[Debatte-Grundeinkommen] Das Arbeits-Paradigma ist nichtrichtig!

j.behncke j.behncke at bln.de
Di Feb 6 12:44:59 CET 2007


Lieber Manfred, liebe Liste!

Ich halte den Mindestlohn zusammen mit der Forderung eines Grundeinkommens
für widersprüchlich:

Der Mindestlohn geht von dem Gedanken aus, daß der Erlös aus der
Erwerbsarbeit ausreichen muß, um die Existenz zu sichern. Das ist ein
frommer Wunsch und der Markt spricht dagegen. Im Idealfall ( ich zitiere
namhafte Volkswirte ) schadet der Mindestlohn nicht, wenn er niedrig genug
ist. Ist er zu hoch,  vernichtet er weiter sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze und drückt Erwerbsarbeit in die Schwarzarbeit.

Das Grundeinkommen dagegen geht davon aus, daß ich auch existieren kann,
ohne mich in Erwerbsarbeit verdingen zu müssen. Dann benötige ich auch
keinen Mindestlohn, riskiere allerdings den freien Fall von Erwerbslöhnen im
Niedriglohnsektor ( Götz Werner zielt ausschließlich auf diesen Effekt ).
Das kann man bei einem die gesellschaftliche Teilhabe sichernden
Grundeinkommen meines Erachtens akzeptieren, daß die Löhne in bestimmten
Sektoren sinken. Als Gegenpfand bietet das Grundeinkommen die individuelle
Freiheit, zu diesen Löhnen zu arbeiten oder auch nicht.

Das Beispiel mit dem Mindestpreis führe ich gerne an, um die Forderung nach
Mindestlöhnen kritisch zu hinterfragen: Wer Mindestlöhne will, muß auch
Minderstpreise fordern!

Außer einigen wohlsituierten Grünen, die bereit sind, für weltweit "fair"
gewirtschaftete Produkte freiwillig mehr zu bezahlen, ist mir keine Trend in
der Gesellschaft bekannt, der sagt: Geiz ist Scheiße, wir wollen soviel wie
möglich bezahlen für Deutsche Waren aus Deutschen Landen von Deutscher Hände
Arbeit.

Grüße
Joachim


----- Original Message -----
From: "Manfred Bartl" <sozial at gmail.com>
To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Tuesday, February 06, 2007 12:19 PM
Subject: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Das Arbeits-Paradigma ist
nichtrichtig!


> Lieber Joachim!
>
> Ich kann Deine Ausführungen nur nachdrücklich unterstützen -
> allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt, dem Ende der Fahnenstange
> sozusagen. Kurze Zwischenfrage: Meinst Du, dass der Mindestpreis die
> "systemfremde Forderung nach Mindestlohn" repariert? Ein
> "Mindestlohnanteil am Preis" scheint mir hier argumentativ
> stringenter.
>
> Aber zurückzum Grund meines Schreibens. Bei dem Punkt "Wenn XXX, dann
> auch Mindestpreis" verlasse ich Deinen Pfad und behaupte, dass solche
> erweiterten Eingrenzungen der Grundeinkommensidee, werden sie erst
> einmal angedacht, auch fortgedacht werden - und dann sehr schnell zur
> kompletten Abschaffung des Geldes führen müssen.
>
> Das Grundeinkommen stellt sehr pointiert das Mensch-Sein in den
> Mittelpunkt und nicht die Qualität oder die Quantität der Leistung
> (auch wenn es "hintenrum" als Inspiration zur bewussten, freiwilligen
> und lustvoller Leistungsabgabe angesehen wird). Das Mensch-Sein aber
> kennt nur individuelle Aspekte einer Leistungsabfrage und Produkt- und
> Dienstleistungszuteilung: Ein jeder nach seinen Fähigkeiten, einem
> jeden nach seinen Bedürfnissen! Wenn man behauptet, Geld sei in einer
> Gesellschaft (auch mit Grundeinkommen) notwendig zur Preisfindung, so
> muss man doch erkennen, dass dieser Preis die Individualität eben
> nicht berücksichtigt. Er ist - wenn überhaupt - nur ein
> Durchschnittswert. Dann aber führt der Preis einer Ware oder einer
> Dienstleistung grundsätzlich zum Öffnen der Schere zwischen Arm und
> Reich. Geld ist ein Katalysator für die exponentielle Entwicklung von
> Reichtum auf der einen und von Armut auf der anderen Seite - und zwar
> in jedem Wirtschaftssystmen.
>
> Ich halte daher das Grundeinkommen für die dringend notwendige
> Reparatur der Folgeschäden des Kapitalismus - aber eine Lösung kann
> nur die Abschaffung des Geldes sein.
>
> Mit freundlichen Grüßen
> Manfred Bartl
>
>
> On 2/5/07, j.behncke <j.behncke at bln.de> wrote:
> > Irgendwie ist da was dran, an der Argumentation.
> >
> > Ein paar Anmerkungen von mir:
> >
> > In der allgemeinen Diskussion wird die Arbeit vorrangig vor dem Begriff
der
> > Wertschöpfung behandelt: Nach dem Motto: wenn ich morgens in meine
> > (gewärmte) Dienststube gehe, den ganzen Tag Leute ärgere, am Monatsende
mein
> > Gehalt erhalte, dann arbeite ich.
> >
> > Mag so gesehen werden -  Im physikalischen Sinne des Arbeitsbegriffs
> > natürlich nicht: Arbeit= Kraft mal Weg, und noch so viel Krafteinsatz (
> > ganzen Tag im Büro, verbraucht ja auch Kräfte ), ohne bewirkte
Wegstrecke
> > macht: Arbeit gleich null.
> >
> > Daß Einkommen nur für eine große Menge von fleißigen und nicht sehr
> > bemittelten etwas mit Arbeit zu tun hat, wissen wir seit den
Ackermännern
> > dieser Welt. Leistungsloses Einkommen in Form von Zinsen auf Kapital war
> > schon immer die Haupteinnahmequelle herrschender Schichten. Dagegen hat
sich
> > die christliche Arbeitsethik stets gewandt, mit erstaunlichem Erfolg:
Der
> > Großteil der Bevölkerung ist ruhig gestellt in dem ständigen Tagesablauf
wie
> > oben geschildert. Danach ist keine Kraft mehr für neue Gedanken. Nicht
ohne
> > Grund gingen die neuen Gedanken der Intellektuellen des 19. Jahrhunderts
(
> > Marx war nur einer von ihnen, und nicht einmal besonders bemittelt ) von
> > Sprößlingen wohlhabender Familien aus. Wie auch sonst: Müßiggang ist
aller
> > Philosophie Anfang.
> >
> > Aber nach langer Vorrede zum Thema: Was ist eigentlich Wertschöpfung?
Und
> > ist der Wertschöpfungsbegriff nicht viel zentraler als der
Arbeitsbegriff?
> >
> > Meine "poor mans version" der Wertschöpfung: Wenn das, was ich an
resourcen
> > einsetze, verglichen zu dem, was ich als Entgelt ( und dieses Entgelt
ist in
> > einer kapitalistischen Marktwirtschaft bestimmt von Angebot und
> > Nachfrage )erhalte, verhältnismäßig gering ist,  habe ich eine hohe
> > Wertschöpfung.
> >
> > Beispiel: Spezialisten, die brennende Ölquellen löschen können setzen
ihr
> > know how ein, ihr Leben und einige Betriebsmittel: Ergebnis: Extrem hohe
> > Wertschöpfung und Verdienst, oder, anderes Beispiel: Fußballer,
> > Schauspieler, die Millionen in ihren Bann ziehen: Hohe Wertschöpfung,
weil
> > hohe Nachfrage, hoher Verdienst.
> >
> > Gegenbeispiel: Die Wertschöpfung einer einfachen Studentin, die im
Theater
> > Mäntel auf den Haken hängt: Diese Tätigkeit kann jeder andere
übernehmen,
> > der Verdienst ist ensprechend gering, tendiert im System von Angebot und
> > Nachfrage bei bestehendem hohen Angebot gegen Null: Daher die
Notwendigkeit
> > für ein Grundeinkommen.
> >
> > Viele, auch engagierte Freunde eines Grundeinkommens, verlangen parallel
zum
> > Grundeinkommen einen Mindestlohn, damit die Löhne nicht ins bodenlose
> > sinken: Ich meine, die Forderung von Mindestlöhnen verbunden mit
> > Grundeinkommen ist systemfremd: Dann sollte man auch Mindestpreise
> > verlangen: Für Oberhemden mehr als 40 €, denn mit einem geringeren Preis
> > werden die Lohnarbeiter in anderen Regionen in unserer globalisierten
Welt
> > ausgebeutet, oder nicht?
> >
> > Grüße
> > Joachim Behncke, Berlin
> >
>
>
> --
> Manfred Bartl
> Rheinallee 19
> 55118 Mainz
> Tel. 06131 / 371 472
> Tel. 06131 / 83 84 394
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