[Debatte-Grundeinkommen] Das BGE und die Volkswirtschaft

Joerg Drescher iovialis at gmx.de
Fr Feb 9 15:34:49 CET 2007


Hallo Manfred, hallo Klaus,

die Ukraine bietet scheinbar für einige Dinge relativ gute Beispiele, wie
manches anders laufen könnte. Bevor ich einen kleinen Bericht zum ÖPNV
abgebe, will ich allerdings eine Entwicklung beim "Bezahlvorgang" aufführen,
der sich in den nächsten Jahren anbahnen wird, sofern nicht schon Realität.
Für mich stellt sich bei diesem Thema häufig die Frage, für was wir denn
überhaupt Geld haben. Manchmal glaube ich sogar, daß das BGE die Vorstufe
davon ist, Geld komplett abzuschaffen. Mir kommt es so vor, als wäre die
BGE-Idee ein Schritt in einem Lernprozeß, der Geld überflüssig machen kann.

Aber zurück zu den Beispielen:
Statt heute im Supermarkt Geld aus der Börse herauszusuchen, gibt's
Kartenbezahlung an der Kasse. Die REWE-Gruppe geht sogar weiter und gibt
Kunden einen Scanner mit auf den Einkaufsweg und Kassierer sind so gut wie
gar nicht vorhanden. Die METRO-Gruppe macht es noch einfacher, indem sie
RFID (Chips, die ihre Informationen selbständig senden) einsetzen. Ein
Computer am Einkaufswagen zeigt den aktuellen Bestand an, bzw.
Gesamteinkaufspreis (soweit ich weiß, Versuchsprojekt). Bei BILLA gibt's
Info-Computer im Laden, bei denen jeder selbständig den Bar-Code am Computer
scannen kann, um weitere Informationen zum Produkt zu erhalten (Herkunft,
Rezepte, Lagerung...) - als Service, kostenlos. Es gibt schon heute
programmierbare Kühlschränke, die selbständig Bestellungen vornehmen
können - die dann "frei Haus" geliefert werden. Diese Innovationen werden
noch weitgehenst dadurch behindert, weil man "sozial sein muß", um "Arbeit
zu schaffen". Und der Mensch ist bestimmt noch viel einfallsreicher, in
dieser Richtung noch größere und weitreichendere Innovationen zu
entwickeln - wenn man ihn denn machen ließ...

Zum ÖPNV in der Ukraine:
Die Metro (U-Bahn) in Kiew kostet "pro Benutzung" und nicht "pro
Wegstrecke" - bezahlt wird einmal (50 Kopeken - ca. 8 Eurocent). Die Metro
macht dabei zwar keine, bis wenig Gewinne, aber sie trägt die verursachten
Kosten. Eine Preiserhöhung gab's seit ich in Kiew lebe, nicht (jetzt 5
Jahre). Busse, Straßenbahn oder "Marshrutkas" (Art Sammeltaxi) bezahlt man,
indem man einsteigt und das Geld während der Fahrt an den Fahrer oder einen
Kassierer durchreicht - auch nur "pro Benutzung" und nicht "pro Wegstrecke".
Dabei wird eigentlich kaum "geschummelt" (wegen niederen Kosten lohnt es
nicht), selbst das Wechselgeld stimmt fast immer und wird durchgereicht.

Mein Traum (einer "besseren" Welt) ist, daß solche Ideen gesammelt werden
und anderorts auf deren Verhältnisse angepaßt umgesetzt werden. Es sollte
jedem die Möglichkeit gegeben werden, Vorschläge einzureichen, was man
einfacher, besser und effektiver machen könnte. Warum maßt sich der Staat
an, alles zu bestimmen, alles zu regeln und damit Innovationen zu behindern?
Ich plädiere für ein "staatliches Vorschlagswesen", wie es in der Wirtschaft
angewandt wird (dort heißt es heute Ideenmanagement). Dieses Verfahren ist
einfacher, gerechter und effektiver wie "direkte Demokratie" mit einem
"Abstimmungsverfahren". Ein BGE könnte diese "staatliche Innovation"
fördern.

Allerdings bin ich etwas vom Thema abgekommen und schulde noch meine
Erklärung zur Selbstregulierung. Kommt noch...

Jörg (Drescher)

PS: auch ich halte es für sinnvoller und effektiver, solche Dinge in einem
Forum zu diskutieren. Allerdings habe ich keine Lust, bei UDZ (unmoderiert),
bei der PsgD (parteilastig) oder in unserer Denkfabrik (andere Zielsetzung)
über solche Themen zu diskutieren. Könnte man sich darauf verständigen, ein
eigenes Forum einzurichten, das dann auch wirklich moderiert wird und
zielführend ist, aber organisations- und parteineutral bleibt? Ich biete bei
der Installation, Konfiguration und Administration gerne meine Hilfe an,
wenn's sein muß auch bei der Moderation. Erfahrung bringe ich (selbstlob)
mit.

----- Original Message ----- 
From: "Manfred Bartl" <sozial at gmail.com>
To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Friday, February 09, 2007 2:25 PM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Das BGE und die Volkswirtschaft


Hallo, Klaus!

Deine Mail ist sehr interessant und tiefschürfend. Eigentlich sollte
ein solcher Text in einem Diskussionsforum mit angemesserer Tiefe
behandelt (und nach Möglichkeit sogar abgehandelt) werden. Man könnte
sogar mehrere verschiedene Ansätze daraus extrahieren und eigene
Diskussionsfäden aufmachen:
Was ist Luxus? Wie beeinflusst die Produktivität das BGE?
An welchen Stellen sollte die Teilhabe durch monetäres Grundeinkommen
und an welchen durch Freistellung ermöglicht werden?
und einige mehr - vieles davon tatsächlich vernachlässigt.

Als erstes möchte ich die Frage aufgreifen, was durch Freistellung -
unter Reduzierung des grundbedarfsdeckenden Grundeinkommens -
ermöglicht werden sollte. Dazu sage ich nur: So viel wie nur irgend
möglich!!! Schließlich ist das Ärgerliche am Bezahlen von
Grundbedarfsdeckungsmitteln (Gegenständen und Dienstleistungen) nicht,
dass das schöne Geld weniger wird (Dass der Grundbedarf jetzt gedeckt
ist, kann man schließlich direkt am eigenen Wohlbefinden ablesen - man
braucht keine Geldskala für die Grundbedarfsdeckung!), sondern dass
man überhaupt einen Abgeltungsvorgang bedenken und abwickeln muss,
etwa so: Waren/Dienstleistungen an einer Kasse erfassen - "Ich bekomme
von Ihnen xx Euro" - Geldbörse rauskramen, während hinter einem schon
andere "Kunden" auf ihren Abgeltungsvorgang warten - Geld abzählen und
überreichen - "Hier, bitte schön!" - Wechselgeld in Empfang nehmen und
verstauen. Besonders sinnlos ist ein solcher Abgeltungsvorgang beim
Busfahrer, denn er hält ALLE auf. Und wozu dient dieser
Abgeltungsvorgang eigentlich? Doch nur dazu, dass - seltener - die
bezahlten Menschen wiederum ihren eigenen Grundbedarf davon decken
können und wieder Abgeltungsvorgänge auslösen oder dass - inzwischen
häufiger so - Unternehmen oder gar Konzerne die Gelder sammeln können
und einen immer kleineren Teil durch Lohnzahlungen zur Bedarfsdeckung
ihrer Angestellten zurücklaufen lassen (was auch wieder
Abgeltungsvorgänge auslöst), um auf der Vorstandsetage so viel wie
möglich abzugrasen und SELBST im Luxus - oder noch schlimmer: im
abstrakten Geld-Reichtum - zu schwelgen.

Dieser basale Geldfluss ist völlig unnötig, denn der Grundbedarf wird
offensichtlich nicht durch eine schwankende Nachfrage gesteuert,
sondern durch den absoluten, permanenten, nahezu stabilen (sprich:
weitgehend allein vom, nur von wiederum über Jahre stabiler
Bevölkerungsgröße und Altersverteilung abhängigen) Grundbedarf. Dass
man fürs Brot nur 20 Cent bezahlen muss, ist einerseits also toll...
Aber wenn man sowieso "faktisch nichts" dafür bezahlen muss - warum
muss man dann überhaupt dafür bezahlen?? Damit die Armen das Brot
nicht bauchladenweise abholen, um es an der nächsten Straßenecke den
Reichen für 10 Cent anzubieten?? Damit nicht 20 Prozent der
Bevölkerung auf einmal das Taubenfüttern als Hobby nennen? Damit Leute
die Löcher in ihrenSchuhen nicht mit Brot stopfen (was "Reichere"
immerhin auch bei 20 Cent könnten)? Damit nicht Ausländer kommen und
ganze Wadenladungen abholen, um sie im Heimatland zu verscherbeln?
Damit nicht....  Bin ich zu naiv, weil ich glaube, dass, wenn ich das
schon nicht machen würde, auch meine Mitmenschen nicht auf solche
Ideen kämen? (Zugegebenermaßen habe ich von Idioten gehört, die für
billiges Benzin oder gar billige Zigaretten ins Ausland fahren...)

Gerade wenn JEDER dafür bezahlen muss, ist die Bedarfsdeckung durch
Freistellung offensichtlich. Dass die GEZ Unsinn ist, weiß der letzte
Depp in der Nation. Trotzdem gibt es sie weiterhin, darf weiterhin
gegen Nicht-Zahler hetzen und in die Illegalität treiben, darf
weiterhin Hartz-IV-Opfern den Verwaltungsvorgang zur
Gebührenfreistellung aufzwingen (was diese armen Menschen ein
Briefporto kostet - und 55 Cente sind bei 345 Euro a) ziemlich viel
und b) nicht darin berücksichtigt!!!), darf weiterhin
Öffentlich-Rechtlich- Abstinenzler generieren, darf sich neue
Abzockmodelle ausdenken. An GUTEN öffentlich-rechtlichen Medien sind
aber doch ALLE interessiert, sogar die, die derzeit vielleicht nicht
in ARD und ZDF reinschauen, Hauptsache die Leute sind flächendeckend
mit einigermaßen verlässlichen Informationen versorgt (JA, ich weiß,
dass das ein Idealbild ist!).

Insbesondere sollte auch der ÖPNV frei sein. Gerade hier sind
Bezahlvorgänge besonders pikant, denn der ÖPNV WIRD ja bereits
weitgehend durch Steuermittel bezahlt. Warum dann noch die Benutzer
zuzahlen sollten statt der Verweigerer, ist so dermaßen ÜBERHAUPT
nicht einzusehen, dass man sich fragt, warum die Verantwortlichen
nicht längst in Gummizellen sitzen.

An dieser Stelle muss ich wegen zweier Termine unterbrechen, sende die
Mail aber ab, um die Dikussion voranzutreiben. Die anderen
extrahierten Fragen würde ich gerne wieder aufgreifen! Idealerweise
geht jemand anderes jetzt vor mir darauf ein ;-)

Viele Grüße
Manfred



On 2/9/07, Klaus-Dieter Birkholz <kdbirkholz at yahoo.de> wrote:
> Hallo Jörg,
>
> ich meine nicht den Mehrwert, sondern tatsächlich Luxus. Die Stelle, an
der Grundbedarf (betragsmäßig) endet und demnach Luxus beginnt, ist meines
Erachtens nicht konstant. Dies geht ja auch aus dem Beispiel mit dem
Fernseher hervor. Vielleicht verwende ich die falschen Begriffe, aber ich
halte es für notwendig, eine Unterscheidung zu finden, was mit den BGE
abgedeckt werden soll und was darüber hinaus konsumiert werden kann, wenn
ein über das BGE hinausgehender Betrag verdient wird. Den 2. Teil nenne ich
Luxus. Das ist meines Erachtens nicht der Mehrwert ...
>
> Mehrwert kann auch an Stellen entstehen, die ich zum Grundbedarf zähle
(immer betragsmäßig im Verhältnis zur volkswirtschaftlichen
Gesamtproduktion). Vielleicht meinst Du aber auch, dass nur der geschaffene
Mehrwert das BGE finanzieren kann.
>
>
> Zum Beispiel mit den Nahrungsmitteln. Sicher unterscheiden sich
Restaurantbesuch, der Einkauf im Fachhandel oder bei Aldi. Nur ist das zur
Bemessung des BGE überhaupt relevant? Wichtiger ist doch die Frage, ob
abschätzbar ist, was ein Mensch (im Durchschnitt) als BGE benötigt, um
diesen Bedarf zu decken. Eine Differenzierung zwischen Restaurantbesuch und
Aldi in der Diskussion um das BGE wiederspricht meines Erachtens der Idee,
das Problem möglicht einfach vermittelbar zu halten. Daher stellte ich den
Warenkorb als Grundlage zur Bemessung des BGE hin.
>
>
> Ich habe schon in meinem ersten Beitrag erwähnt, dass auch ich eine
unterschiedliche Besteuerung für nicht sinnvoll halte, da dann jedes
Grundbedarfsgut und Luxusgut als solches definiert werden müsste. Der
Aufwand ist sicher nicht angemessen. Wichtig ist mir nur, dass aus dem
Anteil der Steuer auf volkswirtschaftliche Produktion, die über den
Grundbedarf der Volkswirtschaft hinaus geht, der fehlende Bestandteil des
BGE finanziert werden muss.
>
> Nun zum für mich interessantesten Punkt aus deiner Reaktion :-)
> Meiner Meinung nach ja, kann das BGE nur am Grundbedarf orientiert werden.
Wenn die Volkswirtschaftliche Produktion sinkt, dann muss demnach der
Grundbedarf gesenkt werden und das BGE sinken, da anteilig die
Luxusproduktion sinkt. Die Kostenseite des Grundeinkommens ist dadurch
keinesfalls festgelegt, da der Grundbedarf und damit das ausgezahlte BGE in
seiner Höhe gerade eine der Stellschrauben ist (Ich gehe im Übrigen davon
aus, dass sich die volkswirtschaftliche Produktion nicht gravierend
verändert, daher wird auch nicht gravierend am BGE geschraubt). Wird die
Volkswirtschaft produktiver, so wird das BGE erhöht, im entgegengesetzten
Fall wird es niedriger. Eine Notwendigkeit zur Kreditaufnahme kann ich hier
nicht finden (bzw. auf Grund der Zeitspanne bis zur BGE-Anpassung nur
temporär). Die 2. Stellschraube ist die Steuer selbst, die erhoben wird.
Wenn das BGE in seiner Höhe schon zu Beginn falsch eingeschätzt wurde und
nach unten oder oben korrigiert werden muss, ist dies auch bei
gleichbleibender Produktion über die Steuer möglich.
>
> Gesichert von staatlicher Seite wird in dem Falle nur, dass der
Grundbedarf abhängig von der volkswirtschaftlichen Situation an alle Bürger
verteilt wird. Etwas anderes kann der Staat nicht garantieren, da er selbst
in einer Marktwirtschaft die Produktion verhältnismäßig wenig beeinflußt.
>
>
> Wie gesagt, ich versuche, dass Modell möglichst einfach darzustellen.
Jedem am BGE interessierten den Mehrwert zu erläutern, der sich bei mehreren
Veredelungsstufen vervielfacht, ist meines Erachtens nicht zweckmäßig. Kennt
Ihr eigentlich bildliche Darstellungen eines dieser
Modelle/Finanzierungsmodelle? Spätestens bei der Entwicklung einer
bildlichen Darstellung eines Problem wird deutlich, was die elementaren
Punkte eines Sachverhaltes sind und diese sind auch viel einfacher
vermittelbar.
>
> Ich hätte viel eher anfangen sollen, hier mitzudiskutieren. Es ist sehr
interessant, Meinungen aus anderen Richtungen zu mich interessierenen
Punkten zu erfahren :-)
>
> Liebe Grüße
> Klaus
>




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Manfred Bartl
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