[Debatte-Grundeinkommen] Das BGE und die Volkswirtschaft

Manfred Bartl sozial at gmail.com
Fr Feb 9 13:25:49 CET 2007


Hallo, Klaus!

Deine Mail ist sehr interessant und tiefschürfend. Eigentlich sollte
ein solcher Text in einem Diskussionsforum mit angemesserer Tiefe
behandelt (und nach Möglichkeit sogar abgehandelt) werden. Man könnte
sogar mehrere verschiedene Ansätze daraus extrahieren und eigene
Diskussionsfäden aufmachen:
Was ist Luxus? Wie beeinflusst die Produktivität das BGE?
An welchen Stellen sollte die Teilhabe durch monetäres Grundeinkommen
und an welchen durch Freistellung ermöglicht werden?
und einige mehr - vieles davon tatsächlich vernachlässigt.

Als erstes möchte ich die Frage aufgreifen, was durch Freistellung -
unter Reduzierung des grundbedarfsdeckenden Grundeinkommens -
ermöglicht werden sollte. Dazu sage ich nur: So viel wie nur irgend
möglich!!! Schließlich ist das Ärgerliche am Bezahlen von
Grundbedarfsdeckungsmitteln (Gegenständen und Dienstleistungen) nicht,
dass das schöne Geld weniger wird (Dass der Grundbedarf jetzt gedeckt
ist, kann man schließlich direkt am eigenen Wohlbefinden ablesen - man
braucht keine Geldskala für die Grundbedarfsdeckung!), sondern dass
man überhaupt einen Abgeltungsvorgang bedenken und abwickeln muss,
etwa so: Waren/Dienstleistungen an einer Kasse erfassen - "Ich bekomme
von Ihnen xx Euro" - Geldbörse rauskramen, während hinter einem schon
andere "Kunden" auf ihren Abgeltungsvorgang warten - Geld abzählen und
überreichen - "Hier, bitte schön!" - Wechselgeld in Empfang nehmen und
verstauen. Besonders sinnlos ist ein solcher Abgeltungsvorgang beim
Busfahrer, denn er hält ALLE auf. Und wozu dient dieser
Abgeltungsvorgang eigentlich? Doch nur dazu, dass - seltener - die
bezahlten Menschen wiederum ihren eigenen Grundbedarf davon decken
können und wieder Abgeltungsvorgänge auslösen oder dass - inzwischen
häufiger so - Unternehmen oder gar Konzerne die Gelder sammeln können
und einen immer kleineren Teil durch Lohnzahlungen zur Bedarfsdeckung
ihrer Angestellten zurücklaufen lassen (was auch wieder
Abgeltungsvorgänge auslöst), um auf der Vorstandsetage so viel wie
möglich abzugrasen und SELBST im Luxus - oder noch schlimmer: im
abstrakten Geld-Reichtum - zu schwelgen.

Dieser basale Geldfluss ist völlig unnötig, denn der Grundbedarf wird
offensichtlich nicht durch eine schwankende Nachfrage gesteuert,
sondern durch den absoluten, permanenten, nahezu stabilen (sprich:
weitgehend allein vom, nur von wiederum über Jahre stabiler
Bevölkerungsgröße und Altersverteilung abhängigen) Grundbedarf. Dass
man fürs Brot nur 20 Cent bezahlen muss, ist einerseits also toll...
Aber wenn man sowieso "faktisch nichts" dafür bezahlen muss - warum
muss man dann überhaupt dafür bezahlen?? Damit die Armen das Brot
nicht bauchladenweise abholen, um es an der nächsten Straßenecke den
Reichen für 10 Cent anzubieten?? Damit nicht 20 Prozent der
Bevölkerung auf einmal das Taubenfüttern als Hobby nennen? Damit Leute
die Löcher in ihrenSchuhen nicht mit Brot stopfen (was "Reichere"
immerhin auch bei 20 Cent könnten)? Damit nicht Ausländer kommen und
ganze Wadenladungen abholen, um sie im Heimatland zu verscherbeln?
Damit nicht....  Bin ich zu naiv, weil ich glaube, dass, wenn ich das
schon nicht machen würde, auch meine Mitmenschen nicht auf solche
Ideen kämen? (Zugegebenermaßen habe ich von Idioten gehört, die für
billiges Benzin oder gar billige Zigaretten ins Ausland fahren...)

Gerade wenn JEDER dafür bezahlen muss, ist die Bedarfsdeckung durch
Freistellung offensichtlich. Dass die GEZ Unsinn ist, weiß der letzte
Depp in der Nation. Trotzdem gibt es sie weiterhin, darf weiterhin
gegen Nicht-Zahler hetzen und in die Illegalität treiben, darf
weiterhin Hartz-IV-Opfern den Verwaltungsvorgang zur
Gebührenfreistellung aufzwingen (was diese armen Menschen ein
Briefporto kostet - und 55 Cente sind bei 345 Euro a) ziemlich viel
und b) nicht darin berücksichtigt!!!), darf weiterhin
Öffentlich-Rechtlich- Abstinenzler generieren, darf sich neue
Abzockmodelle ausdenken. An GUTEN öffentlich-rechtlichen Medien sind
aber doch ALLE interessiert, sogar die, die derzeit vielleicht nicht
in ARD und ZDF reinschauen, Hauptsache die Leute sind flächendeckend
mit einigermaßen verlässlichen Informationen versorgt (JA, ich weiß,
dass das ein Idealbild ist!).

Insbesondere sollte auch der ÖPNV frei sein. Gerade hier sind
Bezahlvorgänge besonders pikant, denn der ÖPNV WIRD ja bereits
weitgehend durch Steuermittel bezahlt. Warum dann noch die Benutzer
zuzahlen sollten statt der Verweigerer, ist so dermaßen ÜBERHAUPT
nicht einzusehen, dass man sich fragt, warum die Verantwortlichen
nicht längst in Gummizellen sitzen.

An dieser Stelle muss ich wegen zweier Termine unterbrechen, sende die
Mail aber ab, um die Dikussion voranzutreiben. Die anderen
extrahierten Fragen würde ich gerne wieder aufgreifen! Idealerweise
geht jemand anderes jetzt vor mir darauf ein ;-)

Viele Grüße
Manfred



On 2/9/07, Klaus-Dieter Birkholz <kdbirkholz at yahoo.de> wrote:
> Hallo Jörg,
>
> ich meine nicht den Mehrwert, sondern tatsächlich Luxus. Die Stelle, an der Grundbedarf (betragsmäßig) endet und demnach Luxus beginnt, ist meines Erachtens nicht konstant. Dies geht ja auch aus dem Beispiel mit dem Fernseher hervor. Vielleicht verwende ich die falschen Begriffe, aber ich halte es für notwendig, eine Unterscheidung zu finden, was mit den BGE abgedeckt werden soll und was darüber hinaus konsumiert werden kann, wenn ein über das BGE hinausgehender Betrag verdient wird. Den 2. Teil nenne ich Luxus. Das ist meines Erachtens nicht der Mehrwert ...
>
> Mehrwert kann auch an Stellen entstehen, die ich zum Grundbedarf zähle (immer betragsmäßig im Verhältnis zur volkswirtschaftlichen Gesamtproduktion). Vielleicht meinst Du aber auch, dass nur der geschaffene Mehrwert das BGE finanzieren kann.
>
>
> Zum Beispiel mit den Nahrungsmitteln. Sicher unterscheiden sich Restaurantbesuch, der Einkauf im Fachhandel oder bei Aldi. Nur ist das zur Bemessung des BGE überhaupt relevant? Wichtiger ist doch die Frage, ob abschätzbar ist, was ein Mensch (im Durchschnitt) als BGE benötigt, um diesen Bedarf zu decken. Eine Differenzierung zwischen Restaurantbesuch und Aldi in der Diskussion um das BGE wiederspricht meines Erachtens der Idee, das Problem möglicht einfach vermittelbar zu halten. Daher stellte ich den Warenkorb als Grundlage zur Bemessung des BGE hin.
>
>
> Ich habe schon in meinem ersten Beitrag erwähnt, dass auch ich eine unterschiedliche Besteuerung für nicht sinnvoll halte, da dann jedes Grundbedarfsgut und Luxusgut als solches definiert werden müsste. Der Aufwand ist sicher nicht angemessen. Wichtig ist mir nur, dass aus dem Anteil der Steuer auf volkswirtschaftliche Produktion, die über den Grundbedarf der Volkswirtschaft hinaus geht, der fehlende Bestandteil des BGE finanziert werden muss.
>
> Nun zum für mich interessantesten Punkt aus deiner Reaktion :-)
> Meiner Meinung nach ja, kann das BGE nur am Grundbedarf orientiert werden. Wenn die Volkswirtschaftliche Produktion sinkt, dann muss demnach der Grundbedarf gesenkt werden und das BGE sinken, da anteilig die Luxusproduktion sinkt. Die Kostenseite des Grundeinkommens ist dadurch keinesfalls festgelegt, da der Grundbedarf und damit das ausgezahlte BGE in seiner Höhe gerade eine der Stellschrauben ist (Ich gehe im Übrigen davon aus, dass sich die volkswirtschaftliche Produktion nicht gravierend verändert, daher wird auch nicht gravierend am BGE geschraubt). Wird die Volkswirtschaft produktiver, so wird das BGE erhöht, im entgegengesetzten Fall wird es niedriger. Eine Notwendigkeit zur Kreditaufnahme kann ich hier nicht finden (bzw. auf Grund der Zeitspanne bis zur BGE-Anpassung nur temporär). Die 2. Stellschraube ist die Steuer selbst, die erhoben wird. Wenn das BGE in seiner Höhe schon zu Beginn falsch eingeschätzt wurde und nach unten oder oben korrigiert werden muss, ist dies auch bei gleichbleibender Produktion über die Steuer möglich.
>
> Gesichert von staatlicher Seite wird in dem Falle nur, dass der Grundbedarf abhängig von der volkswirtschaftlichen Situation an alle Bürger verteilt wird. Etwas anderes kann der Staat nicht garantieren, da er selbst in einer Marktwirtschaft die Produktion verhältnismäßig wenig beeinflußt.
>
>
> Wie gesagt, ich versuche, dass Modell möglichst einfach darzustellen. Jedem am BGE interessierten den Mehrwert zu erläutern, der sich bei mehreren Veredelungsstufen vervielfacht, ist meines Erachtens nicht zweckmäßig. Kennt Ihr eigentlich bildliche Darstellungen eines dieser Modelle/Finanzierungsmodelle? Spätestens bei der Entwicklung einer bildlichen Darstellung eines Problem wird deutlich, was die elementaren Punkte eines Sachverhaltes sind und diese sind auch viel einfacher vermittelbar.
>
> Ich hätte viel eher anfangen sollen, hier mitzudiskutieren. Es ist sehr interessant, Meinungen aus anderen Richtungen zu mich interessierenen Punkten zu erfahren :-)
>
> Liebe Grüße
> Klaus
>




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