[Debatte-Grundeinkommen] BGE & Menschenbild

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Do Feb 15 11:04:42 CET 2007


Hallo Reimund (und der Rest der Liste),

erstmal danke, daß Du die Frage nach dem Menschenbild aufgenommen hast. In
Deinem Menschenbild fällt mir auf, daß es ein "ich-Menschbild" ist. Du gehst
dabei von Dir aus, was Du willst und was Dir wichtig ist. Mir fehlt dabei
der objektive Bezug, was auf alle Menschen zutrifft. Teilweise trifft das,
was Du mit Deinem Menschenbild aussagst, auch auf alle zu und doch ist es
nicht für immer und überall gültig. Diesen Anspruch habe ich jedenfalls bei
einem Menschenbild.

Es ist richtig, wenn Du Dir wünscht, keinen Arbeitsplatz zu brauchen,
sondern Einkommen. War das aber schon immer so? Nehmen wir eine
Urgemeinschaft bei den Jägern und Sammlern. Die werden sich wohl kaum über
einen Arbeitsplatz und Einkommen Gedanken gemacht haben - jedenfalls nicht
in der Form, wie man es heute tut. Der "Arbeitsplatz" war damals Jagen oder
Sammeln - das resultierende Einkommen, die Beute. Nun konnte damals schon
einer sagen, er wolle nicht jagen oder sammeln - trotzdem mußte jemand für
den Fortbestand Einkommen (Beute) heranschaffen, damit auch derjenige, der
nicht jagen oder sammeln wollte, leben konnte. So gesehen war jener ein
Sozialschmarotzer.

Es ist auch schön, daß Du lieber mit Menschen zusammen arbeiten willst, die
ihrer "Arbeit" deshalb nachgehen, weil sie es wollen und nicht, weil sie es
müssen. War das aber bei den Jägern und Sammlern auch so? Wenn sie nicht
jagen oder sammeln gingen, war der Nahrungsnachschub nicht gesichert - sie
waren (biologisch bedingt) "gezwungen", einer "Tätigkeit" nachzugehen.

Als nächstes führst Du die Notwendigkeit auf, bei der Du gerne dabei wärst.
Bei den Jägern und Sammlern war es klar: das Hungergefühl zeigte die
Notwendigkeit auf. Widerspricht das nun Deiner ersten Aussage, daß Du keinen
"Arbeitsplatz" brauchst, sondern Einkommen? Ich verstehe Dich in der
Hinsicht, daß Du eine Einsicht in die Notwendigkeit einer Arbeit haben mußt
und daß es für Dich selbstverständlich sein sollte, leben zu können.

Dein Argument der Nichtnotwenigkeit für irgendwen und damit auch für Dich,
könnte dazu führen (wenn niemand die Einsicht in eine Notwendigkeit hat),
daß gewisse Dinge liegen bleiben. Z.B. in einer Wohngemeinschaft hält es
keiner für notwendig, das Klo zu putzen - damit wird durch Deine Sicht auch
für Dich diese Notwendigkeit zur Nichtnotwendigkeit.

Dein letzter Punkt Deines Menschenbilds besagt, daß Du hoffst, nie eine
Beschäftigungstherapie zu brauchen. Das ist (auf Dich bezogen) sehr schön
und ich wünsche es Dir auch. Ich war in der Psychiatrie und habe Leute
getroffen, die durch Untätigkeit so krank wurden, daß eine
Beschäftigungstherapie half, sie wieder "gesellschaftsfähig" zu machen. Ein
in sich gefangener Mensch (durch Depression), der nur grübelt und nicht
"Leben" kann, verwirft oft jegliches Angebot, irgendetwas zu tun - er ist so
sehr in sich gefangen, daß er keine Einsicht hat, etwas zu tun. Da kann
"verordnete Arbeitstherapie" Wunder bewirken, egal, wie sinnlos die
Beschäftigung ist (welchen Sinn macht es schon, ein Bild zu malen, wenn man
es nicht kann).

Trotzdem gefällt mir Dein Menschenbild in der Hinsicht, weil heute mehr
Menschen so denken sollten. Mein Menschenbild sieht da ein klein wenig
anders aus und kann Dein Menschenbild trotzdem erklären. Es sind nur drei
Punkte, die mein Menschenbild ausmachen:
1.) Alle Menschen haben (biologisch bedingt) Grundbedürfnisse und machen
jeden Menschen gleich
2.) Alle Menschen haben Eigenschaften, die helfen, seine Grundbedürfnisse zu
"befriedigen"
3.) Alle Menschen haben Fähigkeiten, die helfen, seine Grundbedürfnisse zu
"befriedigen"

Nun ist es aber so, daß sich die Eigenschaften und Fähigkeiten massiv
unterscheiden können. Der eine Mensch ist größer als ein anderer
(Eigenschaft) und mancher Mensch hat gute kognitive Fähigkeiten, die ein
anderer nicht hat. Damit will ich sagen, daß nicht alle Menschen in der Lage
sind, ihre Grundbedürfnisse auf gleiche Weise zu befriedigen. Die Vernunft
reicht bei manchen Menschen nicht aus, um diesen Umstand zu verstehen (sonst
hätte es nie Kriege gegeben).

Bezogen auf ein BGE verlangt mein Menschenbild, daß die Möglichkeit gegeben
wird, die Grundbedürfnisse zu befriedigen (gebe ich jemandem 800 Euro, hat
er damit die Möglichkeit, aber es heißt noch lange nicht, daß er diese
Möglichkeit nutzt - er könnte die 800 Euro auch sparen). An den
Eigenschaften eines Menschen wird sich kaum etwas ändern lassen, weshalb sie
für ein BGE kaum relevant sind. Allerdings können die Fähigkeiten geschult
werden, damit der Mensch z.B. zu Deinem Menschenbild gelangt und die 800
Euro nicht spart, sondern für seine Grundbedürfnisse ausgibt.

Dein Menschenbild ist idealistisch, trifft aber nicht auf alle Menschen zu.
Schließlich geht es darum, den Mensch so zu betrachten, wie er ist und nicht
ein Ideal zu definieren, wie man den Menschen gerne haben möchte. Anhand
dieser Wirklichkeit kann man dem Menschen aber ein Ideal anbieten, um es zu
leben (z.B. Dein Menschenbild).

Nichts für ungut und Danke für Deine Ausführungen,

Jörg (Drescher)



----- Original Message ----- 
From: "Reimund Acker" <reimund.acker at t-online.de>
To: "BGE Liste" <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Wednesday, February 14, 2007 3:53 AM
Subject: [Debatte-Grundeinkommen] BGE & Menschenbild


Ich möchte hiermit die von Jörg Drescher aufgeworfene Frage aufgreifen und
getrennt zur Diskussion stellen, welches Menschenbild der Forderung nach
einem BGE zugrunde liegt.

Mir fällt spontan dazu ein:
- Ich brauche keinen Arbeitsplatz, sondern ein Einkommen.
- Dass sich irgendwelche Politiker hinstellen und sich überlegen, wie sie
mich beschäftigen könnten, mir einen Arbeitsplatz schaffen könnten, verbitte
ich mir.
- Ich lebe und arbeite lieber mit Menschen zusammen, die das was sie tun,
deshalb tun weil sie es wollen, und nicht weil sie müssen.
- Wenn meine Arbeit notwendig ist, um die Not zu wenden, ein Problem zu
lösen, einen wichtigen Beitrag zu leisten, damit es irgendjemand besser
geht, dann bin ich dabei.
-Wenn aber meine Arbeit für niemanden notwendig ist, dann ist sie es auch
nicht für mich. Dann will ich die Arbeit nur machen, wenn ich Lust dazu
habe, und wer etwas anderes von mir verlangt, den soll der Teufel holen.
- Ich hoffe, nie so krank zu werden, dass ich eine Beschäftigungstherapie
brauche; aber ich KANN überhaupt nicht so krank werden, dass ich eine
staatlich erzwungene Beschäftigungstherapie brauche.

Reimund Acker

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