[Debatte-Grundeinkommen] Finanzierung - Vorschlag von FlorianHoffmann

Reimund Acker reimund.acker at t-online.de
Sa Jan 21 03:00:21 CET 2006


Vorab: Ich verwende im Folgenden die Begriffe "Umsatzsteuer" und
"Mehrwertsteuer" synonym. Dies ist  allgemein üblich, wenn man (wie Florian
Hoffmann) davon ausgeht, daß es sich bei der Umsatzsteuer um eine solche mit
Vorsteuerabzug handelt.

"NGE" steht für "Netzwerk Grundeinkommen".

Mit "HGE" hatte ich in meiner vorigen Mail das Hoffmannsche GE bezeichnet,
damit es nicht mit dem BGE im Sinne des NGE verwechselt wird. Das HGE ist
nämlich nicht notwendig existenzsichernd. "GE" sei im Moment der kleinste
gemeinsame Oberbegriff von "BGE" und "HGE".
(Allein diese terminologischen Schwierigkeiten könnten einen schon davon
abhalten, hier GE-Varianten zu debattieren, die hinter den NGE-Konsens
zurückfallen ;-)


Florian Hoffmann schrieb am 19.1.06 um 10:37:

> "Zu 1: Warum soll es besser sein, das GE über Einkommenssteuer zu
> > finanzieren, statt über Umsatzsteuer oder eine Mischung oder
> > andere Steuern?"
>
> Ich denke, da lassen sich Gründe finden:

Eine aufschlussreiche Formulierung. Für ALLES lassen sich Gründe finden!
Auch für's Gegenteil. Ist die ausschließliche Finanzierung des GE durch
Einkommensteuer nun ein wesentlicher Punkt des "Modells" oder nur
"Architektenpetersilie" (verzierendes Grünzeug bei Architekturmodellen)?

> Wenn das Grundeinkommen aus der Einkommensteuer bezahlt wird,
> wird diese zur
> Solidar-Abgabe; d. h. Ungleichheiten werden zum Teil aus Gründen der
> Gerechtigkeit gegenüber den Mitmenschen ausgeglichen.

Damit eine Steuer oder Abgabe zur "Solidar-Abgabe" wird, ist es völlig
gleichgültig, ob es sich dabei um die Einkommensteuer, die
Unsatzsteuer/Mehrwertsteuer, eine Abwassergebühr oder eine Konzertkarte
handelt. Sie wird erst dann zur "Solidar-Abgabe", wenn man sie (auch) aus
solidarischen Gründen gibt oder geben soll. Also würde auch die
Mehrwertsteuer zur "Solidar-Abgabe", wenn sie zur Finanzierung des GE
verwendet werden würde. Vermutlich wäre das subjektive Solidaritätsgefühl
bei der Mehrwertsteuer, wo ich von jedem Laib Brot beim Kauf ein "Stück"
abgebe, sogar ausgeprägter als beim automatischen Lohnsteuerabzug.

> Ich finde das eine
> ziemlich gute Begründung, weshalb das BGE aus der Einkommensteuer
> finanziert
> wird und nicht aus der Umsatzsteuer.

Wenn das alles war, dann ist das nicht nur keine "ziemlich gute Begründung",
sondern gar keine (s.o.). Das heißt nicht, dass man nicht (auch) die
Einkommensteuer zur Finanzierung des GE heranziehen könnte. Alle staatlichen
Einnahmequellen müssen Angesichts des gigantischen Finanzierungsvolumens
eines GE in Betracht gezogen werden, und wer auch nur eine dieser Quellen
ausschließen will (oder gar nur eine zulassen), der trägt erheblich mehr
Beweislast, als sich gestärkt nur durch eine zweifelhafte
steuerpsychologische Intuition stemmen lässt.

> Umgekehrt hat der Staat notwendige
> Ausgaben. Wieso sollen die aus der Einkommensteuer finanziert
> werden?

Wieso nicht?

> wo es
> doch darum geht, den staatlichen Beitrag (Anteil) zum Gesamtfunktionieren
> des Gemeinwesens zu finanzieren. Dafür ist die Umsatzsteuer als Anteil an
> der gewerblichen Gesamtleistung doch besser geeignet.

Hier ist nicht einmal mehr eine steuerpsychologische Intuition zu erkennen.
Es ist mir doch völlig wurscht, ob mir das Geld für den Fernstraßenbau und
die Bundeswehr sofort vom Lohn abgezogen wird (Lohnsteuer) oder etwas später
beim Einkauf (Mehrwertsteuer).

Das Argument hier sollte wohl so gehen: Die Einkommensteuer ist für den
normalen Staatshaushalt gaanz ungeeignet, deshalb nehmen wir sie für das GE
her.

Ginge aber z.B. auch umgekehrt, dieses "Argument".

> > Zu 4: Natürlich wird das Finanzierungsproblem trivial, wenn man darauf
> > verzichtet, eine Mindesthöhe des GE festzulegen. Es handelt sich beim
HGE
> > nicht um ein BGE im Sinne des Netzwerks Grundeinkommen oder von BIEN
> > handelt, da keine existenzsichernde Höhe garantiert wird. Beim BGE geht
es
> > nicht um Almosen, sondern ein Bürgerrecht auf ein armutsfestes Einkommen
> > auch ohne Arbeit."
>
> Vielleicht nicht nur ein Wortspiel:
> Aber für mich ist ein Grundeinkommen, das zur Bedingung hat, dass es
> existenzsichernd ist, ist nicht bedingungslos.

Hoffentlich nur ein Wortspiel, und nicht ein peinliches Missverständnis :-(

Natürlich unterliegt ALLES irgendwelchen Bedingungen (zumindest im Auge des
Betrachters). Das Kriterium "bedingungslos" beim BGE bezieht sich
bekanntlich auf die Auszahlungsmodalitäten: "Es soll [...] einen
individuellen Rechtsanspruch darstellen, ohne Bedürftigkeitsprüfung
ausgezahlt werden und keinen Zwang zur Arbeit bedeuten." (s.
www.grundeinkommen.info)

Ist doch eigentlich glasklar formuliert, oder? Soll ich ... OK: Also, wenn
ich nach Einführung des BGE feststellen will, ob das "B" in "BGE" wirklich
stimmt, ob es also in unserem Sinne BEDINGUNGSLOS ist (=gewährt wird!), dann
brauch ich nur nachzusehen, was ich alles anstellen muss, oder eben NICHT,
um das BGE zu erhalten. Antrag? Nein (wie auch FH bereits zutreffend zur
Kenntnis genommen hat). Wozu auch? Wer sollte den prüfen, und nach welchen
Kriterien, wenn's doch bedingungslos ist. Natürlich muss jemand der
BGE-Auszahlungsstelle verraten, dass es mich gibt :-)
Also nochmal, die Bedingung "BGE gibt's nur, solange wir nicht komplett
durch die Vogelgrippe ausgerottet sind" ist keine Bedingung im Sinne des
NGE. Alles klar jetzt?

> Wenn das BGE die
> Existenzsicherung des Menschrn zur Bedingung hat,

hat es aber nicht. "Existenzsichernd sein" ist nicht Bedingung für die
Gewährung des BGE, sondern eine EIGENSCHAFT des BGE. Etwas völlig anderes
ist die Frage, welche Bedingungen ein BEGRIFF erfüllen muss, damit man bei
ihm zurecht von einem BGE i.S.d. NGE sprechen kann. Das HGE erfüllt die
Bedingung "existenzsichernd sein" nicht und ist daher kein BGE. Das HGE soll
aber, wenn ich's richtig verstanden habe, sehr wohl bedingungslos ausgezahlt
werden (also ohne Antrag, Bedürftigkeitsprüfung, etc.), und erfüllt insoweit
immerhin das Kriterium "bedingungslos" des BGE.
(Ups, hoffentlich hab ich jetzt nicht alle Klarheiten beseitigt ;-)

Oder vielleicht so: Es gibt nichts das bedingungslos ein XYZ sein kann.
Etwas ist nur dann ein XYZ, wenn es die Definition eines XYZ erfüllt. Wenn
es die EIGENSCHAFTEN hat, die in der Definition für ein XYZ verlangt werden.
Ein Bumerang ist wo wenn man wegschmeißt und kommt nicht zurück war's
keiner. Ein Staubsauger ist wo wenn nicht Staub saugt isses keiner. Usw.

Und ein BGE ist wo wenn nicht existenzsichernd isses keins.

Die Eigenschaften, die ein Ding haben muss, um ein XYZ zu sein, sind
eigentlich gar keine Bedingungen bzgl. der Existenz dieses Dings, sondern
lediglich formale Bedingungen für die Erfüllung der Definition eines XYZ
durch dieses Ding. Das Ding ist ja einfach was es ist, unabhängig von
irgendwelchen Bedingungen. Es hat jetzt diese Eigenschaften und keine
anderen. Hätte es jetzt andere Eigenschaften, so wäre es jetzt vielleicht
kein XYZ mehr, vielleicht gar ein anderes Ding? Keine Ahnung, ich beginne
philosophisch zu schwächeln, also lassen wir das jetzt.

> dann stellt nicht der
> Staat die Bedingung, sondern der Mensch.

Nochmal: Wir, das NGE (der Mensch im NGE ;-) haben uns auf die Definition
eines BGE geeinigt. D.h., jedes Ding, das mindestens alle in der Definition
genannten Kriterien/Eigenschaften/"Bedingungen" erfüllt, ist ein BGE, und
jedes Ding, das mindestens eines der in der Definition genannten
Kriterien/Eigenschaften/"Bedingungen" nicht erfüllt, ist kein BGE. Sondern
vielleicht ein XYZ. Oder etwas ganz anderes :-)

> Wem gegenüber stellt er die
> Bedingung? Dem Staat gegenüber, oder sich selbst?

Der Mensch im NGE stellt die Bedingung gegenüber jedem Ding: "Wenn du Ding
ein BGE sein willst, musst du die Bedingung(en) unserer BGE-Definition
erfüllen, z.B. die Bedingung, dass du bedingungslos gewährt wirst."

> Wenn man die
> Finanzierungsseite außer acht lässt, kann man leicht die Bedingung an den
> Staat stellen und sagen: "Ich fordere!"; "Ich habe einen Anspruch!"

Die "Bedingung" an den Staat (merkwürdige Ausdrucksweise), mir mein
bedingungsloses GE auszuzahlen, kann ich natürlich erst stellen, wenn der
Deutsche Bundestages ein Gesetz zur Einführung des BGE verabschiedet hat.
Und dann müsste ich meinen Anspruch nur geltend machen, wenn es z.B. wegen
irgendeiner Schlamperei nicht zur pünktlichen Auszahlung meines BGE kommen
sollte.

> Als
> nächstes kommt die Überlegung, wieviel ich fordern könnte und müsste,
damit
> meine Ansprüche befriedigt werden (Grundansprüche).

Das muss ich mir dann nichtmehr groß überlegen, weil das ja im BGE-Gesetz
geregelt ist. Ich überlege vorher, solange es noch darum geht, überhaupt
eine Mehrheit für die Einführung eines BGE zu gewinnen. Und was die Höhe des
BGE angeht, ich denke da werden wir uns einigen können. Wir legen eine
Untergrenze fest, da gibt es Vorgaben vom BVG, Erfahrungen aus
Wohlfahrtsverbänden, Betroffenenorganisationen, etc. Die Untergrenze müsste
wohl dynamisch formuliert werden, etwa unter Verwendung eines der üblichen
Definitionen für Relative Armut, oder eines Warenkorb-Modells. Nach
Einführung des BGE könnte man es schrittweise erhöhen, solange bis die
weiteren damit verbundenen Ziele, etwa am Arbeitsmarkt, im Rahmen steuer-
und ordnungspolitischer Randbedingungen, erreicht sind.

> Dann beginnt eine
> unendliche Diskussion, weil jeder Mensch eine andere Vorstellung hat. Das
> mit dem Anspruch ist doch die alte Kiste mit der Sozialhilfe, dem
> Wohngeld,
> dem Bafög, usw.. Da fällt einem immer wieder etwas Neues ein,
> weil es immer
> wieder Ungerechtigekeiten gibt, und schon entsteht ein neuer Anspruch
> (Frauenparkplatz, Behindertenparkplatz,
> Auto-mit-Kinderwagen-Parkplatz,...).

Na und? Man nennt das, glaube ich, Demokratie. Und die unendlichen
Diskussionen um Sozialhilfe, Wohngeld, Bafög, etc., hatten anscheinend alle
irgendwann ein Ende, denn die entsprechenden Gesetze kamen ja anscheinend
zustande. Natürlich gibt es immer wieder sehr langatmige und langweilige
Diskussionen über dies und das (womöglich sind wir mitten drin in einer),
aber was gibt es spannenderes für einen Demokraten, als mit anderen über die
Möglichkeiten einer besseren Gesellschaft zu debattieren? Was das ist, eine
bessere Gesellschaft? Für mich: Eine Gesellschaft, in der ich (noch) lieber
leben möchte als in der heutigen. Für NGE'ler: Eine Gesellschaft mit BGE,
zum Beispiel.

> Wenn Sie aber sagen: "Die Einkommensteuer gehört uns!" (HGE),

Klar sag ich das. Und die anderen Steuern auch!

> dann haben Sie
> einen Anspruch gegen sich selbst, dann müssen Sie als erstes definieren,
> wieviel wollen Sie im Rahmen Ihrer Solidarität abgeben?

Mein Anspruch an mich selbst lautet: Ich will in einer Gesellschaft mit BGE
leben. Ich bin bereit, dafür soviel zu bezahlen wie es kostet.

> Für den Einzelnen
> ist BGE bedingungslos

Das BGE ist bedingungslos auszuzahlen, ja, weil es so definiert ist, und es
andernfalls kein BGE wäre, sondern ein HGE, XYZ, ...

> – in der Summe steht der
> gesamtwirtschaftliche Ertrag
> jedoch unter der Bedingung, dass die Leistung auch tatsächlich von der
> Gemeinschaft insgesamt erbracht wird. Deshalb gilt die natürliche
> Bedingung, dass nur so viel ausgekehrt wie eingenommen wird.

sowie die natürliche Bedingung, dass uns die Vogelgrippe nicht alle
hinwegrafft, uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt, etc. Das ändert nichts
daran, dass ein BGE bedingungslos ausgezahlt wird, in existenzsichernder
Höhe, etc. Und wie bisher machen wir das weiterhin nach der ebenso
natürlichen Bedingung, dass nur so viel für das BGE eingenommen wird, wie
für die Auszahlung gebraucht wird. Reicht die Einnahme mal nicht, kann man
wie bisher auch mal (horrible dictu) Schulden machen.

> Mehrheitlich-demokratisch entschieden wird über den Steuersatz,
> wie hoch der
> umzuverteilende Anteil und damit am Ende das Grundeinkommen ist.

Man stelle sich vor: Wir denken uns mehrheitlich-demokratisch eine magische
Zahl für einen Steuersatz aus, um mit der entsprechenden Steuer, mal sagen,
die Flugsicherung, die Bauaufsicht, den Strafvollzug, den Fernstraßenbau,
etc. zu finanzieren. Aber nicht heimlich vorher gucken, wieviel gebraucht
wird! Also gut, ich nehme 17%, weil ich 17 arithmetisch sympathisch finde.
Dann gibt der Staat das ordentlich aus, aber ups, da knallen in dem Jahr
doppelt so viele Flieger ineinander, weil da die 17 leider zuwenig war,
nochmehr Eissporthallen fallen zusammen, aus dem gleichen Grund. Oder es
wird nun doch noch der Rest der Republik asphaltiert, weil die 17 üppig
bemessen war für den Straßenbau, aber die Einnahme auf jeden Fall ausgekehrt
wird.

Ich kenne kaum ein Beispiel im Haushaltswesen, wo zuerst ein willkürlicher
Betrag eingenommen wird, und danach gibt man genau diesen Betrag für einen
vorher festgelegten Zweck aus. Sowas gibt's wohl nur bei der Tombola.

Der Normalfall ist so: Erst überlege ich, was ich brauche oder haben will
(z.B. Existenzsicherung für alle), dann rechne ich aus, was das kostet, dann
schau ich wo ich das Geld herkriege. Und wenn's da Probleme gibt, geht's
wieder von vorn los, versuch ich meine Wünsche & Bedürfnisse anzupassen,
rechne wieder, etc. Ganz normaler Entscheidungsfindungsprozess eben.

> Ein abschließender Gedanke dazu: Nur die Auszahlung eines
> ertragsabhängigen
> Anteils aus der Leistung aller (quasi als Be-Lohnung)

Niemand soll durch das BGE belohnt werden. Wofür auch? Diejenigen Menschen
und Maschinen, die Güter  und Werte im Überfluss schaffen, geben etwas davon
ab an diejenigen Menschen, die das nicht können oder wollen, ohne
Gegenleistung. Passiert heute schon massenhaft. Wird aber teilweise mit
neurotisierenden Zwangsritualen seitens der Geber und Nehmer verknüpft.
Unnötig.

> erzeugt
> beim Empfänger
> die Befriedigung, die auch ein Lohn für erbrachte Leistungen oder
> ein Ertrag
> (z. B. ein Ernte-Ertrag) zu erzeugen in der Lage ist.

Anders beim BGE: Die Befriedigung beim Lohn für erbrachte Leistungen besteht
in der erhaltenen Anerkennung für die Leistung. Die Befriedigung beim BGE
besteht im Vertrauen, der Solidarität und der Wertschätzung, die ich als
Mensch und Bürger durch die Gemeinschaft erfahre. Wolfgang Engler hat diese
Erfahrung in seinem hervorragenden Buch "Bürger, ohne Arbeit" in bewegenden
Worten auf den Punkt gebracht: "Allein die Sozialdividende [=BGE; RA]
überzeugt mich sinnlich-konkret von meinem Dasein als immer schon
respektiertem Glied des Gemeinwesens. Sie und nur sie sagt mir: du kannst in
deinem Beruf herbe Fehlschläge und Enttäuschungen erleiden, womöglich
ökonomisch scheitern, und das kann dazu führen, dass du auch in deinen
eigenen Augen scheiterst: Du scheiterst gleichwohl nie sozial. Als
Mitbewohner dieser Erde bist Du unangefochten."

---

Reimund Acker




Mehr Informationen über die Mailingliste Debatte-Grundeinkommen