[Debatte-Grundeinkommen] Replik auf Rüdiger Heerscher wg. Nachrichtensammlung, Band 20, Eintrag 2

Rüdiger Heescher ruediger.heescher at attac.de
So Nov 5 11:51:10 CET 2006


Lieber Florian

welche Authorität hat Dir denn dieses Märchen von linken Ideologen erzählt?

Mein Herz schlägt links! Das ist klar. Was aber ist eine linke 
Ideologie? Wir verstehen uns als emanzipatorische Linke, welche einen 
grossen libertären Ansatz hat, welches mit Anarchismus und nicht mit 
"real existierendem Sozialismus" zu verstehen ist. Das erkennt man auch 
schon aus den Strukturen innerhalb von attac.

Vielleicht weniger den Medien glauben und weniger Fernsehn schauen. Das 
hilft um eine eigene Meinung zu bilden ;-)

Jetzt zum Thema Juristerei selbst.

Das was Du glaubst, wie juristerei funktioniert, ist Formaljuristerei. 
Das glauben Juristen noch, wenn sie von der Uni kommen.

Aber auch Richter sindnur Menschen und entsprechend wird man enttäuscht 
werden, wenn man sich an Formaljuristerei hält, weswegen nach 5 Jahren 
der Praxis sich dann auch schonein anderes Verständnis entwickelt.


Wir haben zur Zeit gerade in den Rehctswissenschaften sowieso eine ganz 
üble Entwicklung hin zu einem Verständnis des Utilitarismus welches dem 
angelsächsischen Rechtssystem gleicht. "Dank" Cypris bekommen wir immer 
mehr ein Rechtsverständnis welches mehr auf John Stuart Mill als auf den 
alten Kant basiert. unsere alten Juristen, knochenkonservativ aber aus 
der Kantianischen Schule sterben dann langsam aus und unser Rechtssystem 
  wird stück für stück in ein angelsächsisches System umgewandelt.

Juristen agieren nur in ihrem System und können nur innerhalb dieser 
Systemprämissen argumentieren. Was wir hier aber machen ist eine aufgabe 
die sich in der Rechtsphilosophie der Rechtswissenschaften bewegt, 
welches der Legislative gereicht wird zur umsetzung. Da muss man 
schonanders argumentieren als in der "Formaljuristerei" Das ist halt 
auch Politik für ein gesellschaftssystem, welches erst mit Bewusstsein 
in der Gesellschaft gefüllt werden muss.

Dazu sind für alle politischen Ausrichtungen alle Authoritäten Recht, 
die dieses Bewusstsein stützen können in der Argumentation.

Überlege mal auf was sich Rechtswissenschaftler berufen, wenn sie sich 
auf das Alte Rechtsstaatsprinzip berufen? Es ist Kant!

Die neuen Juppies in den Rechtswissenschaften berufen sich in ihrer 
Auffassung um ein angelsächsisches Rechtsverständnis zu vermitteln und 
damit auch denRechtsstaat umzumodeln, auf den Utilitarismus.

Und genauso muss man es sich vorstellen, was wir hier machen.

Meine Auffassung ist es in allen gesellschaftlichen kreisen, genauso wie 
poltischen Spektren ein Bewusstsein mit ihren entsprechenden 
"Authoritäten" zu schaffen. Und das ist nunmal in gewerkschaftlichen 
Kreisen im Ursprung Karl Marx. Als Argumentationshilfe ist es nützlich. 
Denken muss deshalb schonjeder Mensch für sich selbst. Aber welchen 
Einflüssenunterliegt jeder?

Du dem Fernsehn und Gewerkschafter Karl Marx ;-)

Ein bisschen Platt ;-) ich gebe es zu.

Aber die Meinungsbildung entsteht nicht aus sich selbst heraus alleine, 
sondern unterliegt den Grundlegenden Glaubenssätzen, die jeder Mensch 
hat und entsprechenden Einflüssen von aussen. Und da sind ganz bestimmt 
Authoriäten auch solche.

Denn eine Frage zum Abschluss:

Wie konnte sich die Aufklärung in unserer westlichen Welt überhaupt 
durchsetzen? Wohl kaum dadurch, dass sich jeder Mensch für sich selbst 
Gedanken gemacht hat und erkannt hat, dass es doch so im Sinne der 
Aufklärung besser wäre. Es musste sogar eine französische Revolution 
kommen und der deutsche Idealismus hat es formal bei uns festgeklopft. 
Kant war für uns sozusagen in unserem Rechtsstaatsverständnis die 
Authorität.

Und dann meinst du, dass wir juristisch argmentieren sollen?

Wir machen hier Politik! Das ist was anderes.

gruss

Rüdiger

Florian Hoffmann wrote:
> Lieber Rüdiger,
> 
> betreffend Deine Verwunderung, weshalb die Sozis (also die Marx-Kinder!) so
> große Probleme mit dem bGE, einem Solidarischen Bürgergeld, haben, habe ich
> eine einfache Erklärung:
> 
> Marx' Thema heißt Gerechtigkeit. Um die herzustellen, hat er die gerechte
> Verteilung der produzierten Güter gefordert und mit der Umsetzung die
> Planwirtschaft beauftragt. Die Aufgabe des Geldes in der Wirtschaft, die
> Steuerung der Güterverteilung dorthin, wo das Geld ist, hat Marx nicht
> gesehen, hat er übersehen. Er hat Geld fehlinterpretiert, quasi als
> Goldersatz gesehen, dessen Bedeutung nur im Goldnymbus liegt. Wie
> verhängnisvoll! Daran sind in praktizierten Planwirtschaften Millionen von
> Menschen zugrunde gegangen, weil sie nichts mehr zu fressen kriegten, weil
> die "unsichtbare Hand", das Geld, fehlte!
> 
> Fazit: Gerechtigkeit geht nur mit Geld! Die gerechte Geldverteilung muß
> stimmen, dann hungert niemand mehr, denn dann stimmt die gerechte
> Güterverteilung, denn die Güter gehen dahin, wo sich das Geld befindet
> (wohin es vorher verteilt wurde). Deshalb stimmt die Idee vom bGE, vom
> Solidarischen Bürgergeld!
> 
> Der Sozi, jedoch, hängt nach wie vor Marx an den Lippen und denkt und
> arbeitet in den Kategorien der direkten gerechten Güterverteilung, per
> gerechter Zuteilung per Gesetz in allen Bereichen. Eine gerechte
> Geldverteilung würde die vielen Hunderttausend hochbezahlten sozial
> denkenden Experten des Sozialrechts und Arbeitsrechts arbeitslos machen. Die
> etablierten Marx'schen Denkschamata wirken bis heute nach, obwohl die
> Planwirtschaft allgemein als gescheitert angesehen wird.
> 
> Deshalb:
> 
> 1. meine Sprache ist Deutsch, nicht Marx und nicht Friedmann.
> 
> 2. ich beziehe meine Argumente aus eigenem Nachdenken, basierend auf
> Gelerntem, Diskutiertem, Gelesenem und Erfahrenem.
> 
> 3. wenn ich jemanden zitiere, dann ist der Gedanke gemeint und nicht die
> Person.
> 
> 4. unter Juristen gilt ein Grundsatz, den man hier auch anwenden sollte:
> Authoritäten sind keine Argumente.
> 
> Und: Nur wenn wir uns auf diesen Grundsatz verständigen, haben wir überhaupt
> eine Chance, ernst genommen zu werden und nicht in irgend eine ideologische
> Ecke geschoben zu werden. Glauben kann jeder was er will. Aber über den
> Glauben sollten wir uns hier nicht austauschen.
> 
> (Übrigens: Attac wird von vielen nicht akzeptiert, weil sie sich total von
> linken Ideologen haben vereinnahmen lassen, obwohl ihre Zielsetzung richtig
> ist!)
> 
> Schöne Grüße
> Florian
> 
> 
> 
>>-----Ursprüngliche Nachricht-----
>>Von: Rüdiger Heescher [mailto:ruediger.heescher at attac.de]
>>Gesendet: Samstag, 4. November 2006 11:36
>>An: Florian Hoffmann
>>Cc: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
>>Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen
>>Nachrichtensammlung, Band 20, Eintrag 2
>>
>>
>>Lieber Florian
>>
>>es geht mir um Argumentationshilfen in unseren eigenen Reihen. Wenn
>>jemand aus der Ecke Sozialismus kommt und Marx verinnerlicht hat, dann
>>hilft es auch sich auf Marx berufen zu können, genauso wie die
>>Neoliberalen meinetwegen sich auf Milton Friedman oder aus liberaler
>>Ecke auf Ralf Dahrendorf oder aus Grüner Ecke auf Beck berufen.
>>
>>Die Antros berufen sich auf Götz Werner.
>>
>>Insofern spielt es für mich keine Rolle. Es zählt erstmal nur die Idee
>>des Existenzgeldes/Bürgergeldes/bedingungsloses Grundeinkommen zu
>>verbreitern auch in die eigenen Reihen. Gerade auf Gewerkschaftsseite
>>z.B. ist das im Linken Spektrum sehr schwierig.
>>
>>Daher ist es auch angebracht mit denen in einer sprache zu sprechen, die
>>sie verstehen und das ist im Ursprung der Arbeiterbewegung nun mal Marx!
>>
>>Ich sehe nämlich die grössten Schwierigkeiten der Vermittlung für ein
>>bGE nur bei den Sozis und Gewerkschaftern.
>>
>>In allen Parteien bis auf SPD wird das Thema Grundeinkommen besprochen
>>und ernsthaft diskutiert. Ist das nicht erstaunlich?
>>
>>Die Zeit ist reif dafür und wird auch so in anderen Ländern
>>wahrgenommen, dass wir in Deutschland sozusagen die Lanze für das bGE in
>>Europa brechen. Die Schweizer z.B. warten darauf, dass unsere
>>öffentliche Diskussion über das bGE auch bei ihnen rüberschwappt. Dafür
>>wäre es aber gut, wenn bei den Sozen auch das bGE diskutiert würde.
>>
>>gruss
>>
>>Rüdiger
>>
>>Florian Hoffmann wrote:
>>
>>>Lieber Rüdiger,
>>>
>>>Deine eigenen Worte sind viel besser als die von Marx. Du
>>
>>beschreibst die
>>
>>>Realität so, wie ich sie gar nicht in Abrede stellen möchte,
>>
>>außer dass sie
>>
>>>nicht überall so ist. Auch dafür gäbe es Beispiele. Ich habe doch nur
>>>gesagt, dass die alten Marx'schen Interpretationen nicht mehr
>>
>>taugen für die
>>
>>>Welt, mit der wir es zu tun haben.
>>>
>>>Marx hat sich nicht mit dem selbständigen Metzgermeister
>>
>>auseinandergesetzt,
>>
>>>und nicht mit dem Häuslebauer und nicht mit dem öffentlichen
>>
>>Schwimmbad. Du
>>
>>>sprichst gravierende Probleme von heute an, die gelöst werden
>>
>>sollen und für
>>
>>>deren Lösung ein solidarischer Beitrag für alle Bürger eines Landes, ein
>>>Solidarisches Bürgergeld (Althaus' Begriff für BGE),
>>
>>wahrscheinlich einen
>>
>>>sehr wertvollen Beitrag leisten könnte. Deshalb bin ich für ein
>>>Solidarisches Bürgergeld!
>>>
>>>Und was die 80-er Jahre angeht, so heißt meine Antwort darauf:
>>
>>WTO (früher:
>>
>>>GATT), Globalisierung und Liberalisierungswahn haben uns diese Suppe
>>>eingebrockt, dass jeder mit jedem in Wettbewerb tritt und
>>
>>weltweit nur der
>>
>>>überlebt, der alles zu billigsten Preisen ausbeutet oder anbietet (Die
>>>Ökonomen argumentieren: "Die Vorteile der internationalen
>>
>>Arbeitsteilung").
>>
>>>Den Höhepunkt des Billigwahns haben wir doch erlebt (Geiz ist
>>
>>geil?). Der
>>
>>>Wahn scheint vorbei zu sein, aber die Tendenz ist ungebrochen. Unsere
>>>Niedriglöhne werden auf das Niveau des kasachischen Landarbeiters
>>>heruntergeprügelt - und die übrigen Einkommen folgen
>>
>>tendenziell. Deshalb
>>
>>>können die Leute ihr Häuschen nicht mehr halten, deshalb braucht euer
>>>Metzger einen zweiten Job, deshalb werden die Bäder geschlossen!
>>>
>>>Das haben wir den ökonomischen Schlaumeiern von heute zu
>>
>>verdanken. Aber bei
>>
>>>Marx steht davon nichts!
>>>
>>>Schönes Wochenende!
>>>
>>>Florian
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Rüdiger Heescher
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Tel: +49-(0)4122-989087
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