerin wurde) noch einiger massen
gegeben war. Sie führt sozusagen stück für Stück das angelsächsische
Rechtssystem (und Denken) ein, wobei es dann natüclich hakt mit dem alten
Rechtsverständnis, was zwar knochen konservativ ist, aber trotzdem stringent
war und man sich  auf eine gewisse Stringenz in der Rechtsprechung verlassen
konnte. Das ist ja heute nicht mehr so. Die Schönheit in der Klarheit und
Stringenz dieses Systems ist kaputt gegangen. Wenn man sich auf etwas
verlassen will in unserem Rechtssystem dann ist es die Willkür der Richter
in der Rechtssprechung. Von Verfassungsrichterlichen Urteilen will ich gar
nicht sprechen. Da sieht es sehr wüst aus und man kann schon erkennen, dass
dort eine gewisse Anpassung stattgefunden hat. Beim BGH ist vielleicht noch
am ehesten Stringenz zu erwarten.


Durch die Umstellung unseres Systems generell auf freie Marktwirtschaft ist
einiges ins Wanken gekommen, weswegen wir auch das Gefühl haben, dass die
unterschiedlichsten Vorstellungen über den Menschen nicht mehr zum tragen
kommen und wir ein System brauchen, welches ideologisch festhält, wie die
Natur des Menschen in wirklichkeit ist. Es ist aber ein festhalten um den
Menschen wieder wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu stellen, was
beim Utilitarismus ja nicht vorhanden ist.


Es ist schon schlau von den Utilitaristen insgesamt, ein Modell auf die
Beine zu stellen, welches den Menschen völlig abstrakt in einem Formalismus
verweilen lässt und man nicht mehr dahinter schaut, wie der Mensch wirklich
ist. Aber es schafft uns natürlich auch einen unmut, dass wir genau wissen,
dass der Mensch nicht so tickt, wie es uns der Utilitarismus andauernd sagt.


Wenn wir nun ein System nach der Einführung des Grundeinkommens denken, dann
bleibt uns nichts anderes als auf den Menschen zu vertrauen und Erfahrungen
zu sammeln. Denn so eine Situation hatten wir ja noch nicht um zu wissen wie
der Mensch dann tatsächlich sein wird. Die Natur des Menschenist ja
sozusagen nicht Gott gegeben, sondern immer abhängig von den Umständen und
der geschichtlichen Entwicklung seiner selbst und der Menschheit ansich. Die
Menschheit als ganzes anders als der einzelen Mensch sowieso und "die"
Menschen werden bestimmt nicht anders sein von ihren Gefühlen, ihrem Wesen
und ihrem Denken als bisher. Nur wie drückt sich das im gesellschaftlichen
Miteinander aus, wenn man diese Systemänderung macht. Dazu fehlen uns
einfach die Erfahrungswerte. Man kann davon ausgehen, dass systemisch
bedingt veränderungen eintreten im Bewusstsein und auch im Handeln, was man
in unserer idealistischen Tradition ja schon immer angenommen aht und was
wir ja auch aus Erfahrung her kennen. Doch grundsätzlich wieder eine
Diskussion darüber zu führen ob der Mensch gut oder böse ist oder ob wir
rein nur das sytsemische betrachten müssen, was den Menschen dann
funktionieren lässt greift da zu kurz.


Deswegen halte ich es auch für völlig falsch eine ideologie zu entwickeln.
Diese führte immer wieder in die Sackgasse. Da bevorzuge ich doch die
Anschauung über eine Gesllschaftliche Entwicklung im Sinne von Michael
ALberts ParEcon, wo man in einzelnen Regionen mit unterschiedlichsten
Voraussetzungen, umwelt, Ressourcen etc sehen muss, was dort angesagt ist.
Kulturell gibt es da auch ziemliche untershciede. Es fängt beim Bewusstsein
fpür die SPrache schon an, wo man Dinge differenzierter betrachten muss oder
eben weniger, einfach weil die Umwelt sozusagen es vorgibt.


Wenn man idealistisch wieder versucht vorzugehen, dann kriegen wir nichts
anderes heraus als Wilhelms und Joschka Fischers ansatz: "Am deutschen Wohl
soll die Welt genesen" und wir stülpen allen Menschen auf der Welt unsere
tolle Idee auf, die allen Menschen den himmel auf Erden verspricht. Das hat
noch nie funktioniert.


Gerade in dieser Hinsicht finde ich John Rawls "Theory of justice" ziemlich
gelungen, wenn man es tatsächlich auch in den politischen Bereich übertragen
könnte. Aber leider funktioniert es ja nicht. Und der politische
Liberalismus ist letztlich auch nur ein Kompromiss weil man sonst nichts
anderes weiss. Ronald Dworkin hat da auch ziemlich herumgeeirt. Es hilft
zwar um aktuelle Konflikte zu lösen, aber Patentrezepte sind es nicht und
man wird immer an seine Grenzen stossen.


Aber das hat ja damals auch schon Plato festgestellt und letztlich ist die
Politik die höchste Kunst, die der Mensch wirklich leisten kann. Genau das
ist ein Problem mit dem wir uns schon Jahrtausende auseinander setzen. ich
glaube kaum, dass wir es jetzt in unserer Runde schaffen, diese
Menschheitsproblem zu lösen.


Wir schaffen es sicherlich in der Folge der Aufklärung wieder einen schritt
weiter zu kommen. Wenn wir für uns die Französische Revolution als
Startschuss sehen, die Aufklräung als unsere grundlegende Philosophie
betrachten, über die Oktoberrevolution mit ihren Wirren und der
marxistischen theorie begleitet als Zeitbedingte Entwicklung der Menscheit
sehen, dann kommen wir in der Folge sicherlich irgendwann zu einem Modell,
was dann mal wirklich funktioniert. Ich glaube so systematisch sind die
Menschen wie seit der Aufklärung noch nie an die Menscheitsgeschichte heran
gegangen, wie jetzt. Der Glaube an die Entwicklung der Menschheit (nicht dem
einzelnen Menschen!) war glaube ich noch nicht so verhaftet in der
Geschichte wie jetzt seit der Aufklärung. Das gibt Hoffnung und ersetzt
damit auch Religionen. Das ist doch schonmal was oder?


Wenn wir erstmal von diesen Prämissen ausgehen und uns im Sinne von Hegel
tatsächlich die Menschheitsgeschihte systematisch betrachten, dann kann man
voller Hoffnung sein. Doch werden wir selbst unsere Ergebnisse nicht  in
unserem Bewusstsein mitbekommen. Wir bleiben auch nur in unserem
Entwicklungsprozess verhaftet und werden nicht den Stein der Weisen
erfinden. Vielleicht wird man das im Nachhinein irgendwie interpretieren
wollen, aber auch die nachfolgenden Genrationen werden zumindest in der
Bildungsschicht genau wissen, dass selbst wenn wir dazu beigetragen haben
die Aufklärung weiter zu führen in unserer Zeit gefangen waren.


Aber das macht ja nichts. Genauso wie wir die Verdienste von Kant und Hegel
und Marx etc zu schätzen wissen, wird es in 300 Jahren genauso auch mit
unserer Genration passieren.


Wenn wir also in diesem Sinne poerieren wollen, dann lohnt es sich nicht
über die Natur des Menschen zu reden sondern eigentlich über etwas anderes.
Nämlich über die globalen sozialen Menschenrechte. Wenn wir darüber reden
und uns von dort immer weiter bewegen in Richtung Prinzipien, Auswirkungen,
dann sollte es uns gelingen. Dabei sollte im Sinne der Aufklärung auch klar
sein, dass wir dann nicht mehr über Naturrechte sprechen. Selbst das hat man
nach dem 2. Weltkrieg für unsere Demokratie nicht mehr für "vernünftig"
angenommen. Denn wenn man sich auf Naturrechte beruft kommt sowas wie der
Nationalsozialismus raus. und so eine Wiederholung brauche wir bestimmt
nicht in unserer Menschheitsgeschichte.


Es geht also nur in der Fortführung der Aufklärung um globale soziale
Menschenrechte. Dieses ist dann Dein (Jörg) ausgangespunkt und nicht das
Menschenbild ansich. Es hat also in der neuen Philosophie eine Wendung
stattgefunden, wo man genau von der Outputorientierten Seite her das ganze
angeht und nicht von der Grundprämisse eines guten oder schlechten Menschen
ansich. Leider haben uns in dem Bereich die utilitaristen was voraus,
weswegen sie auch so erfolgreich geworden sind. Aber auch das lässt
sichwieder kippen, wenn wir überzeugende Argumente liefern und unser System
stimmig ist (nicht als ideologie gedacht!)


let's face it! (http://www.attac.de/heiligendamm07/)


Rüdiger




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