[Debatte-Grundeinkommen] Gesetzlicher Anspruch des bGE; das bGE als Zwischenschritt

Tobias Crefeld tc-wasg at onlinehome.de
Mi Sep 20 13:16:36 CEST 2006


On Fri, 15 Sep 2006 16:06:25 +0200 "Klaus Jaeger"
<jaeger.moers at t-online.de> wrote:

> sehe ich das folgende richtig? Sie und die Befürworter des bGE
> wollen einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf ein bGE  ?

Bitte lesen Sie doch einfach mal nach unter
http://www.grundeinkommen.info/ - die Frage wird dort wirklich an
bevorzugter Stelle beantwortet.


> Wissen Sie was?  Gesetzliche Rechtsansprüche gibt  es derzeit zu
> Hauf, die alle schön klingen, richtig sind und menschenwürdig, aber

Vermengen Sie bitte nicht Grundgesetz und Gesetze und Verordnungen.
Gesetze sind einklagbar und dies umso erfolgversprechender, je präziser
das Gesetz formuliert ist.
Verfassungen oder unser Grundgesetz sind hingegen sehr allgemein
formuliert und wie bei allen Gesetzen stehen ihm auch andere Rechtsgüter
entgegen, die abzuwägen, Sache von Richtern ist.
Ein Gesetz zum BGE wäre hingegen kein Bestandteil es GG, sondern
ausreichend konkret, um durchsetzbar zu sein.

Wenn Sie an der Durchsetzbarkeit von Gesetzen zweifeln, können wir
ebenso gut in die Anarchie- und Widerstandsdebatte einsteigen. 
Das hat aber nun wirklich nichts mit BGE zu tun. 


> Sie kritisieren meine Wortwahl: "Alimentierung".

Nein, ich fordere Sie primär auf, diese Bezeichnung zu erklären und
abzugrenzen. 

> "Denen, die wir für unseren Produktionsprozeß  nicht mehr brauchen,
> geben wir ein bGE, (..) Ansonsten brauchen wir sie nicht mehr für
> unseren Profitmaximierungsprozeß." 

Das ist Status Quo. Es ist sogar noch schlimmer: Aus meines Erachtens
kurzsichtiger Sicht vieler Arbeitgeber ist es aus
arbeitsmarktwirtschaftlichen Gründen interessant, einen großen Pool von
potentiellen Arbeitnehmern zu haben, mit dem sie die
Noch-Arbeitsplatzbesitzer unter Druck setzen können, Zugeständnisse an
die Arbeitgeber zu machen. Das diese Mitarbeiter dann einem erhöhtem
Stress ausgesetzt sind und somit auf Dauer schlechter arbeiten, haben
leider ausser Götz Werner noch nicht sehr viele Arbeitgeber erkannt
und es ist wohl auch von der Art der Arbeit abhängig. Insofern halte ich
diese Sichtweise wie gesagt für kurzsichtig.

Hier bietet zumindest für die niedrigen Lohngruppen, in dem dieser
Druck besonders signifikant ist, das BGE ein Instrument zur
Gegensteuerung. Ein Bürger, der die freie Wahl hat, seinen
Lebensunterhalt aus dem BGE oder aus Erwerbstätigkeit zu bestreiten,
wird höhere Ansprüche an einen Arbeitgeber stellen als einer, dem
finanziell das Wasser bis zum Hals steht und der von der Hand in den
Mund leben muss.


> Es wird ja heute schon von angeblichen Wirtschaftswissenschaftlern
> empfohlen, die ALG 2 Bezüge um 30 Prozent zu kürzen.  Glauben Sie,
> das bliebe dem Grundeinkommen erspart? 

ALG-2 basiert auf der Theorie, dass jeder Erwerbsfähige, der
erwerbstätig sein WILL, auch erwerbstätig sein KANN und das man
notfalls einen Zwang ausüben muss, um ihn in ein Arbeitsverhältnis zu
bringen (ohne jedoch zu beschreiben, wie man 5 Mio. Arbeitslose bei
500.000 freien Arbeitsplätzen unterbringt). Dem stehen allerdings in
unserem Land erstens das Verbot von Zwangsarbeit und zweitens das
Sozialstaatsgebot entgegen und dementsprechend versucht Hartz-4 einen
unglaublich bürokratischen Spagat, der in der Praxis durch Abschreckung
die Transferleistungen verhindern soll, auf die ein
sozialstaatspolitischer Anspruch besteht.

Die dahinter stehende Schizophrenie lässt sich vereinfachen auf ein
"ich will niemand verhungern lassen, aber ich will ihm auch nichts zu
essen geben".

Tatsächlich ist Hartz-4 aber nur eine Verschärfung der bereits früher
bestehenden Regelungen für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe. Die Idee dahinter war immer dieselbe und nur die
Verschärfung der Auswirkungen (in der Folge werden bei uns im Landkreis
die Schuldnerberatungen dem Ansturm nicht mehr Herr) hat diesen
Widerspruch verschärft zutage gefördert. Tatsächlich sind die Entwürfe
zu einem BGE schon über 20 Jahre alt und die ersten Überlegungen dazu
reichen in die Anfänge der Sozialen Marktwirtschaft vor 80 Jahre
zurück, als die durchschnittliche Produktivität dies noch nicht in der
heutigen Form erlaubte.

Um nun auf Ihre Frage zu kommen: Ich glaube, dass diese Diskussion nur
deswegen geführt wird, weil die obigen Überlegungen nie zu Ende gedacht
werden. 
Die Einführung eines BGE erfordert auf alle Fälle, dass man diese
Gedanken zu Ende denkt und wenn genügend Leute dies getan haben, wird
auch eine Mehrheit im Lande zu der Überzeugung kommen, dass das BGE
erstens eine massive bürokratische Vereinfachung und zweitens eine
Verbesserung der Lebensqualität für die gesamte Gesellschaft bedeutet.
Das BGE zu verstehen, bedeutet auch zu verstehen, dass es tatsächlich
nominal höher sein muss, als alles, was wir derzeit unter Sozialhilfe,
BAFöG oder ALG-2 betreiben.

Die neoliberalen Propagandisten sagen ja ständig, dass sie den
Sozialstaat auf den Prüfstand stellen wollen. Ich denke, dass wir das
wirklich tun sollten und dann sollen diese Typen mal erklären, ob sie
angesichts immer größerer, immer häufiger auch vererbter Vermögen in der
Hand weniger, einen Rückfall in Zeiten der Weimarer Republik mit der
Verarmung immer größerer Teile der Bevölkerung, gepaart mit Anstieg von
Selbstmordraten, Wirtschafts- und Gewaltkriminalität wollen.

Man kann hier von nordischen Staaten ebenso wie von kleinen, autonomen 
Volksgruppen sehr viel lernen. Obwohl z.B. die klimatischen
Rahmenbedingungen in Ländern wie Schweden oder Finnland viel
schwieriger sind als z.B. in Spanien oder Ägypten, ist im Norden der
Lebensstandard bereits seit vielen Jahrzehnten sehr viel höher, was
sich nicht zuletzt in niedrigen Auswanderungsraten äußert. Ein hoher
Lebensstandard und eine ausgereifte Sozialstaatspolitik sind wichtige
Standortfaktoren - auch für die hochentwickelte Industrie. Signifikant
für solche Länder ist allerdings auch ein höheres Preis-Niveau und
höhere Steuer- und Abgabensätze, denen natürlich höhere Einkommen
gegenüberstehen müssen. Auch hier wird ja gerne von der
wirtschaftsliberalen Propaganda postuliert, dass man keinesfalls
Sozialversicherungsbeiträge oder Steuersätze über 20% schrauben dürfte.
Warum? Und warum gerade 20%? Die Antwort bleibt dann regelmäßig aus.


> Das bedeutet unter anderem , die gesamte Steuergesetzgebung
> umzustellen in Richtung  auf eine Humanisierung und  Ökologisierung
> der Gesellschaften. Darum kommen wir nicht herum, wenn wir diesen
> Planeten- unsere Lebensgrundlage -  nicht ruinieren wollen.

Das mag schon sein, ist aber in dieser Form reichlich unkonkret und
dürfte hier auch nicht Thema sein.
Was nicht heißt, dass es unwichtig ist. Ganzheitliche Politik zu
machen, ist allerdings in Parteien besser aufgehoben. 
IMHO!


> Abschließend möchte ich hinzufügen: ich bin für ein bGE, wenn es als
> ein Schritt auf dem Weg zum Ziel begriffen und auch so  kommuniziert
> wird. Ein Schritt, dem weitere folgen müssen und sollen. 

Sicher. Wie ich schon schrieb: gesetzliche Arbeitszeitverkürzungen,
gesetzliche Mindestlöhne, Besteuerung von Vermögen und von
Spekulationsgewinnen im Währungssektor, etc. pp. halte ich für ebenso
wichtig - aber das hat halt nichts mit dem BGE zu tun, auch wenn es
interferiert.


Gruß,
 Tobias Crefeld.



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