[Debatte-Grundeinkommen] von der Pflicht

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Do Feb 15 12:49:11 CET 2007


Hallo Rüdiger (und der Rest der Liste),

in meinem Aufsatz "verhaltenstheoretische Betrachtung eines Grundeinkommens"
habe ich die Begriffe Pflicht und Zwang folgendermaßen definiert:
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Pflicht ist etwas, das aus einer inneren Einsicht heraus freiwillig
(permanent) gemacht wird (in die Schule gehen, anderen Menschen helfen,
essen, nicht töten...). Sie setzt Verstand voraus.

Zwang ist etwas von äußeren (vermeintlichen) Einsichten, dem sich ein Mensch
beugen muss, solange es nicht selbst eingesehen wurde (in die Schule gehen,
arbeiten, essen, nicht töten...). "Hunger" (und primäre Arbeit) ist ein
natürlicher Zwang, solange keine innere Einsicht dafür besteht.

Zwang ist dann nötig, wenn die permanente Nutzung eines Rechts (in die
Schule gehen, arbeiten, essen...) oder die dauerhafte Einhaltung eines
Verbots (töten, stehlen...) nicht über eigene Einsichten geschieht. Das
heißt, Pflicht wird dann zum Zwang, wenn jemand einer Pflicht nicht durch
eigene Einsicht freiwillig folgt und andere Zwangsmittel anwenden. Diese
Zwangsmittel können Belohnung oder Bestrafung sein, die jemanden (teils
trotz innerer Einsicht) zu einem bestimmten Handeln "zwingt".
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In Deinem Beitrag, Rüdiger, sprichst Du die Frage an, wem ein Mensch
eigentlich verpflichtet ist. Dabei wird deutlich, daß wir es mit einer
Relation zu tun haben: der Mensch ist wem oder was gegenüber verpflichtet.
Die meisten Menschen fühlen sich selbst verpflichtet (sind sich selbst der
Nächste) oder einer ihnen bekannten Gruppe (bei Kant z.B. die Frage nach dem
Staat). Reduzieren wir die Frage, was den Menschen oder eine Gruppe
ausmacht, darauf, daß Menschen leben, können wir von einer Pflicht gegenüber
dem Leben sprechen. Dies erklärt dann auch, daß ein einzelner Mensch für das
Leben einer Gruppe (z.B. Staat) sein Leben läßt, um den Fortbestand (das
Leben) der Gruppe zu ermöglichen. Warum sollte dann die Definition von Kant
nicht mehr gelten, wenn wir die größtmögliche Gruppe als Menschheit sehen?

Ich stimme zu, daß die Begriffe Recht, Pflicht und Zwang sehr eng
beieinander liegen. Heißt dann das Recht auf Leben gleichzeitig, daß es eine
Pflicht zum Leben gibt? Leitet sich daraus ein Zwang ab, leben zu müssen?
Ich will damit nicht in eine ethische Diskussion abdriften, sondern sagen:
wenn es ein Recht auf Leben gibt, dann gibt es auch eine Pflicht, das Leben
zu schützen. Das "wie" ist dabei eine moralische und ethische Frage nach
Tugenden, die jeweils unterschiedlich beantwortet wurde, aber immer auf ein
Ziel hinausläuft: das Überleben. Sie hängt eng mit den jeweiligen
Vorstellungen und Überzeugungen derjenigen Person zusammen, welche eine
Antwort darauf geben soll. Und mit der jeweiligen Antwort verpflichtet sich
die Person an ein "wie". Fehlt diese Antwort oder ist sie in den Augen eines
anderen falsch, haben wir es mit einem Konflikt zu tun - hier kommt die
Frage nach Zwang auf (vgl. oben).

Ob ich nun den Pflichtbegriff fälschlich verwendet hatte (es bezog sich auf
ein "soziales Pflichtjahr") kann jeder anhand meinen Ausführungen selbst
prüfen.

Matthias und ich haben tatsächlich eine Philosophie entwickelt (wegen mir
auch gebastelt), die in Richtung Anarchismus geht. Allerdings zwang uns
nicht eine ökonomische Betrachtung dazu, sondern unser Menschenbild (das
Ökonomie mitumfaßt). Dabei verstehen wir unsere Philosophie eher als
philosophisches Projekt, statt als eigenständige Philosophie - man findet
bei den Denkern immer wieder die gleichen Ansätze, daß man eher diese
untersucht, statt alles neu zu erfinden. Und das Ziel heißt "Wohlwollen" im
Sinne, das Überleben sichernd - daher auch der Name "Jovialismus".

Ich gehe dabei mit Nietzsches Idee des "Übermenschen" konform, der damit
meinte, daß der Mensch mehr sein sollte, als nur Mensch. Diesen Ansatz finde
ich auch im Beitrag von Rüdiger, wenn er sagt, daß der Mensch durch ein BGE
wieder weg von den niederen Instinkten, wie Neid, Gier und Egoismus kommen
kann. Jedenfalls wäre dies wünschenswert.

Aber ich will die Philosophie nicht in den Himmel loben und sie als
Lösungsansatz der weltlichen Probleme darstellen. Falsch verstandene
Philosophie kann schlimmer sein, wie keine. Das Konzept des "Übermenschen"
wurde z.B. von den Nazis mißbraucht. Rüdiger warnt in seinem Beitrag davor,
daß Gegner Hebel in der Ideologie suchen, um diese ins Gegenteil zu kehren.
Der Existenzialismus ist z.B. so eine Philosophie, die das Abhandensein
eines (objektiven) Sinns lehrt. Diese Strömung aus den 50er Jahren ist in
meinen Augen mitverantwortlich an der Welt, in der wir heute leben. Es wurde
durch diese Sinnlosigkeit zu viel Wert auf die eigene Sinngebung gelegt und
die Menschheit als Ganzes vergessen, obwohl der Existenzialismus auch die
Verantwortung für alle Menschen beinhaltet. Verantwortung können wir
vielleicht mit der hier diskutierten Pflicht gleichstellen.

Jörg (Drescher)




----- Original Message ----- 
From: Rüdiger Heescher
To: Debatte Grundeinkommen
Sent: Wednesday, February 14, 2007 7:58 PM
Subject: [Debatte-Grundeinkommen] von der Pflicht




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