[Debatte-Grundeinkommen] kleine Schritte

Georg Jaehnig georg at jaehnig.org
Mo Nov 6 00:21:22 CET 2006


Hallo,

Am 05.11.06 schrieb Matthias Dilthey <info at psgd.info>:
> Ich weiß nicht, wie und wo Du lebst. Zumindest in Erlangen kann man mit 800,--
> Euro pro Monat ÜBERleben, aber keinesfalls LEBEN.
>
> Schon das Ticket für den ÖVP kostet so um die 50,-- Euro im Monat. Das
> mindestens braucht Mann/Frau aber, um überhaupt arbeiten zu können.
>
> Rücklagen für Reparatur/Ersatz technischer Geräte, z.B. Kühlschrank, Computer
> zu bilden, ist nicht möglich mit so einem geringen BGE.
>
> Versicherungen? Nicht mal eine private Haftpflicht ist mehr drin. Essen gehen?
> Kneipe? Museum? Freibad? Kino?
>
> In welcher Welt lebst Du?????

Ja, diese Frage möchte ich auch manchmal Menschen stellen, die mit 600
EUR nicht überleben könnten. :-) Ich will aber auch nicht über dich
urteilen, dazu kenne ich Deine konkreten Umstände zuwenig. Ich habe
auch nichts gegen ein höheres Grundeinkommen, ganz im Gegenteil.

In Berlin beispielsweise kannst Du schon für 250 EUR wohnen, auch
anderes ist sicher billiger als in Erlangen. Daher wahrscheinlich auch
mein Eindruck, dass viele Hartz4-Empfänger weniger als 600 EUR
bekommen. Für Berlin stimmt das wahrscheinlich, für Erlangen scheinbar
nicht.

Dennoch fände ich aber falsch, ein Grundeinkommen regional zu
differenzieren (z.B. mittels variablem Wohngeld). Denn die
Lebenshaltungskosten einer Region sind doch nicht zufällig, sondern
ein Spiegel der regionalen Wirtschaftskraft. Wo hohe Mieten sind, sind
meist auch die Löhne höher und Arbeit leichter zu finden als anderswo;
wo niedrige Mieten sind, fehlt es meist auch an gutbezahlter Arbeit.

Ein unterschiedlich hohes Wohngeld benachteiligt nun Leute in armen
Regionen: Sie kriegen wenig Wohngeld und können sich kaum was
dazuverdienen; in reichen Regionen bekommt man aber mehr und kann noch
gut dazuverdienen - was die Unterschiede weiter verstärkt.

Ein einheitliches Grundeinkommen dagegen könnte helfen,
strukturschwache Gegenden neu zu beleben. Menschen ohne
Zuverdienst-Wunsch (z.B. Künstler) würden dort hinziehen, weil sie
billiger wohnen könnten und mehr übrig hätten als woanders. Durch
deren Zuzug würden diese Regionen aber wiederum attraktiver für andere
werden. Gentrifizierung heißt dieser Prozess:
http://de.wikipedia.org/wiki/Gentrifizierung

> > Viele würden auch gar nicht mehr arbeiten, weil ihnen 600 EUR reichen.
>
> Das mag für Gegenden mit extrem geringer Miete gelten und nur dann, wenn man
> sich zu Hause "vergräbt".

Ich bin mir sicher, in Berlin und in ganz Ostdeutschland kann man von
600 EUR relativ gut leben, auch ohne sich zu Hause zu vergraben.

> In Erlangen könnte ich mit 600,-- Euro im Monat nicht einmal ÜBERleben, ich
> wäre GEZWUNGEN für jeden noch so niedrigen Stundenlohn jede noch so ekelhafte
> Arbeit anzunehmen, um nicht obdachlos zu werden oder zu verhungern!

Also der Bafög-Höchstsatz liegt bundesweit bei 585 EUR. Was machen
denn Erlanger Studenten, die den bekommen? Gehen die zusätzlich
arbeiten?

Viele Berliner Studenten bekommen weit weniger als 585 EUR und müssen
dann natürlich arbeiten gehen. Bei 600 EUR Bürgergeld müßten sie das
nicht mehr, deren Arbeitsplätze würden also frei werden.

-- 
amike, Georg

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