[Debatte-Grundeinkommen] PsgD, Dilthey etc.

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
So Feb 11 15:43:14 CET 2007


Hallo Robert,
hallo Liste,

wie man in dem Artikel von Peter Scharl lesen konnte, versteckt sich hinter
dem BGE alles mögliche. Es wird sogar bei manchen Modellen von "Trojanern"
gesprochen. Die BGE-Idee ist keine Linke Idee, nur eine Art des BGE stammt
aus dem linken Parteispektrum. BGE ist nicht gleich BGE.

Nehmen wir nun ein BGE, das zum Ziel hat, den Menschen existenziell
abzusichern, dann ergibt sich die Frage, was denn ein Mensch ist, wenn er
denn tatsächlich leben kann. Und hier fängt die "eierlegende Wolfmilchssau"
an: der Mensch ist zu allem fähig. Damit wird klar, daß ein BGE eine
Universallösung darstellt, weil der Mensch sich frei entfalten kann.

Die "Notbremse" BGE ist gleichzeitig eine überfällige Revolution, um alte
Denkmuster aufzubrechen. Die Linke (Parteispektrum bis zur SPD)
konzentrierte sich bisher auf den Arbeiter, organisierte sich in
Gewerkschaften und fühlte sich von den "bösen" Unternehmern ausgebeutet. Die
(Neo)Liberalen (CDU/CSU, FDP) ging von der unternehmerischen Seite aus (Adam
Smith: Das eigennützige Streben der Menschen trage zum Wohl der gesamten
Gesellschaft bei). Die Grünen entstanden, weil das linke und (neo)liberale
Parteispektrum die Umwelt vernachlässigt hatten. Bei allen Bestrebungen ging
aber scheinbar der eigentliche Mensch verloren, der manchmal Arbeiter oder
manchmal Unternehmer ist und immer in einer Umwelt lebt. Die BGE-Idee stellt
aber genau diesen Menschen wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung, weil
das Sozialsystem aus den Fugen gerät. Die immer aufgeblähtere Verwaltung
macht das Sozialsystem unbezahlbar, Arbeitslosigkeit trägt ihren Teil dazu
bei. Der soziale Frieden ist gefährdet.

Ich will behaupten, daß Unternehmer die ersten Menschen in einem Staat sind,
die sich bewußt werden, daß sie sich um den Menschen (meist in Form als
Mitarbeiter) kümmern muß, damit sie produzieren können. Die ersten
Sozialsysteme stammen nicht von Staaten, sondern von Betrieben. Die ersten
wirklichen Demokratien sind in Form von Vorschlagswesen entstanden. Das war
nicht eigennütziges Handeln, wie es Smith deutete, sondern symbiotisches:
geht es den Arbeitern gut, geht es auch dem Unternehmen gut. Diese Denkart
entstand nur langsam in einigen Unternehmen und setzte sich später im Staat
durch. Die "bösen, ausbeuterischen" Unternehmer sind genauso wichtig, wie
die "armen, ausgebeuteten" Arbeiter (Unternehmer und Arbeiter sind beides
Menschen). Es ist nicht verwunderlich, daß ein Unternehmer (Götz Werner) die
BGE-Idee unterstützt.

Die Arbeitsbetrachtung "zielgerichteter Wertschöpfungszweck" wage ich
anzuzweifeln. Wie schon anderweitig dargelegt, arbeitet der Mensch primär,
um überleben zu können und sekundär, um sich selbst zu verwirklichen. Das
BGE soll die primäre Arbeit ersetzen, indem die Gemeinschaft dafür
aufkommt - dies ist deshalb möglich, weil durch die Industriealisierung mehr
produziert wird, wie durch den Grundbedarf benötigt wird. Das sind
Grundüberlegungen des Dilthey-Modells.

Das Parteiprogramm der PsgD mag illusionär sein - aber es gibt eine Vision
vor, die angestrebt werden sollte. Was ist die Zielsetzung der CDU/CSU, der
FDP, der SPD, der Grünen, der Linken? Wie lauten die Antworten auf globale
Fragestellungen? Die PsgD versucht zumindest mit dem philosophischen Projekt
Jovialismus Antworten zu geben, die vernünftig sind. Das Motto ist nicht,
fertige Konzepte zu liefern, die unreflektiert übernommen werden sollen.
Vielmehr gilt der Spruch von Antoine de Saint-Exupéry: "Wenn Du ein Schiff
bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen,
Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen,
sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer." Dumm
ist nur, daß wir uns schon auf einem sinkenden Schiff befinden...

Demokratie muß nicht in die Wirtschaft eingeführt werden, sondern im Staat.
Wer glaubt, daß ein Abstimmungsverfahren Demokratie sei, hat in meinen Augen
diese Staatsform nicht begriffen. Der Staat muß einen organisatorischen
Rahmen bieten, um darin Politik zu machen. Und politische Teilhabe ist
mindestens das gleiche Grundrecht, wie das Recht auf Bildung oder Leben. Das
BGE kann nur ein Teilaspekt weitreichender Änderungen sein, die nötig sind,
um die Probleme der Menschheit so zu lösen, damit sie fortbestehen kann.
Aber das BGE ist für mich ein wesentlicher Aspekt.

Jörg (Drescher)


----- Original Message ----- 
From: Robert Zion
To: Debatte Grundeinkommen
Sent: Sunday, February 11, 2007 2:38 PM
Subject: [Debatte-Grundeinkommen] PsgD, Dilthey etc.


Hallo Freundinnen und Freunde,

ich beobachte diese Debatte schon eine ganze Weile und wundere mich
zunehmend mehr. Da bietet sich uns jetzt eine Chance, mit dem BGE dem
gegenwärtigen Totalabbruch des Sozialstaates ein wirkliches Gegenkonzept
entgegenzusetzen und hier werden stattdessen obskure Theorien ausgetauscht.

Was die PsgD betrifft, so genügt schon ein Blick in das Programm, um leicht
feststellen zu können, dass da lediglich sehr global normative Forderungen
aufgestellt werden, ohne auch nur grobe Ansätze einer Gegenwartsanalyse oder
von Umsetzungskonzepten zu liefern. Da wundert es denn kaum, dass hier in
das BGE so ziemlich alles hineinprojeziert wird, was Mensch sich so an
Theorien über Gesellschaft, Kapitalismus, Geld etc. ausdenken kann und das
BGE mittlerweile zur eierlegenden Wollmilchsau aufgeblasen wird, quasi zur
Universallösung.

Leute, kommt auf den Boden zurück. Das BGE ist keine Revolution, es ist eine
Notbremse, die zur Wahrung wenigstens noch des Anspruchs eines Sozialstaates
beitragen kann, für die Menschenwürde auch noch der ärmsten und
ausgestoßendsten einzustehen. Dass dieser Sozialstaat mittlerweile auf dem
Spiel steht und zugunsten einer "unsichtbaren Hand des Marktes"
(Kapitalismus pur) verabschiedet werden soll, muss Mensch allerdings schon
begriffen haben. Begriffen haben sollte Mensch allerdings auch, dass Arbeit
eine zielgerichtete menschliche Tätigkeit und als solche ein sich selbst
erfüllender und auch wertschöpfender Zweck ist und nicht etwas, zu dem
Mensch erst durch Geldanreize, Zwang, Abhängigkeit, Druck etc. getrieben
werden muss.

Darum ist das BGE eine linke Idee.

Andere Ansätze wie etwa den von Althaus (Minimalstausstattung und dadurch
Arbeitszwang aus schierer Not) oder den von Götz Werner halte ich für
verheerend. Gerade letzterer scheint ja sehr beliebt zu sein, doch will
dieser nicht viel mehr, als den gegenwärtig vom Finanzmarkt gesteuerten
Turbokapitalismus in die Konsumsphäre verlagern (und folglich alles nur noch
über Verbrauchssteuern finanzieren) - das BGE als Durchlauferhitzer einer
strikt wachstumsorientierten Massenkonsumgesellschaft! Verteilungsfragen,
Bürgerrechtsfragen, ökologische Fragen, Fragen der Demokratie spielen da in
Wirklichkeit keine Rolle mehr: Ökonomismus pur.

Für mich ist das BGE (auch) ein Instrument, die Demokratie endlich in die
Wirtschaft einzuführen, soziale Grundrechte einzufordern, und damit der
gegenwärtigen Verwirtschaftlichung (=Abschaffung) der Demokratie etwas
entgegenzusetzen.

solidarische Grüße
Robert Zion
B'90/Grüne, Geschäftsführender Vorstand und Bundesdeligierter, KV
Gelsenkirchen
Umweltpolitischer Sprecher der Ratsfraktion B'90/Grüne, Gelsenkirchen




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