[Debatte-Grundeinkommen] [Debatte.bag.sozialpolitik] AW: [Debatte.bag.wirtschaft] Diskussionsentwurf"Grüne Grundsicherung"

j.behncke j.behncke at bln.de
Di Jun 20 14:40:46 CEST 2006


Lieber Michael, liebe Liste!

schön, lieber Michael, daß Dich der Vorschlag von Manuel und Thomas dazu
angeregt hat, Dich mal wieder in dieser Debatte zu melden.

Deiner These "Steuerpolitik = Polizeifunktion des Staates" muß ich
allerdings vehement widersprechen. Sie entspricht wohl Deinem Eindruck, daß
Steuern in der Regel in Zusammenhang mit Ausgaben für Kriege erhoben wurden:
Die Akzise ( eine Art Vorform der Mehrwertsteuer ) vom Kurfürsten von
Brandenburg, dem "Großen", zur Auffüllung der durch den 30jährigen Krieg
erschöpften Staatskasse, die Sektsteuer von Kaiser Wilhelm II zur
Finanzierung der Deutschen Flotte und und und...

Aber: Es gibt ( neben dem US/angelsächsischen Wohlfahrtssystem ) nur zwei
Systeme, Solidarausgleich in der Gesellschaft zu schaffen: Das der Umlage
und das der Steuern. Die Umlage ist genial in Zeiten der Vollbeschäftigung
( Adenauer, 1957). In Zeiten mangelnder Vollbeschäftigung müssen auch
Sozialleistungen über Steuern finanziert werden, und zwar das gesamte
Spektrum: Von der Krankenversicherung über die Arbeitslosigkeit ( auch eine
Art "Krankheit" ) bis zur Rente. Das ist neu in der Diskussion und daran
entwickeln sich die kontroversen Debatten.

Was die Rente anbetrifft: Durch eine Grundsicherung von der Wiege bis zur
Bahre ist sie abgedeckt. Dies entspricht grob gesehen dem Schweizer AHV
Modell ( Alters- und Hinterbliebenen Versorgung, so eine Art Rolls-Royce der
Rentenversicherung ) die im Prinzip durch Aufhebung der
Beitragsbemessungsgrenze "steuerfinanziert" ist ( auch wenn sich die Steuer
hier Umlage nennt ).

Was die Arbeitslosenversicherung anbetrifft: Sie ist ebenfalls durch einen
Grundsicherungssockelbetrag abgedeckt. Wer einen höheren Lebensstandard auch
in Zeiten von Arbeitslosigkeit aufrecht erhalten möchte, muß sich dagegen
separat versichern.

Was die Krankenversicherung anbetrifft: Das ist eine extra Baustelle. Man
sollte die Grundsicherung unabhängig von der Krankenversicherung
diskutieren, auch wenn sie über Leistungen zur Krankenversicherung
miteinander verzahnt sind. Was immer bestehende Modelle in der
Krankenversicherung vorsehen: 50,- € für Studenten, 0,- € für Kinder, 125,-
€ für ALG II Empfänger, 170 - 180,- € "Kopfpauschale" und und und , dieser
Betrag sollte in die Grundsicherung "eingestellt" werden: Letzendlich hängt
der Betrag von der Effizienz unseres Gesundheitswesens ab, und das hat nur
sehr mittelbar etwas mit der Grundsicherung zu tun ( Das macht natürlich -
solange das KV Problem nicht gelöst ist - konkrete Finanzierungsrechnungen
für die Grundsicherung schwierig, eigentlich unmöglich, und das war wohl
auch der Grund, daß sich Thomas und Manuel an dieser Stelle etwas mehr "aus
dem Fenster" gelehnt haben ).

Jetzt kommen wir zu den Kindern: Auch Kinder müssen durch einen
Grundsicherungsbetrag abgesichert sein. Da man diesen Betrag aber einem 3
Jährigen schlicht nicht auszahlen kann, und da man sich auch nicht sicher
sein kann, ob in unseren "patch work" families die "Erziehungsberechtigten"
sorgfältig und im Sinne der Kinder mit diesem Geld umgehen, solllte man hier
einen kleineren Sockelbetrag wählen ( wie etwa unser jetziges Kindergeld )
und Kinder hauptsächlich durch Bereitstellung einer exzellenten
Infrastruktur fördern: Kindertagesstätten, Ganztagsschulen, Universitäten
ohne Studiengebühren und und und. Das ist wohl auch Teil des
"Skandinavischen" Modells.

Habe ich jetzt noch einen Lebensabschnitt oder ein Lebensrisiko vergessen?

Die Antwort, an die wir uns seit 1990 schon gewöhnt haben, ist der Soli:
zunächst zur Finanzierung des Golfkrieges, dann für den verunglückten
"Aufbau Ost" ( soweit ich weiß bis 2019 ) und in der Zukunft: Der
Grundsicherungssoli, der Krankenversicherungssoli, der Kindersoli und so
weiter.

Nach meinem Verständnis formulieren die Berechnungen von Professor Pelzer
des Ulmer Kreises schon einen Grundeinkommenssoli.

Der Soli ist wegen seines schönen Namens gut eingeführt und akzepiert. Warum
nicht unsere Umlagefinanzierten Sozialen Sicherungssystem durch einen Soli
auf Steuerfinanzierte Soziale Sicherungssystem überführen? Für das dazu im
Vergleich wesentlich kleinere Problem der Integration von 17 Mio. DDR
Bürgern haben wir uns schon daran gewöhnt, im Gegenteil verschleudern wir
zur Zeit dieses Geld durch eine falsche Politik.

Grüße

Joachim Behncke
AK Grundsicherung/Grundeinkommen Berlin


----- Original Message -----
From: "Michael Opielka" <michael.opielka at isoe.org>
To: "'Manuel Emmler'" <emmler at amapo.de>
Cc: <debatte.bag.wirtschaft at gruene.de>;
<debatte.bag.sozialpolitik at gruene.de>;
<debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Monday, June 19, 2006 8:55 PM
Subject: [Debatte.bag.sozialpolitik] AW: [Debatte.bag.wirtschaft]
Diskussionsentwurf"Grüne Grundsicherung"


>
> Lieber Manuel, liebe Freunde,
>
> euer Vorschlag ist interessant und gegenüber dem Vorentwurf eleganter, der
> mit einem Einkommenssteuersatz von 50% plus (!) Arbeitgebersteuer von 22%
> plus erhöhte Verbrauchssteuern einen überskandinavischen Eingriff
> beinhaltete - und daher wenig realistisch schien.
>
> Interessant ist auch das darin enthaltene Teil-Grundeinkommen (partial
basic
> income), das ihr als bedingungslosen "Sockel" bezeichnet.
>
> Grundproblem eures Ansatzes ist aus meiner Sicht, dass ihr sowohl
> Geldtransfers wie Sachtransfers (Krankenversicherung) aus Steuermitteln
> aufbringen wollt, was angesichts einer Steuerquote von ca. 18-19% im
> obersten Quintil der Einkommenssteuerzahler (Stand 2004, Angaben BMF) zu
> einem Aufschrei und zu "von oben" gesteuerten Steuerprotesten führen
würde.
> Wir sind hier nicht in Skandinavien - und auch dort gab es
> Steuerprotestparteien.
>
> Theoretisch steht hinter diesem "Grundproblem", dass ihr die Sozialpolitik
> unter die allgemeine Steuerpolitik, also die - historisch betrachtet -
> Polizeifunktion des Staates subsumiert. Das ist (wenig reflektierter)
> Mainstream der Ökonomie, aber politisch-historisch fragwürdig.
>
> Wenn dieses Prinzip in der Krankenversicherung durchschlagen würde, dann
> droht bei den anstehenden "Rationierungen" im Gesundheitswesen, dass die
> Verteilungskampflogik die Solidarlogik überlagert.
>
> Mir erscheint es in der deutschen und kontinentaleuropäischen Tradition
> ratsamer, die Idee der Grundsicherung in einer
"Grundeinkommensversicherung"
> zu realisieren (dazu u.a. mein Buch "Sozialpolitik", rowohlt enzyklopädie,
> 2004) und die Krankenversicherung - daran anschließend - nach
> österreichischem Vorbild als Bürgerversicherung zu gestalten.
>
> Das wäre eine Synthese von Sozialversicherung und Steuer, mit
> "Sozialsteuern" als Abgaben, eigenständigen, vom Bundeshaushalt
> abgekoppelten Körperschaften (wie bisher) und dem "Gefühl", dass wer mehr
> einzahlt auch mehr bekommt - aber keine "Beitragsäquivalenz" wie bisher
mit
> Eigentumsfiktion, sondern eine Teilhabeäquivalenz wie in der Schweizer
> Rentenversicherung: die höchste Leistung ist das Doppelte des
> Grundeinkommens.
>
> Schöne Grüße
> Michael Opielka
>
> __________________________________________
>
> prof. dr. michael opielka
> fachhochschule jena - fachbereich sozialwesen
> http://www.sw.fh-jena.de/people/michael.opielka/download
>
>
> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: debatte.bag.wirtschaft-bounces at gruene.de
> [mailto:debatte.bag.wirtschaft-bounces at gruene.de] Im Auftrag von Manuel
> Emmler
> Gesendet: Mittwoch, 7. Juni 2006 18:22
> An: Verborgene_Empfaenger:
> Betreff: [Debatte.bag.wirtschaft] Diskussionsentwurf"Grüne Grundsicherung"
>
> Liebe Befürworter/innen einer Grundsicherung,
> Liebe Gegner/innen,
>
> der unten stehende Link führt zu einer aktualisierten Version eines
> Diskussionsentwurfs zur Grünen Grundsicherung. Wenn ihr wollt, könnt ihr
> euch auf der Seite als Unterstützer/innen eintragen. Siehe:
>
> http://www.grundsicherung.org
>
> Viele Grüße
> Thomas Porski und Manuel Emmler
> --
>
> Manuel Emmler
> Brüsseler Str. 16
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>
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