[Debatte-Grundeinkommen] Straubhaar; Rhein. Merkur Nr. 28 v. 13.7.

Florian Hoffmann florian.hoffmann at intereasy.de
Mo Jul 17 15:36:19 CEST 2006


Sehr verehrter Herr Straubhaar,

ich bin Sachen BGE ein "alter Hase" - hatte schon in 1977 wegen der
negativen Einkommensteuer perönlichen Kontakt mit Wolfram Engels. Ganz in
Kürze erlaube ich mir ein paar Bemerkungen zu Ihrem Artikel:

Ihre Darstellung und Ihre Argumentation sind klarer und überzeugender als
ich es irgendwo anders gelesen habe. Das Konzept, welches auch Sie vertreten
hat zwei kleine Konstruktionsfehler, auf die ich mich hinzuweisen erlaube:

Der erste Konstruktionsfehler ist der, dass Kinder von Geburt an und in
stattlicher Höhe Berücksichtigung finden. Würde man das so einführen,
bekämen wir einen Babyboom orientalischen Ausmaßes, denn das Kinder-BGE
hätte die exorbitante Mehrung des Familieneinkommens zur Folge. Wir in
unserer Welt leiden unter dem Rückgang der Geburtenzahlen, weil jedes Kind
für die Familie eine finanzielle "Strafe" darstellt: Das Einkommen des
Haushaltsvorstandes muß erst durch zwei, dann durch drei, dann durch vier
...., geteilt werden. In Ländern mit Kinderarbeit (und -einkommen) dienen
die Kinder umgekehrt der Mehrung des Familieneinkommens. Jedes Kind mehr
stabilisiert und erhöht die Versorgung.

Ergo: Der Zeitpunkt, ab dem BGE für Kinder gezahlt wird, wird die
Geburtenrate massiv beeinflussen. Ich vermute, dass es richtig wäre keinem
Kind vor dem 14. Lebensjahr BGE zukommen zu lassen. Das würde die
Geburtenrate leicht erhöhen, vielleicht stabilisieren. Nur mit
Erfahrungswerten könnte man die Geburtenrate in ein Gleichgewicht tarieren.
Klingt schrecklich, ist aber die einfach Folge des Verhaltens des Homo
Oeconomicus.

Der zweite Konstruktionsfehler ist die Festlegung einer Höhe des BGE. Auch €
30 monatlich können ein bedingungsloses Grundeinkommen sein und können schon
einen Teil des bürokratischen Sozialfürsorge-Unsinns ersetzen. Und noch
einmal: Mit einer sukzessiven Vorgehensweise und parallelem Abbau des
Unterstützungs-Wusts, d. h. mit Erfahrungswerten, läßt sich ein
verkraftbares BGE aufbauen, das am Ende viel, viel höher sein kann als ein
"Existenzminimum".

Und: Ein Existenzminimum wird sich nie errechnen lassen, weil es im
Thüringer Wald einen anderen Wert ergibt, als in der Hamburger Innenstadt.
Und wenn man über den Tellerrand hinaussieht und voraussetzt, dass das BGE
ja kein Modell für Deutschland, sondern für die Welt sein soll, also auch
für Sibirien und Nigeria, dann sollte man erkennen, dass jede Diskussion
über die Höhe der Zahlung Unsinn ist. Richtig wäre es deshalb für einen
Staat, Einnahmen freizuschaufelt und einfach anteilig an die Berechtigten zu
"überweisen" (wie Sie so schön schreiben), also keinen Anspruch
festzuschreiben, sondern alle in Form einer erwirtschafteten Dividende
teilhaben zu lassen. Das Glück, das daraus folgt werden die Menschen spüren,
egal in welcher Höhe - und sich dann an der mit Kraft eine Erhöhung
unterstützen. Deshalb: Ein dynamischer Prozess der Verteilung auf dem Weg zu
einem Gleichgewicht sollte die Einführung und Durchführung des BGE
darstellen. Keinen errechneten Anspruch.

Letzteres hätte auch zur Folge, dass die Achilles-Ferse des BGE, das Thema
Finanzierbarkeit, verschwinden würde. Ich beobachte seit Monaten die
Diskussion. Sie verheddert sich immer mehr in dieses leidige Thema und ich
fürchte, es wird am Ende allen das Thema BGE verleiden.

Mit bestem Gruß

Florian J. Hoffmann






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