[Debatte-Grundeinkommen] kleine Schritte

Matthias Dilthey info at psgd.info
Mo Nov 6 03:09:30 CET 2006


Hallo Georg,

wir nähern uns von 2 verschiedenen Seiten an. Täuscht mich der Eindruck, daß 
Du das BGE als eine Art "Sozialhilfe-Ersatz" siehst?

Die PsgD möchte Auskommen von Erwerbsarbeit entkoppeln. Wir sehen eine der 
Kernaufgaben des Staates darin, den Menschen ein sorgenfreies, gesichertes 
Auskommen in "soziokultureller" Höhe zu ermöglichen.

Die Vergangenheit hat bewiesen, daß in unserer hoch arbeitsteiligen, höchst 
automatisierten Welt ein Auskommen über Erwerbsarbeit nicht mehr für alle 
möglich ist.
Eine Lösung dieses Problems besteht darin, Auskommen von Erwerbsarbeit zu 
entkoppeln; noch vor 20 Jahren wäre diese Vorstellung in´s Reich der Utopie 
zu versetzen gewesen.

Heute jedoch gibt es keinen vernünftigen, nachvollziehbaren Grund, weiterhin 
an der Erwerbsarbeitswelt festzuhalten. Wenn das Auskommen der Menschen 
gesichert wird. Oder kennst Du einen? 
Unsere Regale sind voll, trotz vieler Millionen "Erwerbs-Arbeitsloser". Uns 
mangelt an nichts, mit einer Ausnahme: menschliche Zuwendung oder 
menschlicher Wärme.

Diese Zuwendung und Wärme, davon sind wir überzeugt, können wir mit einem BGE 
in auskommenssichernder Höhe erreichen.
Während die politisch Linke noch immer an überkommenen Vorstellungen einer 
Erwerbs-Arbeitswelt festhält, haben wir schon längst die Brücke zwischen Marx 
und Robotern geschlagen.


Das Interessante dabei ist, daß man sowohl vom "Sozialhilfe-Ansatz" als auch 
vom Entkopplungs-Ansatz der PsgD zum selben Ergebnis kommt:
Das BGE MUSS soziokulturell existenzsichernd sein!
Es mag sein, daß wir die Höhe unterschiedlich einstufen. Aber wenn Du 
behauptest, daß in Berlin ein ordentliches Leben mit 600,-- Euro pro Monat 
problemlos möglich ist, so muß ich das glauben. Ich wohne auch nicht in 
Berlin.

Jedoch ist Berlin nicht der "Nabel der Welt" (mir graut es jedesmal, wenn ich 
nach Berlin fahren muß; Elend, Dreck und architektonische Arroganz liegen in 
keiner anderen Stadt in Deutschland so eng nebeneinander).

Aber auch Du räumst ein, daß ein über Berliner Verhältnisse hinausgehendes BGE 
wünschenswert wäre.

Auch Du kommst zu dem Ansatz, daß ein regional differierendes BGE der Sache 
nicht förderlich wäre, sogar mit der gleichen Begründung, wie die PsgD.


Bezüglich Deiner Frage der Arbeit Erlanger Studenten: die Mehrzahl dürfte 
arbeiten gehen mit dem Ergebnis, daß in der Erlanger Gastronomie (ca. 600 
Kneipen und Gaststätten bei 100.000 Einwohner) keine gelernte Bedienung wegen 
des Lohndumpings der Studenten in ihrem Job vernünftig überleben kann.


Matthias Dilthey

Am Montag, 6. November 2006 00:21 schrieb Georg Jaehnig:
> Hallo,
>
> Am 05.11.06 schrieb Matthias Dilthey <info at psgd.info>:
> > Ich weiß nicht, wie und wo Du lebst. Zumindest in Erlangen kann man mit
> > 800,-- Euro pro Monat ÜBERleben, aber keinesfalls LEBEN.
> >
> > Schon das Ticket für den ÖVP kostet so um die 50,-- Euro im Monat. Das
> > mindestens braucht Mann/Frau aber, um überhaupt arbeiten zu können.
> >
> > Rücklagen für Reparatur/Ersatz technischer Geräte, z.B. Kühlschrank,
> > Computer zu bilden, ist nicht möglich mit so einem geringen BGE.
> >
> > Versicherungen? Nicht mal eine private Haftpflicht ist mehr drin. Essen
> > gehen? Kneipe? Museum? Freibad? Kino?
> >
> > In welcher Welt lebst Du?????
>
> Ja, diese Frage möchte ich auch manchmal Menschen stellen, die mit 600
> EUR nicht überleben könnten. :-) Ich will aber auch nicht über dich
> urteilen, dazu kenne ich Deine konkreten Umstände zuwenig. Ich habe
> auch nichts gegen ein höheres Grundeinkommen, ganz im Gegenteil.
>
> In Berlin beispielsweise kannst Du schon für 250 EUR wohnen, auch
> anderes ist sicher billiger als in Erlangen. Daher wahrscheinlich auch
> mein Eindruck, dass viele Hartz4-Empfänger weniger als 600 EUR
> bekommen. Für Berlin stimmt das wahrscheinlich, für Erlangen scheinbar
> nicht.
>
> Dennoch fände ich aber falsch, ein Grundeinkommen regional zu
> differenzieren (z.B. mittels variablem Wohngeld). Denn die
> Lebenshaltungskosten einer Region sind doch nicht zufällig, sondern
> ein Spiegel der regionalen Wirtschaftskraft. Wo hohe Mieten sind, sind
> meist auch die Löhne höher und Arbeit leichter zu finden als anderswo;
> wo niedrige Mieten sind, fehlt es meist auch an gutbezahlter Arbeit.
>
> Ein unterschiedlich hohes Wohngeld benachteiligt nun Leute in armen
> Regionen: Sie kriegen wenig Wohngeld und können sich kaum was
> dazuverdienen; in reichen Regionen bekommt man aber mehr und kann noch
> gut dazuverdienen - was die Unterschiede weiter verstärkt.
>
> Ein einheitliches Grundeinkommen dagegen könnte helfen,
> strukturschwache Gegenden neu zu beleben. Menschen ohne
> Zuverdienst-Wunsch (z.B. Künstler) würden dort hinziehen, weil sie
> billiger wohnen könnten und mehr übrig hätten als woanders. Durch
> deren Zuzug würden diese Regionen aber wiederum attraktiver für andere
> werden. Gentrifizierung heißt dieser Prozess:
> http://de.wikipedia.org/wiki/Gentrifizierung
>
> > > Viele würden auch gar nicht mehr arbeiten, weil ihnen 600 EUR reichen.
> >
> > Das mag für Gegenden mit extrem geringer Miete gelten und nur dann, wenn
> > man sich zu Hause "vergräbt".
>
> Ich bin mir sicher, in Berlin und in ganz Ostdeutschland kann man von
> 600 EUR relativ gut leben, auch ohne sich zu Hause zu vergraben.
>
> > In Erlangen könnte ich mit 600,-- Euro im Monat nicht einmal ÜBERleben,
> > ich wäre GEZWUNGEN für jeden noch so niedrigen Stundenlohn jede noch so
> > ekelhafte Arbeit anzunehmen, um nicht obdachlos zu werden oder zu
> > verhungern!
>
> Also der Bafög-Höchstsatz liegt bundesweit bei 585 EUR. Was machen
> denn Erlanger Studenten, die den bekommen? Gehen die zusätzlich
> arbeiten?
>
> Viele Berliner Studenten bekommen weit weniger als 585 EUR und müssen
> dann natürlich arbeiten gehen. Bei 600 EUR Bürgergeld müßten sie das
> nicht mehr, deren Arbeitsplätze würden also frei werden.



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