[Debatte-Grundeinkommen] Gesetzlicher Anspruch des bGE; das bGE als Zwischenschritt

Werner & Sigrid Herwig wesi.herwig at gmx.de
So Sep 17 14:55:33 CEST 2006


Liebe Leser,

den Bedenken Herrn Jägers auf eine isolierte Forderung nach bGE ungeachtet aller Nebenerscheinungen sollte man Raum geben. Gewiss mag manches provokativ klingen, aber seine Befürchtungen sind logisch. Natürlich erscheint auch die Forderung der bGE-Befürworter zur raschen Umsetzung, nachdem nun die Politik das Thema aufgegriffen hat. Trotzdem muss das Ziel deutlich klar bleiben. Geht es allein um bGE oder gerade auch darum, dass es damit in Verbindung steht, eine freie, nach Neigung und Interesse gewählte Tätigkeit realisieren zu können neben ausreichend Freizeit? Natürlich verbleiben immer auch Pflichtaufgaben für den Einzelnen in der Gesellschaft. War ja bereits angesprochen. Wieviel Lebenszeit für eine gut funktionierende soziale Gesellschaft in Einsatz zu bringen sein wird, darüber konnte ich bislang noch nichts nachlesen. 

bGE soll Freiheit bringen. Deswegen verfolge ich die Debatte. Und ich verfolge diese Seiten, weil sie unter dem Begriff "Netzwerk" stehen.

Was wäre, wenn bGE ohne umfassende flankierende Maßnahmen daher käme wie Änderung des Wahlrechts, des Steuerrechts, ohne einer entsprechenden Bildungsoffensive?

Drei vorstellbare Szenarien:

1. bGE ohne Änderung des Wahlrechts, Steuerrechts, ohne Bildungsoffensive

Es wäre vorstellbar, dass derjenige, der die Macht hat, es einzuführen, das bGE zu niedrig bemisst, untersteht er doch auch dem Zwang gewisser Interessen der Global-Player. Um Ruhe zu bewahren sieht er sich gleichzeitig gezwungen, den Warenkorb zu schmal zu packen. Das wird ja heute schon so gemacht. Wer bitte gibt in unserer parlamentarischen Demokratie die Garantie, dass dies nicht der Fall sein wird? Unsere gewählten Politiker haben seit Gründung der BRD Auftrag, dem Wohle des Volks zu dienen! Davon ist zu Zeiten des globalen Kapitalismus pur nichts mehr zu sehen und zu spüren, obwohl es gute, aber seitens der Politik - gewollt oder erzwungen? - unbeachtete Vorschläge gibt. Das Volk nimmt dies wahr, davon zeugt die Wahlbeteiligung. Eine Politik wie die derzeitige mit zu wenig Rückgrat für soziale Angelegenheiten reicht, und wir haben dann nicht nur die Bettler (Schwache und Kranke) vor den Türen der Reichen, sondern auch den Zwang, jede noch so erniedrigende, schlecht bezahlte Tätigkeit akzeptieren zu müssen, trotz bGE.

2. bGE + Änderung des Wahlrechts ohne ausreichende Steuerreform, ohne Bildungsoffensive

Würde es in Deutschland einen durch bedingungslose Demokratie zu erlangenden Mechanismus geben, der garantiert, dass bGE genau immer die Höhe hat, um tatsächlich den Grundbedarf zu decken, wird die Zukunftsperspektive derjenigen, die nur bGE und sonst nichts haben, tatsächlich auf Null gefahren. Oder wie sonst käme ein Mensch ohne Chance auf einen Arbeitsplatz an Investitionsmittel, um an seinem Dasein noch etwas zu verändern? Das Hauen und Stechen um Arbeitsplätze wäre damit nicht eingedämmt und die Industrie lässt ja hoffen, dass künftig noch viel weniger Menschen viel mehr produzieren können.  Wo auf unserem Globus werden diese wenigen Arbeitsplätze der Zukunft sein? Gewiss nicht in demokratisch regierten Ländern. Wird dieses Deutschland mit bGE im Zuge der Globlisierung gar zum Entwicklungsland regredieren?

3. bGE mit einkalkulierten Investitonsmitteln infolge einer Steuerreform, dazu Änderung des Wahlrechts, jedoch bei fehlender Bildungsoffensive

Würde das bGE etwa 100 oder 200 € höher ausfallen als der tatsächlich erforderliche Grundbedarf, stünden zwar Investitionsmittel für Menschen ohne Arbeitsplatz zur Verfügung, um etwas Eigenes, Selbstbestimmtes, aufzubauen. Allerdings würden sich parallel dazu aggressive Werbestrategen der Kapitalisten genau immer auf diese Summen konzentrieren und ihrer mit Sicherheit auch habhaft werden, solange die Einführung dieser Form eines bGE nicht von einer kritischen Schule hinsichtlich des Konsumverhaltens begleitet wird. Also würde auch dieses Modell, gewiss das einzig richtige, obgleich das teuerste, im Sande verlaufen. Diese Form eines bGE wäre die einzig zukunftsweisende Variante, um in Armut Geratene mit Hilfe von Investitionskapital frei gewählte Zukunftsperspektiven an die Hand zu geben. Weil sie aber verpuffen wird ohne kritische Schule, wird diese Möglichkeit schnell wieder als unbrauchbar verworfen werden und somit das gesamte Modell bGE unreflektiert auf dem Müll der Geschichte landen. Davon zeugt manche wohlmeinende seit jahrzehnten zu beobachtende Entwicklungshilfe: a) man stillte den Hunger, aber man gab keine Investitionsmittel. Die Folge war eine sich rasch verschlimmernde Armut. b) man stillte den Hunger und gab Investitionsmittel, jedoch ohne Anleitung, wie man diese ziel- und ergebnisorientiert hätte in Einsatz bringen können. Die Folge waren die in den Sand gesetzten Milliarden der solidarisch Denkenden, eine sich rasch verschlimmernde Armut einher gehend mit Verfall von Sitte und Moral, aus der aber gerade der globale Kapitalismus als Gewinner hervorging.

Mit freundlichen Grüßen

Sigrid
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