[Debatte-Grundeinkommen] Replik auf Rüdiger Heerscher wg. Nachrichtensammlung, Band 20, Eintrag 2

Florian Hoffmann florian at hoffmannlaw.de
So Nov 5 08:32:20 CET 2006


Lieber Rüdiger,

betreffend Deine Verwunderung, weshalb die Sozis (also die Marx-Kinder!) so
große Probleme mit dem bGE, einem Solidarischen Bürgergeld, haben, habe ich
eine einfache Erklärung:

Marx' Thema heißt Gerechtigkeit. Um die herzustellen, hat er die gerechte
Verteilung der produzierten Güter gefordert und mit der Umsetzung die
Planwirtschaft beauftragt. Die Aufgabe des Geldes in der Wirtschaft, die
Steuerung der Güterverteilung dorthin, wo das Geld ist, hat Marx nicht
gesehen, hat er übersehen. Er hat Geld fehlinterpretiert, quasi als
Goldersatz gesehen, dessen Bedeutung nur im Goldnymbus liegt. Wie
verhängnisvoll! Daran sind in praktizierten Planwirtschaften Millionen von
Menschen zugrunde gegangen, weil sie nichts mehr zu fressen kriegten, weil
die "unsichtbare Hand", das Geld, fehlte!

Fazit: Gerechtigkeit geht nur mit Geld! Die gerechte Geldverteilung muß
stimmen, dann hungert niemand mehr, denn dann stimmt die gerechte
Güterverteilung, denn die Güter gehen dahin, wo sich das Geld befindet
(wohin es vorher verteilt wurde). Deshalb stimmt die Idee vom bGE, vom
Solidarischen Bürgergeld!

Der Sozi, jedoch, hängt nach wie vor Marx an den Lippen und denkt und
arbeitet in den Kategorien der direkten gerechten Güterverteilung, per
gerechter Zuteilung per Gesetz in allen Bereichen. Eine gerechte
Geldverteilung würde die vielen Hunderttausend hochbezahlten sozial
denkenden Experten des Sozialrechts und Arbeitsrechts arbeitslos machen. Die
etablierten Marx'schen Denkschamata wirken bis heute nach, obwohl die
Planwirtschaft allgemein als gescheitert angesehen wird.

Deshalb:

1. meine Sprache ist Deutsch, nicht Marx und nicht Friedmann.

2. ich beziehe meine Argumente aus eigenem Nachdenken, basierend auf
Gelerntem, Diskutiertem, Gelesenem und Erfahrenem.

3. wenn ich jemanden zitiere, dann ist der Gedanke gemeint und nicht die
Person.

4. unter Juristen gilt ein Grundsatz, den man hier auch anwenden sollte:
Authoritäten sind keine Argumente.

Und: Nur wenn wir uns auf diesen Grundsatz verständigen, haben wir überhaupt
eine Chance, ernst genommen zu werden und nicht in irgend eine ideologische
Ecke geschoben zu werden. Glauben kann jeder was er will. Aber über den
Glauben sollten wir uns hier nicht austauschen.

(Übrigens: Attac wird von vielen nicht akzeptiert, weil sie sich total von
linken Ideologen haben vereinnahmen lassen, obwohl ihre Zielsetzung richtig
ist!)

Schöne Grüße
Florian


> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: Rüdiger Heescher [mailto:ruediger.heescher at attac.de]
> Gesendet: Samstag, 4. November 2006 11:36
> An: Florian Hoffmann
> Cc: debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
> Betreff: Re: [Debatte-Grundeinkommen] Debatte-grundeinkommen
> Nachrichtensammlung, Band 20, Eintrag 2
>
>
> Lieber Florian
>
> es geht mir um Argumentationshilfen in unseren eigenen Reihen. Wenn
> jemand aus der Ecke Sozialismus kommt und Marx verinnerlicht hat, dann
> hilft es auch sich auf Marx berufen zu können, genauso wie die
> Neoliberalen meinetwegen sich auf Milton Friedman oder aus liberaler
> Ecke auf Ralf Dahrendorf oder aus Grüner Ecke auf Beck berufen.
>
> Die Antros berufen sich auf Götz Werner.
>
> Insofern spielt es für mich keine Rolle. Es zählt erstmal nur die Idee
> des Existenzgeldes/Bürgergeldes/bedingungsloses Grundeinkommen zu
> verbreitern auch in die eigenen Reihen. Gerade auf Gewerkschaftsseite
> z.B. ist das im Linken Spektrum sehr schwierig.
>
> Daher ist es auch angebracht mit denen in einer sprache zu sprechen, die
> sie verstehen und das ist im Ursprung der Arbeiterbewegung nun mal Marx!
>
> Ich sehe nämlich die grössten Schwierigkeiten der Vermittlung für ein
> bGE nur bei den Sozis und Gewerkschaftern.
>
> In allen Parteien bis auf SPD wird das Thema Grundeinkommen besprochen
> und ernsthaft diskutiert. Ist das nicht erstaunlich?
>
> Die Zeit ist reif dafür und wird auch so in anderen Ländern
> wahrgenommen, dass wir in Deutschland sozusagen die Lanze für das bGE in
> Europa brechen. Die Schweizer z.B. warten darauf, dass unsere
> öffentliche Diskussion über das bGE auch bei ihnen rüberschwappt. Dafür
> wäre es aber gut, wenn bei den Sozen auch das bGE diskutiert würde.
>
> gruss
>
> Rüdiger
>
> Florian Hoffmann wrote:
> > Lieber Rüdiger,
> >
> > Deine eigenen Worte sind viel besser als die von Marx. Du
> beschreibst die
> > Realität so, wie ich sie gar nicht in Abrede stellen möchte,
> außer dass sie
> > nicht überall so ist. Auch dafür gäbe es Beispiele. Ich habe doch nur
> > gesagt, dass die alten Marx'schen Interpretationen nicht mehr
> taugen für die
> > Welt, mit der wir es zu tun haben.
> >
> > Marx hat sich nicht mit dem selbständigen Metzgermeister
> auseinandergesetzt,
> > und nicht mit dem Häuslebauer und nicht mit dem öffentlichen
> Schwimmbad. Du
> > sprichst gravierende Probleme von heute an, die gelöst werden
> sollen und für
> > deren Lösung ein solidarischer Beitrag für alle Bürger eines Landes, ein
> > Solidarisches Bürgergeld (Althaus' Begriff für BGE),
> wahrscheinlich einen
> > sehr wertvollen Beitrag leisten könnte. Deshalb bin ich für ein
> > Solidarisches Bürgergeld!
> >
> > Und was die 80-er Jahre angeht, so heißt meine Antwort darauf:
> WTO (früher:
> > GATT), Globalisierung und Liberalisierungswahn haben uns diese Suppe
> > eingebrockt, dass jeder mit jedem in Wettbewerb tritt und
> weltweit nur der
> > überlebt, der alles zu billigsten Preisen ausbeutet oder anbietet (Die
> > Ökonomen argumentieren: "Die Vorteile der internationalen
> Arbeitsteilung").
> > Den Höhepunkt des Billigwahns haben wir doch erlebt (Geiz ist
> geil?). Der
> > Wahn scheint vorbei zu sein, aber die Tendenz ist ungebrochen. Unsere
> > Niedriglöhne werden auf das Niveau des kasachischen Landarbeiters
> > heruntergeprügelt - und die übrigen Einkommen folgen
> tendenziell. Deshalb
> > können die Leute ihr Häuschen nicht mehr halten, deshalb braucht euer
> > Metzger einen zweiten Job, deshalb werden die Bäder geschlossen!
> >
> > Das haben wir den ökonomischen Schlaumeiern von heute zu
> verdanken. Aber bei
> > Marx steht davon nichts!
> >
> > Schönes Wochenende!
> >
> > Florian
> >

>





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