[Debatte-Grundeinkommen] kritische Fragen an das Grundeinkommen

Bernd Kowarsch bernd at abnuto.de
Di Jul 4 14:48:21 CEST 2006


----- Original Message -----
From: "Sancho Dieter Federlein" <sancho-d.federlein at web.de>
To: <debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
Sent: Monday, July 03, 2006 4:43 PM
Subject: [Debatte-Grundeinkommen] kritische Fragen an das Grundeinkommen
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Hallo ihr,

>Bestechend ist ferner der Gedanke, das Paradigma Arbeit als
>Voraussetzung für Überleben und Teilhabe am öffentlichen Reichtum
>("Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen") abzulösen durch das
>Paradigma der bedingungslosen Grundversorgung eines jeden Mitglieds
>der Gemeinschaft, und dies als Sockel für alles Weitere.

Richtigerweise lauten die Worte in 2.Thes.3.10.: "...wer nicht arbeiten
will, soll auch nicht essen". Auch damals war die Arbeit geteilt, dadurch
die Effizienz erhöht und zugleich ein wenig unübersichtlich, wer noch was
leistet. So kam es wohl zu den ersten Rentnern, also welchen, die, obschon
nicht arbeitend, als iO. befunden; man unterstellte, sie täten schon
wollen - und die Stopuhr ist ja neueren Datums.
Also: "wer nicht arbeiten _will_...". Ein System, daß mit drohendem Verlust
des Anspruch auf eXistenzmittel zur Arbeit zwingt, wird sich jedoch
schwertun, festzustellen wogegen sich eigentlich die Arbeitsverweigerung
richtet; ob jemand nicht arbeiten, oder nicht zur Arbeit gezwungen werden
will.

>Die Maschinen machen es möglich, dass ungeheurer Reichtum an Gütern
>erzeugt und die meiste Routinearbeit überflüssig wird.

`ÜberflüssigŽ beschreibt die Perspektive ertragsmaximierungsfixierter
Maschinenbesitzer. Aus Sicht von Arbeitsuchenden ist möglich, daß bei
humaneren Bedingungen ein geringerer Geldlohn als vorteilhaft empfunden wird
gegenüber Bedingungen, wo der Roboter auszuhalten ist, und alle 5 Tage der
zu ihm gehörende Ingenieur. Vllt. sind (dann) doch zwei Leute auf der Lok
billiger, als eins.

>Arbeit soll dabei künftig gesehen werden als freiwilliger und
>freudiger Beitrag zum Gemeinwohl. Es wird vorausgesetzt, dass die
>Menschen gern arbeiten, wenn dies ihren Fähigkeiten und Neigungen
>entspricht.

Was sich selbst erklärt.

>Dass sie in dem ihre eigene Selbstverwirklichung finden, was allzu
>lange und in extremem Maße mit Mühe und Selbstüberwindung, mit
>Routine und Selbstentfremdung, mit Kuschen und Selbstverleugnung
>verbunden war.

Die wachsende Menge, von Fließbändern rollender Fitnessgeräte zeigt schon,
daß Menschen sich wohl gerne Mühe geben und Selbstüberwindung üben. Nur, daß
sie gerade damit noch einem Zwang unterworfen sein sollen, muß wachen
Menschen fragwürdig erscheinen. Wer sich schon anstrengt, mag hierzu doch
eigentlich nur freiwillig finden.

>Es wird vorausgesetzt, dass diese freiwillige und freudige neue Art
>der Arbeit voll ausreicht, um das zu tun, was die Maschinen allein
>noch nicht können. Der volkswirtschaftliche Aspekt. Zu diesem Aspekt
>würde auch die Voraussetzung gehören, dass ein wirklich ausreichendes
>Grundeinkommen von derzeit 1300-1500 € durch Wegfall aller anderen
>Sozialleistungen bezahlbar wäre, eine immerhin kühne Voraussetzung,
>die hier nicht diskutiert werden kann. Sie mag hier dahingestellt
>bleiben.

Ein Grundeinkommen in genannter Höhe näherte sich (bei heutiger Geldmenge)
der Einkommensgleichheit, und darf damit, wie auch die dem ähnliche geldlose
Gesellschaft, noch zur Utopie gezählt werden.
Wie weit der Wille frei ist, wenn externe Motive wie Einkommensunterschiede
auf ihn wirken, ist fraglich. Er wird wohl freier genannt werden können,
wenn Genuß freien Geldes auf ihn wirkt, als drohender Entzug von gebundenem.

>In welchem Maße sollen die Leistungen der Fürsorge, von der Hausarbeit
>angefangen, und die Leistung künstlerischer und kultureller Art, wieder-
>um von der elementaren Erziehung und Unterrichtung der Kinder angefangen,
>als wirtschaftliche Tätigkeiten betrachtet und vergütet werden?

Ähnlich individuell, wie dies auch heute geschieht; Niemand - allenfalls
kontingente Konvention - schreibt vor, welcher Lohn für eine Tätigkeit zu
zahlen ist. Das Grundeinkomen verschiebt die Verhandlungsbasis, es hebt sie
nicht auf. Es darf gearbeitet werden.

>..Verfestigung der Klassengegensätze..

Dazu:
"Die Menschen mit Grundeinkommen wären die menschlichen Spiegelbilder des
"arbeitenden", in Wahrheit schmarotzenden Kapitals. Dieses und die Maschinen
würden für sie arbeiten. Wie wohltätig!"
Ja, tatsächlich wohltätig! Allerdings (frei nach Kant): Schmarotzer sind
durch die Vergnügungen der Üppigkeit zu bestechen, Faulenzer begnügen sich
mit je härteren Kissen.
Entsprechende Finanzierung vorausgesetzt (das Grundeinkommen dieser speise
sich aus Quellen jener), ergibt sich eine Annäherung der Machtpositionen,
und `nurŽ die Empfindlichkeit für verbleibende Ungleichheiten nimmt zu.
Wer arbeitet, tut dies dann freiwillig, und als ebenso freiwillig wird er
seine Steuern betrachten müssen, möcht er sich duch unmäßiges Sosein von dem
der Gemeinschaft abheben.

>"Fortschrittliche Politik muss zum Ziel haben, Teilhabe für alle zu
>organisieren. (...) Dies bedeutet Aufhebung des Müßiggangs bei den
>VermögensbesitzerInnen und auch bei den Erwerbslosen" (Michael
>Schlecht, Bedingungsloses Grundeinkommen, in: Sozialismus3/2006, 22).

Man brachte Omi immer auf die andere Strassenseite, aber man wagte noch nie,
sie zu fragen, ob sie denn auch dahin wollte.
Bei Verhatzten von Müßiggang zu sprechen, ist schon wahrer Zynismus. Kaum
vorzustellen, Herr Schlecht wagte, den Betroffenen dies ins Gesicht zu
sagen. Wer in unserer Gesellschaft ohne pkw lebt, hat einen erhöhten
Organisationsbedarf. Unser System des Zwang zum Antrag auf
Lebensberechtigungsverlängerung ist unbedingt geeignet, Menschen in die
Depression zu treiben. Über die Gründe, solche Verordnungen zu installieren,
muß nachgedacht werden.

>...das Konzept der radikalen Arbeitszeitverkürzung,...

steht sicher nicht im Gegensatz zur Forderung nach einem bedingungslos
gewährten und Teilhabe ermöglichenden Grundeinkommen. Oft wird ja sogar die
Befürchtung geäußert, zu viele könnten ihre Arbeitszeit all zu sehr
verkürzen.

>Denken wir nur an das Sauberhalten und Pflegen unserer Städte und
>Landschaften, von dem unermesslichen Bedarf an sozialer Zuwendung zu
>schweigen.

Jah-äm. Bislang `durftenŽ wir immer glücklich sein, wenn uns wer Arbeit
machte. Da droht manchem wohl die Unfinanzierbarkeit seiner Späße.
Handgeschnitzte Winterreifenprofile. Wo ein Wille ist, da ist auch Geld.
Geld ist Macht.

>Es ist unglaubwürdig, dass all diese Tätigkeiten als freudiger Dienst,
>gar innere Selbstverwirklichung der Arbeitenden geleistet würden, nur
>weil ein Grundeinkommen schon da wäre. Ein Großteil dieser Tätigkeiten
>wird weiterhin allein um des Geldes willen geleistet werden - ...

`weiterhinŽ ist ja guut! Nö, heut wird all zu oft ob der Daseinsangst
geleistet - und das Geld als Motiv wäre schon (wieder mal) fortschrittlich.
Da sind wir.

>Fazit:

Es ist ja sicher nichts einzuwenden, gegen ein Engagement für ein `Recht auf
ArbeitŽ. Das solches aber weiterginge, als jenes für ein, sich nicht im
Verbot zu Töten erschöpfenden, Recht auf Leben, das erweist sich ebenso
sicher als Fehleinschätzung.

Den Grundeinkommensbefürwortern Lügen zu unterstellen, wo sie auf die
befreiende Wirkung technischen, naturbeherrschenden Fortschritts verweisen,
wage ich, immerhin als erklärter Automatenskeptiker, nicht. Man mag es als
Märchen empfinden (das tu ich), aber nicht als absichtliche Irreführung. Der
Verheißung des Roboters steht, eben im Kontext des bedingungslos gewährten
und Teilhabe ermöglichenden Grundeinkommen, gegenüber, die Drohung nur vage
kalkulierbarer Verweigerungshaltungen.
Mit der, die individuellen Gründe für den ausschließlichen Bezug von
Einnahmen aus dem Grundeinkommen, differenziert berücksichtigenden
Finanzierung, würde es den Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft weitaus
leichter fallen, auf ihnen unschön erscheinende Entwicklungen zu reagieren;
`Verweigere dich, wo dir die Richtung mißfällt - arbeite mit, wo es dir
sinnvoll erscheint.Ž
Das Grundeinkommen tritt nicht an, die Arbeit zu überwinden, sondern den
Zwang dazu. Es ersetzt nicht Zwang zur Arbeit durch reinen Spaß daran,
sondern durch selbstbestimmte(re) Entscheidung über Sinn und Zweck des
Tätigsein und -werden.
Es tritt nicht an, jedes sozialpolitische Problem zu lösen. Es geht aber
schon vielen an die, nicht selten geteilten, Wurzeln. Von der
Evolutiontheorie verlangt man auch nicht, das sie den Ursprung des Lebens
erklärt, oder die geistigen Entwicklungen des Menschen. Ihre Grenzen
bedeuten dabei aber nicht eine Mangelhaftigkeit, sondern das Feld, in dem
sie erfolgreich agiert.
Das Reich der Freiheit ist jenes des Geistes. Es ist das des Lebens. Das des
Rechtes tendiert dem entgegen stetig zu Verhärtungen. Recht, Gesetz ist
verstorbenes geistiges Leben, ist der Versuch, `DingeŽ festzuschreiben, zu
statischen zu machen, die eigentlich dynamisch sind. Das Grundeinkommen muß
als ein grundlegendes Freiheits-,  Menschenrecht begriffen werden (nicht als
Sahnehäubchen auf einem gigantischen Maschinenpark). Als Freiheitsrecht soll
es mit möglichst wenig Gesetzestext auskommen, möglichst viel des heute
bestehenden zusammenfassen, vereinfachen und damit überflüssig machen.

Paradigmenwechsel:

Woher stammen Begriffe wie Gerechtigkeit; Die Ägypter übten Rache wenn sie
ohne Berücksichtung des Motiv verurteilten. So war ihr Rechtssystem. Die
Israeliten erweiterten ihr Verständnis dahingehend, daß sie geanu dies
beachteten, zwischen absichtlichem Handeln/Tat und Unfall unterschieden.
Dann kam Jesus und lehrte Nächsten-, gar Feindesliebe. Gerechtigkeit ist ein
antiker Begriff, >Nächstenliebe, was weiterhilft (frei nach Philos.WB,
Kröner).
Wenn wir nun zuerst das Prinzip der Gerechtigkeit ganz verwirklichen
wollten, bevor wir daran gingen, Nächstenliebe zu leben, so gliche das dem
Vorhaben, erst jenes der Rache ganz zu verwirklichen, bevor wir anfangen,
Absicht und Geschehen zu differenzieren.


liebe Grüße -
Bernd

http://www.carookee.de/forum/Grundeinkommen/depot/2916/674980

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